Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gott

563

Gott (die Beweise für das Dasein Gottes).

Proportion zwischen Schöpfer und Geschöpf, jedes unter sittlichen Gesichtspunkten gedachte Verhältnis zwischen beiden ausschlossen. Anderseits ragte allenthalben schon in das religiöse Bewußtsein der alten katholischen Kirche herein die jüdische Erbschaft einer Vorstellung Gottes als eines ins Ungeheure gesteigerten Menschen, welcher von außen her die Welt in Bewegung setzt und möglicherweise ganz partikuläre, von dem sittlichen Zweck verschiedene Zwecke in derselben verfolgt. War es schon unmöglich, diese beiden sich ganz spröde zu einander verhaltenden Elemente miteinander in Einklang zu bringen, so kamen nun noch hinzu die konkreten Bestimmungen der kirchlichen Dreieinigkeitslehre, welche weder zu der massiven Gottesvorstellung und dem strengen Monotheismus des Hebraismus noch zu dem Platonischen Schema des Absoluten stimmen, in welches sie doch hineingezeichnet wurden. Die verschiedenen Experimente, welche gemacht wurden, um diese Unebenheiten zu glätten, bilden die Geschichte des christlichen Gottesbegriffs.

Ein bekanntes Kapitel desselben machen die schon seit dem 2. Jahrh. angestrengten Beweise für das Dasein Gottes aus, welche wenigstens den Wert denkender Nachzeichnung des Wegs behalten werden, auf welchem die Vorstellung Gottes zu deutlicherer Fixierung gelangt ist. Unter ihnen hatten sich jederzeit der kosmologische und der teleologische (physiko-theologische) des meisten Beifalls zu erfreuen. Zunächst hatte man eine Formel in Bereitschaft, welche die bloße Abstraktion von der Welt ausdrückte und daher nur mit dem negativen Prädikat des Unendlichen zu bezeichnen war; ihre Notwendigkeit gedachte man dadurch zu erweisen, daß das Dasein des Endlichen nicht anders als so zu begreifen wäre. In diesem Interesse schob man dem Unendlichen zunächst den Begriff der Ursache unter, indem man von der Totalität des Bedingten auf ein Bedingendes schloß (kosmologischer Beweis). Da man hiermit über den Standpunkt des Pantheismus nicht prinzipiell hinausgekommen war, schob man dem Begriff der Ursache denjenigen des Endzwecks unter, indem man aus den mancherlei Symptomen von Anordnung, Absicht und Zweck in der Welt auf einen vernünftigen Welturheber schloß (teleologischer Beweis), wobei man sich jedoch auf die Dauer nicht verhehlen konnte, daß der einen Kehrseite unsrer Erfahrungen, welche zu solchem Schluß auffordert, eine andre gegenübersteht, die dagegen protestiert, so daß zuletzt die Schule Herbarts nur noch von einer auf diesen allein zulässigen Beweis zu gründenden höchsten Wahrscheinlichkeit sprach. Schon um 400 bereitete Augustin einen Beweis vor, welchen dann um 1100 Anselm von Canterbury vollendete. Dieser sogen. ontologische Beweis schließt von dem Begriff des vollkommensten Wesens auf seine Existenz, weil, wenn ihm diese abginge, ein noch vollkommneres Wesen denkbar wäre. Also: "Diese Geschichte ist die schönste von allen, die ich je las, folglich muß sie auch eine wahre sein, sonst würde mir die unbedeutendste Geschichte, wenn sie nur wenigstens wahr ist, besser gefallen".

