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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griechenland

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Griechenland (Neu-G.: Geschichte bis 1718).

bald an die Genuesen, bald an die Venezianer anschlossen, zu sichern, so daß Naxos erst im 16. Jahrh. dem osmanischen Reich einverleibt ward, während die Herrschaft der venezianischen Nobili auf den übrigen Inseln, die meist wieder von den Byzantinern erobert wurden, von weit kürzerm Bestand war; auch diese Inseln fielen endlich den Türken zu.

Mit mehr Schwierigkeit war für die Osmanen die Eroberung der zahlreichen unmittelbaren Besitzungen der Venezianer im Archipel und auf dem Festland verbunden, welche unter deren trefflicher Verwaltung in Handel und Gewerbe eine große Blüte erreicht hatten. Modon, Argos, Napoli di Romania und andre wichtige Punkte mußten nach und nach den Venezianern abgerungen werden. 1462 fiel das wichtige Lesbos in Mohammeds I. Gewalt. Der Krieg der Türken mit den Venezianern dauerte 15 Jahre (1464-79), vernichtete den Handel der Republik und veranlaßte verheerende Einfälle der Türken in das italienische Gebiet; die meisten Besitzungen im Archipel, namentlich 1470 das wichtige Negroponte (Euböa), gingen für die Venezianer verloren, die im Frieden von Konstantinopel von ihren griechischen Erwerbungen nur wenige Platze auf Morea behielten. Doch trat ihnen der Sultan noch 1480 die dem Despoten von Arta abgenommenen Inseln Zante und Kephalonia gegen einen jährlichen Tribut ab. Ein zweiter Krieg (1499-1503) entriß den Venezianern auch Lepanto, Koron, Navarino und Ägina, die sie 1503 im Frieden mit Bajesid II. gegen Handelsbegünstigungen abtraten. Die Insel Rhodos ward 1522 den Johannitern, der Rest von Morea 1540 und Cypern 1571 den Venezianern entrissen, denen ein 1573 abgeschlossener Friede nur noch einige Festungen auf der albanesischen Küste, Kreta und die Ionischen Inseln ließ.

Griechenland unter der Herrschaft der Türken.

Mit dem Frieden von 1503 war die Herrschaft der Pforte auf dem griechischen Festland entschieden. G. ward nun völlig zur türkischen Provinz, der ein Beglerbeg vorstand, und welche nach osmanischer Weise wieder in mehrere Sandschaks geteilt war, von denen das von Morea, von einem Bei verwaltet, das bedeutendste war. Die Kykladen gaben anfangs nur einen bestimmten jährlichen Tribut, blieben aber infolge der häufigen Angriffe der Malteserritter faktisch unabhängig und zahlten den Tribut (zusammen jährlich ungefähr 300,000 Piaster) auch nur dann, wenn der Kapudan-Pascha mit seiner ganzen Flotte im Ägeischen Meer erschien, um ihn beizutreiben. Ein neuer Krieg mit den Venezianern brachte auch Kreta 1659 in den Besitz der Türken, die dagegen in dem nächsten Krieg von 1687 bis 1699 Morea verloren, wo nun von den Venezianern eine geordnete, wenn auch despotische Verwaltung eingeführt wurde. Der Kampf um die Halbinsel dauerte fort bis 1715; die Türken gewannen damals Morea wieder und erhielten es 1718 im Passarowitzer Frieden nebst noch einigen Punkten förmlich abgetreten. G., nun wieder ganz türkisch, wurde in Paschaliks geteilt und dem Rumeli-Valessi (Großrichter von Rumelien) untergeordnet, während 31 Inseln des Ägeischen Meers dem Namen nach dem Kapudan-Pascha und andern türkischen Beamten zur Verwaltung oder vielmehr Nutznießung überlassen wurden.

