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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griechenland

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Griechenland (Neu-G.: Geschichte bis 1822).

die Stadt Kalabryta erobert. Kolokotronis, der die Arkadier, und Petros Mauromichalis, der die Mainoten insurgierte, siegten in mehreren Gefechten, nahmen mehrere Städte ein und bildeten in Kalamata eine Art Nationalversammlung unter dem Namen des "Senats von Messenien", welcher 9. April seine Sitzungen eröffnete, den Aufstand zu organisieren begann und die Geschäfte einer Regierung übernahm. Am 7. April wurde Athen eingenommen, die türkische Besatzung auf die Akropolis beschränkt. In Böotien pflanzte der kühne und schlaue Odysseus die Fahne der Empörung auf. Nach dem Vorgang von Hydra, Spezzia, Ipsara, Tino und Samos schlossen sich auch die meisten Inseln des Archipels der Erhebung an, und in kurzer Zeit wurde eine Flotte von 180 trefflich bemannten Briggs zusammengebracht, deren Oberbefehl man Jakob Tombazis übertrug, und die bald zahlreiche türkische Handelsfahrzeuge aufbrachte, welche ansehnliche Beute lieferten. Die Ereignisse auf Morea öffneten der Pforte die Augen über die Bedeutung der Ereignisse. Ein Hattischerif des aufs äußerste erzürnten Großherrn Mahmud II. rief alle Muselmanen unter die Waffen, und der türkische Pöbel stürzte sich mordend über die griechischen Bewohner Konstantinopels und andrer türkischer Städte, besonders an der asiatischen Küste. In der Hauptstadt wurden 300 der reichsten Kaufleute hingerichtet. Der Patriarch von Konstantinopel, Gregorios, ward am Osterfest (22. April) nach vollendetem Gottesdienst nebst mehreren andern Geistlichen an der Thür der Kirche aufgehängt. An 200 Kirchen (16 in Konstantinopel) wurden aller Protestationen der christlichen Gesandten ungeachtet zerstört, ja diese Gesandten selbst mit argwöhnischen Augen betrachtet, der russische, Stroganow, offen insultiert, die Wohnung eines Gesandtschaftsrats vom Pöbel demoliert und der Bosporus den Russen geschlossen.

Die Nachricht von diesen Greueln konnte die Wut der Insurgenten nur steigern; auch in den bisher noch ruhigen Distrikten Griechenlands wurde nun die Fahne des Aufstandes erhoben. Eleusis, Megara und alle bedeutenden Ortschaften der Korinthischen Landenge erhoben sich; ein vormaliger Mönch, Dikaios, nahm Korinth und schloß die Türken in die Burg ein, während sein Waffenbruder Diakos sich in den Thermopylen festsetzte, um einem türkischen Heerhaufen die Straße nach Athen zu verlegen. Zwar erfocht Omer Vrione 4. Mai an den Thermopylen einen blutigen Sieg über die Griechen, und Diakos erlitt nach heldenmütigem Kampf einen martervollen Tod; aber nun eilte Odysseus zur Rache herbei, trieb jenen bis Brodnizza zurück und eroberte die Burg von Arachova, und bald stand von den Thermopylen bis zum Ambrakischen Meerbusen ganz Hellas in Waffen. Auch die Ionischen Inseln unterstützten den Aufstand durch Lieferungen von Geld und Kriegsbedürfnissen. Auf Kreta wurden die Türken in ihre festen Plätze Kanea und Suda zurückgedrängt, Samos trotzte allen Angriffen, und eine gewaltige türkische Flotte, welche diese Warte der Freiheit zertrümmern sollte, wurde 21. Juli von zwei griechischen Brandern in die Flucht geschlagen. Mit dem alten Ali Tepelen von Janina verbündet, rückten Anfang Mai auch die Sulioten aus ihren Bergen hervor, schlugen türkische Truppen bei Kandscha, organisierten sich hierauf unter Marko Botzaris, riefen die ganze Landschaft von Margeriti und Prevesa zu den Waffen, eroberten die Feste Variades, die den Eingang nach Suli deckte, schlugen in der Ebene von Passaron Ismail Pascha und nahmen endlich eine Stellung bei Plaka. Namentlich auf Morea blieb der Aufstand siegreich. Die Versuche mehrerer türkischer Heere, den Hauptplatz von Morea, Tripolizza, zu entsetzen, wurden durch die Tapferkeit der griechischen Scharen zurückgeschlagen. Am 5. Okt. 1821 wurde Tripolizza mit Sturm genommen, die Besatzung von 8000 Mann niedergemacht und Kolokotronis' Sohn Panos als Statthalter eingesetzt.

