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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gregor

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Gregor (Päpste).

1073, ward Hildebrand von den Kardinälen zum Papst gewählt und nannte sich als solcher G. VII., um seine Dankbarkeit gegen Gregor VI. zu bezeigen.

Die Stunde des Kampfes um die Weltherrschaft, welchen G. während seiner untergeordneten Stellung zwischen Papst und Kaiser vorbereitet, war gekommen. G. begann denselben mit verhältnismäßig geringen Mitteln, aber mit großartiger Klarheit über Ziele und Wege des Streits. Seine Absicht war, den römischen Bischof zum Herrscher der Welt zu machen, alle Gebiete menschlichen Lebens seiner Oberhoheit zu unterwerfen. Und nicht allein in den kirchlichen Dingen wollte er die Allmacht und Unfehlbarkeit des Papstes aufrichten, sondern auch die europäische Staatenwelt unter seine Gebote beugen. Er ging geradezu darauf aus, eine Reihe von Ländern zu Vasallen des apostolischen Stuhls zu machen. Er beanspruchte ohne weiteres Spanien, Corsica, Sardinien und Ungarn. Ein vertriebener russischer Prinz nahm Rußland von ihm zu Lehen, und spanische Große, Grafen in Provence, Savoyen und Arelat, ein König in Dalmatien sowie die Normannenfürsten Landulf von Benevent und Richard von Capua leisteten ihm den Lehnseid; der Herzog Wilhelm von der Normandie eroberte England als Verbündeter des Papstes. In Frankreich bedrohte G. den König mit dem Bann; in Griechenland unterhandelte er über die Vereinigung der morgen- und abendländischen Kirchen; in Kastilien und Aragonien drang er auf Einführung des römischen Ritus; in Böhmen verbot er den Gebrauch der Landessprache beim Gottesdienst; von Norwegen und Schweden erbat er sich Jünglinge, die in Rom gebildet werden sollten. Selbst das Los der Christensklaven in Afrika nahm seine Sorge in Anspruch, und lebhaft beschäftigte ihn das Projekt zu einem Kreuzzug nach Palästina. Vor allem aber suchte er ein Übergewicht des päpstlichen Stuhls über den deutschen Kaiser zu begründen. Die schon begonnene Emanzipation des Papsttums von der bisherigen Leitung durch das Kaisertum war für G. die notwendige Vorstufe zur Erhebung des Papsttums über das Kaisertum. Die Verhältnisse in Deutschland waren seinem Unternehmen günstig (s. Heinrich IV.). Zwei Dekrete ließ G. ausgehen, durch welche er in radikalster und revolutionärster Weise die bisherigen Ordnungen in Staat und Kirche umzuwerfen unternahm; diese waren das Cölibatgesetz und das Investiturverbot; das eine sollte die Einheit des Klerus, das andre dessen Unabhängigkeit von aller weltlichen Macht begründen. Das Cölibatgesetz war nur eine Sanktion der öffentlichen Meinung, die sich in dem Mönchtum allmählich ausgebildet hatte, und G. fand denn auch an der Masse des Volkes einen sehr thätigen Bundesgenossen bei dem Verbot der noch bestehenden Priesterehen. Das Investiturverbot aber war ein einschneidender Eingriff in die staatsrechtlichen Verhältnisse der Welt: es wurde jede staatliche Teilnahme an der Verleihung kirchlicher Ämter, besonders der Bistümer, untersagt. Da die Bischöfe zugleich weltliche Güter und Rechte besaßen und Staatsbeamte waren, so hieß dies nichts andres, als dem Staate die Bestellung seiner Beamten entziehen. Dagegen mußte sich vornehmlich der deutsche Kaiser auflehnen, für den es eine Lebensfrage war, am königlichen Ernennungsrecht der Bischöfe festzuhalten.