Das Verhältnis der Griechen unter der türkischen Herrschaft war anfangs kein sehr drückendes; es war ihnen sogar eine gewisse Freiheit gesichert, und namentlich litten sie bis zum Tod Solimans I. weniger durch die türkische Unterjochung als dadurch, daß G. der Zankapfel zwischen der Pforte und den abendländischen Seemächten war. Unerträglicher wurden das Verhältnis durch das Verwaltungssystem, das nach der letzten Eroberung eingeführt ward. Die Käuflichkeit und der häufige Wechsel der Beamtenstellen verführten zur Willkür in Erhöhung der Abgaben und machten ein Aussaugungssystem herrschend, das bald zur grausamsten Despotie ausartete. Dies und der Umstand, daß der größte Teil des Grundeigentums in die Hände der Türken gefallen war, lähmte die produktive Thätigkeit des Landes völlig und bewirkte, daß die Griechen sich fast ausschließlich auf den Handel warfen. Nur die Inseln und einige Gebirgsdistrikte bewahrten sich eine gewisse Unabhängigkeit, die auch für den spätern Freiheitskampf von dem bedeutendsten Einfluß war. Auf dem Festland war mit der politischen Vernichtung die Ertötung alles wissenschaftlichen Lebens und die servile Entwürdigung in sittlicher Hinsicht notwendig verbunden gewesen, und so würde die Nationalität der Griechen wohl zu Grunde gegangen sein, wenn sie nicht durch zwei Institute, die Kirche und die Lokalverwaltung, noch aufrecht erhalten worden wäre. Die griechische Kirche, die von den Türken, wenn auch mit Verachtung, geduldet wurden und mit der griechischen Sprache zugleich ein nationales Unterscheidungszeichen von den herrschenden Bekennern des Islam erhielt, nahm sich durch den Patriarchen und die heilige Synode zu Konstantinopel der Rechte der Griechen der Pforte gegenüber mit Erfolg an, bildete einen Mittelpunkt der Nation und übte einen mächtigen Einfluß auf die innern Angelegenheiten derselben aus. Für die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten blieben den Griechen ferner selbstgewählte Lokalobrigkeiten, die Demogeronten (auch Archonten, Primaten, Ephoren, Kodscha-Baschi) genannt, die an manchen Orten im erblichen Besitz ihres Amtes den Charakter eines Provinzial- und Landadels annahmen. Dieser bewahrte eine gewisse Selbständigkeit, verhinderte die politische Vermischung der Griechen mit den Türken und war eine treffliche Grundlage zu einem spätern politischen Organismus. Neben ihnen erhoben sich seit dem Anfang des 18. Jahrh. als eine Art Patriziat die Fanarioten (s. Fanar), die auf die türkische Regierung und ihre Beziehungen zu der griechischen Nation bedeutenden Einfluß gewannen, den jedoch ihr Ehrgeiz, ihre Herrschsucht und ihre intrigenvolle Gewandtheit um alle wohlthätigen Folgen in nationaler Hinsicht brachten. Außer ihnen machten sich noch als besondere Klasse die Armatolen (s. d.) an der Spitze ihrer kriegerischen Klephthen ("Räuber") geltend, welche in den gebirgigen Gegenden Nordgriechenlands den türkischen Befehlshabern gegenüber eine gewisse Unabhängigkeit behaupteten.

Von großer Bedeutung für die Kultur der Neugriechen war auch die Ausbreitung ihres Handels, der sie nötigte, für eine eigne Marine zu sorgen, und sie mit den zivilisierten Völkern in Verbindung brachte. Von griechischen Handelshäusern ging die Gründung der ersten griechischen Bildungsanstalten in der Türkei aus, welche, von den Türken anfangs beschränkt, sich durch den Schutz Rußlands immer mehr erweiterten. Endlich bewahrten sich die Griechen unversehrt das Gut ihrer nationalen Sprache, die unter der türkischen Herrschaft nicht zurückgedrängt, vielmehr von den zahlreichen eingewanderten Albanesen angenommen wurde. Ihre Litteratur beschränkte sich freilich auf das Volkslied. Dies alles bewirkte, daß sich trotz des religiösen Aberglaubens,