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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gibraltar

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Gibraltar.

Stätte der Anbetung, auch Sitz der Stiftshütte. Jetzt das Dorf El Dschib. - Südöstlich davon lag Gibea, Geburtsort und Residenz Sauls, das im Zeitalter der Richter eingeäschert ward (Richt. 19); heute Tulel el Ful.

Gibraltar (arab. Dschebel al Tarik, "Fels des Tarik"), Vorgebirge an der südlichsten Spitze der span. Landschaft Andalusien, an der Meerenge von G. (s. auch das Spezialkärtchen auf der Karte "Mittelmeerländer"), welche das Atlantische mit dem Mittelländischen Meer verbindet, ist ein kolossaler, senkrecht aus den Wellen aufsteigender, aus Jurakalk bestehender Felsen von 425 m Höhe, 4,6 km Länge und 1,25 km Breite, der auch nach N. und namentlich nach O. steil abfällt und mit dem Festland nur durch einen Isthmus aus Flugsand (den sogen. neutralen Boden), der kaum höher als der Meeresspiegel und bei 3 km Länge etwa 2 km breit ist, zusammenhängt. Die südlichste Spitze ist die Punta de Europa (36° 6' nördl. Br.). Die Meerenge (estrecho) von G. (bei den Alten Fretum Herculeum) hat eine mittlere Tiefe von 275 m und im westlichen Eingang 37, im östlichen (zwischen der Punta de Europa und dem Felsen von Ceuta) 20 km Breite; die schmälste Stelle dazwischen (zwischen der Punta del Frayle im N. und Punta de Ciris im S.) ist nur 13 km breit. Das ganze Vorgebirge (mit einem Flächeninhalt von 5 qkm) ist von den Engländern, die seit 1704 im Besitz desselben sind, durch großartige, zum Teil in den Felsen gehauene Fortifikationen zu einer Festung umgeschaffen worden, die für unüberwindlich gilt und als Pforte des Mittelmeers von großer Wichtigkeit ist. Drei in den Felsen gehauene, sehr hoch gewölbte und breite Galerien, die erste 122 m, die zweite 213 m, die dritte 308 m ü. M., mit Kanonen von ungeheurem Kaliber reichlich gespickt und durch schmale Zickzackpfade verbunden, türmen sich nach der Landseite amphitheatralisch empor. Außer diesen Galerien dient eine vierte Reihe schwerer Batterien zur Deckung der Landzunge, und zahlreiche Außenwerke vollenden das Fortifikationssystem, zu dem im ganzen 800 Kanonen gehören. Bemerkenswert sind außerdem das maurische Kastell und das Signalhaus auf dem höchsten Punkte des Felsens, von wo sich eine wundervolle Aussicht über die Berge Malagas und die des südlichen Andalusien wie jenseit der Meerenge nach Afrika (von Ceuta bis Tanger) darbietet. Ein niedriger Erdwall mit von den Spaniern besetzten Wachthäusern, der quer über die Landzunge läuft und la Linea genannt wird, bildet im N. die Grenze des "neutralen Bodens"; 6 km hinter diesem Erdwall liegt das Städtchen San Roque auf hohem Felsen. Am minder steilen Westabfall des Vorgebirges zum Golf von G. (nach der gegenüberliegenden spanischen Stadt auch Golf von Algeciras genannt) zieht sich terrassenförmig die Stadt G. hin, die jedoch aus wenig mehr als Einer Straße mit einigen steilen Nebengassen besteht. Sie hat 2 protestantische und mehrere kath. Kirchen, 3 Synagogen und eine Moschee, ist von starken Festungswerken umgeben und hat meist im italienischen Stil erbaute, aber enge, unbequeme Häuser. G. zählt außer einer Militärbevölkerung von 7707 Seelen (1881) 18,381 Einw. (darunter 1800 Protestanten, 1500 Juden und 28 Mohammedaner), hat gute Unterrichtsanstalten und einen vortrefflichen Hafen, der zum Freihafen erklärt ist; nur auf Spirituosen und Wein wird ein Zoll erhoben. Im J. 1884 liefen in den Hafen von G. 6146 Schiffe, fast ausschließlich Dampfer und zum größten Teil unter englischer Flagge, mit 4,610,000 Ton. ein und ungefähr ebensoviel aus. G. ist Sitz eines deutschen Konsuls. Obschon an einem der wichtigsten Kreuzungspunkte des Weltverkehrs gelegen (es verkehren hier über 20 große Dampfschiffgesellschaften), ist G. doch ein Platz von untergeordneter kommerzieller Bedeutung und nur als Kohlenstation von hervorragender Wichtigkeit. Sonst werden eingeführt: Tabak, Zucker, Mehl und Manufakturwaren; ausgeführt werden: Wein, Südfrüchte u. a. Von G. aus wird nach Spanien bedeutender Schleichhandel getrieben. In der Umgegend sind von Natur kahle und dürre Felsen von den Engländern durch Sprengen, Behauen und kostspielige Herbeischaffung von Erde aus Spanien, ja sogar aus England in den prachtvollsten Park umgewandelt. Eine schöne Straße führt am Bergabhang empor bis zu der ebenfalls stark befestigten Punta de Europa, auf deren äußerster Felsenspitze der Leuchtturm steht. Am Ostfuß des Felsens liegt das Fischerdorf La Catela. Die auf silurischem Grund ruhende Kalkmasse des Vorgebirges umschließt zahlreiche Tropfsteinhöhlen, unter denen die St. Michaelshöhle die größte und schönste ist. Noch sind als eigentümliche Erscheinungen auf G. die Affen zu erwähnen, welche die stellenweise von Niederholz überwucherten Felsen über der Festung und um sie herum bewohnen und sorgfältig geschützt werden. Es sind die einzigen in Europa vorkommenden Affen.

Der Felsen von G. war schon in der ältesten Zeit unter dem Namen Calpe als eine der beiden Säulen des Herkules (die andre ist der Felsen von Avila bei Ceuta auf der afrikanischen Küste) bekannt. Die Römer gründeten hier eine Kolonie, Colonia Julia Calpe. Als 710 und 711 die Mauren bei ihrem Einbruch in Spanien bei G. landeten, legte der Feldherr Tarik hier ein festes Kastell an. Seitdem nannten die

^[Abb.: Kärtchen des Vorgebirges von Gibraltar.]