Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griechenland

687

Griechenland (Alt-G.: Geschichte der kleinasiatischen Kolonien bis 498 v. Chr.).

chischen Volkstums und griechischer Kultur. Unter seinen Heiligtümern erlangte aber bald eine herrschende Stellung der Tempel zu Delphi, an dem schroffen Südabfall des Parnaß in einer tiefen Schlucht gelegen. Als Mittelpunkt der von den Doriern gegründeten Amphiktyonie behielt Delphi auf die von den Doriern ausgehenden Staaten des Peloponnes stets einen maßgebenden Einfluß. Von Delphi ging die Hellensage aus, in welcher die Einheit aller griechischen Stämme ihren mythologischen Ausdruck fand; das Heiligtum des pythischen Apollon wurde nun der geistige Mittelpunkt der Hellenen, wie weit verstreut sie auch waren. Die delphische Priesterschaft pflegte mit Klugheit und Ausdauer die Idee der Einheit, das Nationalgefühl. Das Orakel, durch welches Apollon den Willen des Zeus verkündete, diente dazu, Entzweiungen unter den einzelnen Stämmen vorzubeugen oder sie beizulegen, die Achtung vor der Religion und ihren Geboten gegenüber menschlicher Willkür aufrecht zu erhalten, den Gottesdienst vor Entartung zu wahren und durch Feststellung einer geschlossenen Anzahl nationaler Gottheiten unter der höchsten Weltregierung des Zeus, neben dem kein andrer Gott einen besondern Willen habe, den Gefahren der Vielgötterei zu begegnen, so daß auch in religiöser Beziehung die Einheit der Entwickelung erhalten wurde. Auch das sittliche Bewußtsein der Hellenen erhielt von Delphi seine Anregung und Regelung. Selbstprüfung, weise Mäßigung und klare Besonnenheit forderte Apollon von seinen Verehrern; die Sophrosyne blieb stets den Griechen das Ziel sittlichen Strebens. Die Ordnung der Zeiten, der Festspiele, die Ausbildung der Gymnastik als des notwendigen Gegengewichts gegen die einseitige geistige Bildung, die Umgestaltung der phönikischen Schrift in die griechische, die Anfänge einer Geschichtschreibung, die Anwendung der Künste im Dienste der Religion, kurz, die Grundlagen einer nationalen Bildung verdankt Hellas der Priesterschaft des Apollon. Das delphische Orakel war der ideale Mittelpunkt der griechischen Welt, der eine geistige Verbindung der weit verstreuten Volksgenossen aufrecht erhielt und förderte und ein Oberaufsichtsrecht über die Beobachtung des göttlichen Rechts ausübte; es verbot Fehden, ordnete die Verhältnisse der einzelnen Staaten zu einander, ja griff sogar in die innere Ordnung derselben ein und nahm das Recht der Bestätigung aller neuen Verfassungen in Anspruch, wobei es die aristokratische Verfassung begünstigte. Auch dem Ausland gegenüber vertrat Delphi die Einheit der griechischen Interessen. Dieser mächtige, tief greifende Einfluß behauptete sich bis in das 6. Jahrh.; er schwand, als offenbar wurde, daß die Priesterschaft, von Habsucht verleitet, Barbarenkönige begünstigte, die Tyrannen, wie die Orthagoriden in Sikyon, unterstützte, ja endlich sich zum Werkzeug eigennütziger Bestrebungen erniedrigte. Als die großen Kämpfe des griechischen Volkes mit den Barbaren begannen, war Delphis herrschende Stellung dahin; seine Priesterschaft benahm sich unentschlossen, ja feig. Aber gerade in diesen Kämpfen stärkte sich das Nationalbewußtsein so, daß es nicht nur den Untergang des alten Mittelpunktes überdauerte, sondern sich sogar zum Versuch einer politischen Einigung erheben konnte.

Unterwerfung der kleinasiatischen Griechen.