G. verstand es, die sittlich berechtigten Bestrebungen gegen die Simonie als gleichbedeutend auszugeben mit seinen Maßregeln gegen die königliche Investitur; er kleidete seine hierarchischen Tendenzen in den Deckmantel sittlicher Strenge und begründete sie durch gefälschte Urkunden aus der Sammlung Damianis, deren Unechtheit ihm allerdings nicht bewußt war. Anfangs suchte er den Schein zu vermeiden, als gelte der Angriff der Person des Kaisers, indem er nur verlangte, daß der Kaiser die schon der Simonie wegen gebannten Räte entfernen und Buße thun solle. Später aber ging er direkt gegen Heinrich vor. 1075 verkündigte er seine Dekrete nochmals in einem Konzil und verschärfte sie durch Androhung des Bannes für die Zuwiderhandelnden. Als jetzt Heinrich IV. dem von G. in Mailand eingesetzten Bischof seinen Kandidaten entgegenstellte, ging abermals eine Botschaft an den Kaiser ab; sie fand bei ihrer Ankunft in Deutschland Heinrich im Vollgefühl seines Siegs über die Sachsen und daher so erbittert über die Androhung des Bannes, daß er auf einer deutschen Synode zu Worms (24. Jan. 1076) den Papst absetzen ließ. G. sprach darauf 22. Febr. 1076 über den Kaiser den Bann aus, entsetzte ihn seiner königlichen Gewalt und entband seine Unterthanen vom Eide der Treue. Anfangs hatte dies unerhörte und neue Vorgehen des Papstes wenig Erfolg in Deutschland, von deutschen Geistlichen erklärten sich manche gegen ihn. Aber nach und nach eroberte G. sich Boden. Die eifrige Propaganda der Mönche warb ihm Freunde, und die Fürstenopposition gegen den König, der seine Königsmacht geltend zu machen bemüht war, bot dem Papst begierig die Hand, um den gemeinsamen Gegner zu demütigen. Heinrich IV., von den in Tribur versammelten Fürsten mit Absetzung bedroht, wenn er sich binnen Jahresfrist nicht vom Bann löse, sah sich genötigt, selbst nach Italien zu gehen, um den Papst zu versöhnen. Dieser war bereits nach Deutschland aufgebrochen, um daselbst als Schiedsrichter zwischen dem Kaiser und den Fürsten aufzutreten, als er von Heinrichs Ankunft in Italien vernahm. Erschreckt ging er auf den Rat der Markgräfin Mathilde nach Canossa zurück, um den Ausgang der Dinge abzuwarten, denn der Lombarden Gesinnung war ihm offenbar feindselig; aber Heinrich erschien als ein Büßender in Canossa, und erst nachdem er drei Tage, vom 26.-28. Jan. 1077, im Büßergewand, barhaupt und mit bloßen Füßen im Schloßhof gestanden und schriftlich und eidlich die Versicherung gegeben hatte, daß er sich aller Regentenhandlungen bis nach ausgemachter Sache in Deutschland enthalten wolle, erteilte ihm der Papst trotz seines den Fürsten gegebenen Versprechens, ihn nicht vom Bann zu lösen, die Absolution. Das war ein großer Triumph des Papstes über den deutschen König. Der Zwist zwischen dem König und dem Papst brach bald wieder aus, und dieser erneuerte den Bannfluch; aber es gelang G. nicht, wie er es wollte, zwischen Heinrich und seinem Gegenkönig Rudolf sich die Entscheidung beizulegen, und in Deutschland erhielt Heinrich bald die Oberhand. Der Papst wiederholte und bestätigte auf den Synoden von 1078, 1079 und 1080 seine frühern Gesetze. Trotz aller Kämpfe und Unruhen, die ihm in Italien selbst wieder erwuchsen, hielt G. fest an seiner geistlichen Stellung und seinen hierarchischen Tendenzen. Kaum hatte der Kaiser in Deutschland wieder mehr Macht gewonnen, als er auf einer Synode zu Brixen 1080 den Papst absetzen und einen Gegenpapst, Clemens III., wählen ließ und hierauf selbst nach Italien eilte. Das Glück der Waffen war schwankend. Zwar wurde G. in die Engelsburg zurückgedrängt und hier belagert, 1084 durch den Herzog Robert Guiscard befreit, mußte aber, als sich dieser wieder zurückzog, inmitten der normännischen