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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gewebe

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Gewebe (geköperte, gemusterte, samtartige G.).

geköperten, gekieperten oder kroisierten Stoffe unterscheiden sich vom glatten G. hauptsächlich dadurch, daß jeder Einschlagfaden durch zwei, drei oder mehr Kettenfäden bedeckt wird, bevor er auf die andre Seite des Gewebes tritt und Einen Kettenfaden deckt. Dasselbe gilt auch von den Kettenfäden, und man unterscheidet demnach Kettenköper und Schußköper. Beim Köpergewebe wechseln stets mehr als zwei verschiedene Lagen des Einschlags miteinander ab, aber nach einem so einfachen Gesetz, daß das ganze G. gleichartig, d. h. ohne Figur oder Muster, sich darstellt. Die Anzahl der Kettenfäden (oder Schußfäden), welche der Einschlag (oder Kettenfaden) ohne Unterbrechung frei auf der Oberfläche liegen läßt, bestimmt die Stärke des Köpers, und man spricht danach von einem dreibindigen (-fädigen), vierbindigen bis acht- und zehnbindigen Köper. Fig. 4 zeigt einen vierfädigen Köper, bei welchem die Bindung immer auf dem vierten Faden stattfindet. Das Köpergewebe gewährt im Vergleich mit dem glatten ein schöneres Ansehen, indem einerseits die schief laufenden Bindungen besser aussehen, anderseits der schönste und beste Teil des verwendeten Garns durch das Freiliegen auf größern Strecken (Flottliegen) besser hervortreten kann; auch fühlt es sich weicher und sanfter an, und zu Kleidungsstücken verarbeitet, legt es sich in gefälligere Falten. Werden die Bindungsknoten über die Fläche des Zeugs so unregelmäßig wie möglich verteilt, so daß sie sich fast dem Anblick entziehen, so erhält man eine besonders schöne Art von Köper, nämlich Atlas (s. d.) oder Satin. Köpergewebe werden aus allen Garnen erzeugt. 3) Bei gemusterten oder façonnierten Stoffen werden Kette und Schuß so gebunden, daß auf dem G. deutlich wahrnehmbare Figuren entstehen. Am einfachsten erhält man solche Figuren, wenn man für einen bestimmt abgegrenzten Teil des Gewebes z. B. Köperbindung und ringsum Leinwandbindung anwendet. In solche Muster kann man viel Abwechselung bringen durch die Wahl der Garne für Kette und Schuß, die entweder gleich, oder nach Feinheit, Glanz und Farbe verschieden, oder auch aus verschiedenen Faserstoffen erzeugt sein können. Zu den Stoffen, bei welchen das Muster durch stellenweise Änderung der Fadenbindung erzeugt wird, gehören z. B. die aus Leinen- u. Baumwollgarn gewebten Zeuge mit Streifen (Marseilles) oder Quadraten (karierter Damast); sodann die Stoffe mit Quadraten oder Rechtecken von verschiedener Größe (Servietten, Tischtücher etc.) nebst dem eigentlichen oder geblümten Damast von Leinen, Baumwolle, Wolle, Seide, Goldstoff (Brokat); endlich auch viele Bandsorten. Bei diesen Geweben kann das Muster aus dem Stoff nicht entfernt werden, ohne daß dieser zerstört wird. Gemusterte G. erhält man auch durch regelmäßige Abwechselung von Gaze (ein Zeug mit gitterförmig weiten Maschen) mit Stoffen von andrer Bindung, wobei dicht gewebte Figuren auf netzförmigem Grund erscheinen und umgekehrt, z. B. Fenstergardinen und einige Damenkleiderstoffe. Große Abwechselung in farbigen Figuren erhält man durch Zusammenweben von zwei oder drei Ketten von verschiedenen Farben und Eigenschaften, wobei bald die eine, bald die andre in bestimmt begrenzten Figuren an die Oberfläche des Gewebes tritt. Dahin gehören die schottischen oder Kidderminster-Teppiche, auch die einfachen schwarzroten Teppiche aus Wollgarn, endlich Pikee etc. Eine andre Art gemusterter G. entsteht dadurch, daß man in schlicht oder mit Köper- und Satinbindung gewebte Stoffe Fäden von ganz andern Eigenschaften (z. B. verschieden in Glanz, Farbe, Feinheit etc.) bringt und zwar an denjenigen Stellen, wo die Figur gebildet werden soll. Die Figur wird also hier für sich erzeugt, bildet keinen unentbehrlichen Bestandteil des Grundgewebes und kann somit ohne Zerstörung des Gewebes entfernt werden, wie bei mehreren Stoffen mit Blumen aus Seide und Kammgarn für Damenkleider sowie bei den gewöhnlichen weißen Fenstergardinen mit scheinbar darauf genähtem Muster. Sind die Figuren durch Einschlag entstanden, so nennt man die Stoffe broschiert, wenn die Einschlagfäden sich nicht über den Umfang der Figur hinaus erstrecken, lanciert (überschossen) dagegen, wenn die figurmachenden Fäden über die ganze Breite des Zeugs hinlaufen und dabei außerhalb der Figur auf der verkehrten Seite des Zeugs entweder ganz flott liegen (Umschlagtücher), oder an einzelnen Punkten durch die Kette gebunden, oder um die Figur herum abgeschnitten sind. Werden die Figuren aus gefärbten, zwischen der Kette liegenden Fäden gemacht, dann nennt man sie aufgelegte oder aufgeschweifte Muster. 4) Die samtartigen G. unterscheiden sich von allen andern Geweben durch eine eigentümliche haarartige Decke, gewöhnlich auf einer, manchmal auf beiden Seiten des Gewebes. Die Haardecke entsteht durch eine Menge sehr kurzer Faserenden, zuweilen auch durch kleine Noppen oder Litzen, die aus dem eigentlichen Stoff (Grund) hervorragen und eine haarartige Decke (Pol, Poil, Flor) bilden, von welcher auf der Kehrseite nichts zu sehen ist. Der Grund ist meist ein

^[Abb.: Fig. 3. Glattes Gewebe.]

^[Abb.: Fig. 4. Vierbindiger Köper.]