Die Angriffe barbarischer Völker auf die griechischen Städte, namentlich in Kleinasien, waren eine natürliche Reaktion gegen die bisher ungestörte Ausbreitung der Kolonien und die Ausbeutung des Hinterlandes. Gefahrvoll wurden sie, als mit Gyges 716 eine neue Dynastie, die der Mermnaden, den lydischen Thron bestieg und sofort sich der griechischen Städte an der Westküste Kleinasiens zu bemächtigen suchte. Bereits Gyges begann den Kampf, in dem die ionischen Städte Smyrna, Milet, Ephesos, allein auf sich angewiesen, mit Heldenmut kämpften. Nur vorübergehend unter Ardys und Alyattes verschafften kriegerische Bedrängnisse Lydiens von Osten her den Küstenstädten einige Ruhe. Krösos (560-548) vollendete die Unterwerfung, welche Ephesos und Smyrna hart betraf, den übrigen Städten aber nur Anerkennung seiner Landeshoheit und einen mäßigen Tribut auferlegte. Der Sturz des lydischen Reichs (548) brachte den Griechen ein noch schlimmeres Los. Da sie die Anträge des Perserkönigs Kyros auf freiwilligen Anschluß zurückwiesen und einen Befreiungsversuch machten, wurden sie von Harpagos mit Waffengewalt unterjocht (546). Viele Einwohner wanderten in entfernte Pflanzstädte aus, zwei ganze Stadtgemeinden, Teos und Phokäa, suchten sich in Thrakien und in Gallien eine neue Heimat. Die Zurückbleibenden behielten zwar ihre Religion, Sprache und Sitte; aber im übrigen wurden sie dem fremden Staat einverleibt, dem sie Abgaben zahlen und Heeresfolge leisten mußten. Die Perser beherrschten nun nicht nur das ganze Festland von Kleinasien, auch die Inseln Chios und Lesbos hatten sich ihnen bereits unterworfen. Die einzige ionische Macht, welche dem weitern Vordringen der Perser hätte Einhalt thun können, Samos, das der Tyrann Polykrates zum Mittelpunkt einer glänzenden, großen Seeherrschaft erhoben hatte, ging damals auch zu Grunde; durch Habsucht verleitet, lieferte sich Polykrates dem hinterlistigen Satrapen Orötes in die Hände und ward ans Kreuz geschlagen (522), Samos vom König Dareios, dem Neubegründer des persischen Reichs, besetzt. Die griechischen Städte und Inseln an der Westküste Kleinasiens bildeten nun eine Provinz desselben, Juna genannt. In jeder Stadt stand ein Tyrann an der Spitze des Gemeinwesens, der durch persischen Einfluß in seiner Macht erhalten wurde und aus eignem Interesse dem Großkönig treu diente. Glänzend und erfolgreich erwiesen sich diese Dienste bei dem großen Zug des Dareios gegen die Skythen (513), bei dem die Ionier eine gewaltige Flotte stellten und bei dem Bau der Brücken über den Bosporus und die Donau ihre technische Fertigkeit bewährten. Ja, als die griechischen Fürsten die günstige Gelegenheit, durch Abbruch der Donaubrücke die persische Heeresmacht dem Verderben preiszugeben, nicht benutzten, weil der Untergang des Großkönigs auch den ihrigen nach sich zog und der Bund mit Persien den Ioniern Ruhm und eine neue Blüte ihres Handels versprach, schien die Vereinigung Ioniens mit dem großen Reich des Ostens fest und dauerhaft zu sein, und schon unternahmen die Perser auch die Unterwerfung Europas. Da begannen die kleinasiatischen Griechen, durch ehrgeizige Führer, wie Histiäos und Aristagoras, welche sich wegen enttäuschter Hoffnungen und verletzter Eitelkeit an den Persern rächen wollten, aufgereizt, 499 unbedachterweise einen Aufstand (ionischer Aufstand), welcher sich zwar über die ganze Küste Kleinasiens und die Inseln verbreitete, aber planlos und ohne genügende Streitkräfte ins Werk gesetzt wurde. Nach dem verunglückten Zuge gegen Sardes 498 mußten sich die Ionier auf die Verteidigung ihrer Städte und den Seekrieg beschränken. Die Perser, welche zahlreiche, im Belagerungskrieg wohlgeübte Truppen ins Feld führten und planmäßig vorgingen, unterwarfen sich bald die Städte