Die Uneinigkeit unter den griechischen Führern, welche mancherlei Unfälle verschuldete, hatte schon längst das Bedürfnis einer festen Verfassung fühlbar gemacht. Zwar waren bereits im Anfang der Bewegung zu Kalamata in Messenien, dann auch auf Hydra und in andern Teilen des Landes Regierungen unter verschiedenen Namen errichtet worden. Dies befriedigte aber das dringende Bedürfnis der Einheit nicht, und es ward deshalb im Dezember 1821 eine allgemeine Nationalversammlung nach Argos ausgeschrieben, welche aus 67 Abgeordneten aller griechischen Provinzen bestehende Versammlung sich bald darauf nach Epidauros (Piada) begab, um hier eine Unabhängigkeitserklärung und den Entwurf einer vorläufigen Regierungsverfassung zu beraten. Die 1. Jan. 1822 bekannt gemachte provisorische Staatsverfassung, das "organische Gesetz von Epidauros", stellte als allgemeine Grundsätze auf: allgemeine Duldung in Religionssachen, gleiche Rechte vor Gericht, zu Ämtern und bei Abgaben. Die Regierung sollte in einen gesetzgebenden Rat von 70 und einen vollziehenden Rat von 5 Mitgliedern zerfallen; letzterer sollte für die Vollziehung der Gesetze sorgen und 8 Minister ernennen. Die Rechtspflege sollte unabhängig von beiden sein. Als Gesetzbuch ward das der alten griechischen Kaiser, für den Handel das französische angenommen. Der Fanariot, Fürst Alexander Maurokordatos, der mit europäischer Zivilisation und Politik vollkommen vertraut war, ward zum Präsidenten (Proedros) und Theodor Negris zum Staatssekretär ernannt. Der Kongreß erklärte zunächst 22. Jan. 1822 die Vereinigung Griechenlands zum unabhängigen Föderativstaat sowie den Blockadezustand jedes von den Türken besetzten Ortes.

Indessen machte sich bald der Mangel eines gut organisierten Heers und des Geldes, noch mehr aber eines Hauptes geltend, das den Aufstand zu beherrschen und zu leiten fähig gewesen wäre. Dazu hatten sich Rußland und Österreich gegen den Aufstand erklärt, England zeigte sich geradezu feindselig, Frankreich bewahrte eine strenge Neutralität, und die Pforte suchte dadurch, daß sie mit Rußland wieder in engere Verbindung trat, mehrere griechische Kirchen in Konstantinopel wieder aufbaute und einen neuen Patriarchen wählen ließ, die asiatischen Horden, welche Jassy noch beim Abzug in Brand steckten, aus der Moldau und Walachei zurückzog und neue und eingeborne Hospodare einsetzte, feindlichen Bewegungen auf dieser Seite vorzubeugen, um alle Streitkräfte gegen das eigentliche G. konzentrieren zu können. Zwei Flotten wurden ausgerüstet, in Konstantinopel und von Mehemed Ali in Ägypten, um den Landkrieg zu unterstützen, für den nun auch nach der Bezwingung Ali Paschas (5. Febr. 1822) die Truppen in Albanien verfügbar waren. Die Anfänge waren allerdings nicht glücklich. Ein türkisches Korps von 1500 Mann ward bei Vostizza zurückgeschlagen und eine andre Schar in den Engwegen des Makrynoros bis auf 600 Mann zusammengehauen. Der Seraskier selbst, der mit 3000 Mann bei Vonizza landete, wurde hier von Makrys mit großem