Noch ehe Kant das Unzureichende aller dieser Beweise endgültig darthat, indem er an ihre Stelle, wenngleich nicht mit wissenschaftlicher Gültigkeit, den moralischen Beweis setzte, der von dem Thatbestand des menschlichen Bewußtseins als eines sittlichen auf einen urbildlichen Urheber und Bürgen für die Erreichbarkeit der Zwecke desselben schließt und sonach nur eine Reflexion des frommen Bewußtseins über seine eignen Zusammenhänge und Existenzbedingungen darstellt, hatte die Aufklärung des vorigen Jahrhunderts dem christlichen Gottesbegriff teils die trinitarische Bestimmtheit, teils den jüdischen Anthropomorphismus abgestreift und ihn so auf die farblose Idee des "höchsten Wesens" (être suprême) reduziert, welches seine Unfähigkeit, das religiöse Gefühl zu befriedigen, in dem Kultus der französischen Revolutionszeit erweisen sollte. Theoretisch wurde dieser leere Gottesbegriff überboten durch eine von Spinoza datierende, vorzugsweise aber durch Schelling und die Romantik, durch Fichte und Schleiermacher vertretene pantheistische Strömung. Man fand am rationalistischen Gottesbegriff namentlich auszusetzen, daß derselbe G. als ein überweltliches Einzelwesen zu der Summe der übrigen Einzelwesen addiere, wogegen die spekulative Philosophie sich wieder auf den Begriff des Absoluten zurückzog und dasselbe bald als Indifferenz (Schelling), bald als einfache Kausalität der Welt (Schleiermacher), bald als absolute, in der Welt sich realisierende Vernunft (Hegel), reine Thätigkeit der Weltbegründung, actus purus (Biedermann), immer aber unpersönlich faßte, wie auch Fichtes moralische Weltordnung im Unterschied zu Kants G. gewesen war. Dem gegenüber hatte eine an Weiße, den jüngern Fichte, Ulrici, K. Schwarz anknüpfende Schule von Philosophen und Theologen den Begriff der Persönlichkeit mit demjenigen der Immanenz, welcher als die dauernde Frucht unsrer neuern Philosophie galt, zu vereinigen gesucht, während in der neuesten Theologie es nicht an Kundgebungen fehlt, welche von den philosophischen Voraussetzungen, unter denen die kirchliche Gotteslehre vom 2. Jahrh. an sich entwickelt hat, ganz abzusehen und alles, was an eine Substanz erinnert oder Analogie zu Quantitativem bietet, aus dem Begriff herauszuschaffen, ja die ganze metaphysische Behandlung des Gottesbegriffs abzustellen raten (Ritschl). Dieser Reformversuch bezieht sich auch auf die Lehre von den sogen. Eigenschaften Gottes (attributa divina), welche entweder durch Verneinung der dem menschlichen Geistesleben anhaftenden Schranken (via negationis) oder durch möglichste Steigerung der Vorzüge desselben (via eminentiae) gewonnen werden. Naturgemäß führt jener Weg zu leeren Abstraktionen, dieser zu inadäquaten Bildern. Nur die auf letzterm Weg sich ergebenden, meist dem konkreten alttestamentlichen Gottesbild entstammten Aussagen sind dazu angethan, das unauslöschliche und berechtigte Verlangen des religiösen Gefühls nach einem lebendigen G. zu befriedigen. Aber eine wirkliche Bewegung hatten diese Lehren von der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit, Weisheit und Güte, Wahrhaftigkeit und Treue schon darum nicht in den Gottesbegriff bringen können, weil infolge der reagierenden Idee des schlechthin einfachen und beziehungslosen Seins, des Absoluten, Kirchenväter, Scholastiker und Dogmatiker die objektive Bedeutung des Unterschieds der göttlichen Eigenschaften leugneten und darin nur verschiedene, in unserm Begriff von G. und seinem Verhältnis zur Welt gesetzte logische Momente anerkennen wollten. Dazu kommt, daß die auf dem ersten der angedeuteten Wege gewonnenen Eigenschaften, wie Ewigkeit und Unveränderlichkeit, Allmacht und Allgegenwart, selbst schon jenem philosophischen Schema des Absoluten angehören. Es haben daher viele Dogmatiker sich bemüht gerade diese Eigenschaften einzuschränken oder möglichst zu neutralisieren, den Begriff Gottes nicht sowohl unter dem altherkömmlichen Gesichtspunkt der Kausalität als vielmehr unter