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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Großbritannien

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Großbritannien (Geschichte: Richard Löwenherz, Johann ohne Land).

Erzbischof nahm diese Beschlüsse anfangs gezwungen an, erklärte sich aber später dagegen; es kam zu offenem Bruch zwischen ihm und dem König; Becket floh 1164 nach dem Festland, kehrte aber 1170 zurück und wurde 29. Dez. 1170 von mehreren Höflingen, welche den Wunsch des Königs, von dem ränkesüchtigen Priester befreit zu werden, erfüllen wollten, in der Kathedrale zu Canterbury ermordet. Eine Folge davon und der Wunder, die man am Grab des Ermordeten geschehen ließ, waren mehrfache Aufstände. Heinrich mußte sich entschließen, am Grab des Märtyrers 1174 Kirchenbuße zu thun und auf die Ausführung der Konstitutionen von Clarendon zu verzichten. Was ihn vornehmlich zu diesem Zurückweichen nötigte, war ein allgemeiner Aufstand, der im Zusammenhang mit den durch Becket hervorgerufenen Wirren 1173 ausgebrochen war, und dessen Führer Heinrichs gleichnamiger, 1171 zum Mitregenten erhobener Sohn, unterstützt von den Königen von Frankreich und Schottland sowie einer großen Zahl mißvergnügter Barone, geworden war. In Frankreich errang Heinrich II. persönlich eine Reihe von Siegen, in England blieben seine Getreuen ebenso entschieden im Vorteil, und der schließliche Sieg des Königs, der wesentlich von der angelsächsischen Bevölkerung unterstützt wurde, war ein so vollständiger, daß Heinrich in dem am 30. Sept. 1174 abgeschlossenen Frieden großmütige Milde zeigen konnte.

Die wiederhergestellte Ruhe benutzte der König zur Durchführung einer Reihe von innern Reformen, von welchen die auf der Reichsversammlung zu Northampton (im Januar 1176) beschlossenen die wichtigsten sind. Ganz England wurde hier in sechs Gerichtsbezirke geteilt, und für jeden derselben wurden drei Richter bestellt, welche als fahrende Richter (justices itinerant) für ihren Bezirk im Namen des Königs Recht sprechen sollten. Ebenso wurde damals das Institut der Geschwornengerichte zwar nicht begründet, aber doch konsolidiert und gekräftigt, freilich in einer Gestaltung, die von der heutigen sehr verschieden ist, der aber diese doch ihren Ursprung verdankt. Auch der erst Ende 1875 aufgehobene höchste englische Gerichtshof, die King's (Queen's) Bench, hat seinen Ursprung in den Tagen Heinrichs II., der 1178 ein ständiges Richterkollegium von fünf Männern am Hof einsetzte, das in Zivil- und Kriminalklagen anstatt des Königs richtete. Endlich trat auch die Bildung einer andern ständigen Oberbehörde, der Schatzkammer (Exchequer), gerade zur Zeit Heinrichs II. deutlicher hervor, so daß die jahrhundertelang beibehaltenen Normen der englischen Gerichts- und Finanzverfassung zum großen Teil auf seine Regierung zurückzuführen sind. Heinrichs letzte Jahre waren dann von neuen Sorgen und Kämpfen erfüllt, welche durch die Empörungen seiner von Frankreich unterstützten Söhne hervorgerufen wurden. 1183 erhob sich Heinrich der jüngere, gereizt durch die scharfen Verse des Troubadours Bertran de Born, starb aber schon 11. Juni d. J. Seit 1187 neigte sich der zweite Sohn des Königs, Richard, dem Aufstand zu und erhob sich nach scheinbarer Versöhnung aufs neue gegen den Vater, als ihm dieser die feierliche Anerkennung als Nachfolger verweigerte und ihn von seiner Verlobten, Alice, der Schwester des Königs Philipp August von Frankreich, trennen wollte. Philipp unterstützte den Empörer, und selbst Johann, der Lieblingssohn des Königs, wandte sich diesem zu. Heinrich, durch diese Schicksalsschläge gebrochen, mußte den schimpflichen Frieden von Azay unterzeichnen und starb kurz darauf, 6. Juli 1189.

Richard I., Löwenherz (1189-99), Heinrichs II. zweiter Sohn und Nachfolger, hatte von seines Vaters Herrschertugenden nur die Tapferkeit geerbt. Während seines mit Philipp August von Frankreich unternommenen Kreuzzugs gegen den ägyptischen Sultan Saladin (s. Kreuzzüge) herrschte in England die größte Anarchie. Richards Bruder Johann befehdete den von jenem eingesetzten Reichsverweser William Longchamp, Bischof von Ely, der sich durch seinen Hochmut und die Begünstigung seiner normännischen Anhänger allgemeinen Haß zugezogen hatte, verband sich mit Philipp August, der nach seiner Rückkehr aus Palästina Richards französische Besitzungen bedrohte, und bemächtigte sich nach Aussprengung des Gerüchts, Richard sei gestorben, der Regierung. Richard war indessen auf der Rückkehr vom Orient in der Nähe von Wien durch Herzog Leopold von Österreich gefangen genommen und an den deutschen Kaiser Heinrich VI. ausgeliefert worden, der ihn erst nach langen Verhandlungen gegen das hohe und mit großer Mühe von den Engländern aufgebrachte Lösegeld von 100,000 Mark Silber im Februar 1194 freigab. Er kehrte darauf über Antwerpen nach England zurück, landete 13. März 1194 bei Sandwich, nötigte seinen Bruder zur Unterwerfung und besiegte Philipp August, der die Normandie angegriffen hatte, bei Gisors (28. Sept. 1198), worauf ein Friede zwischen beiden zu stande kam. 1199 unternahm Richard einen Zug gegen seinen Lehnsmann, den Vicomte Guidomar von Limoges, starb aber, durch einen Pfeilschuß bei der Belagerung der Burg Chaluz verwundet, 6. April 1199. Ihm folgte sein Bruder, der Graf von Mortagne, Johann, dem sein Vater einst den Beinamen Ohne-Land gegeben hatte (1199-1216); ihn hatte Richard vor seinem Tod zum Nachfolger ernannt, obwohl der Sohn seines ältern Bruders Gottfried, Arthur von der Bretagne, nähere Ansprüche gehabt hätte. Diese Ansprüche versuchte Arthur mit Hilfe Philipps von Frankreich geltend zu machen, fiel aber in die Hände seines Oheims und wurde wahrscheinlich auf dessen Befehl 1203 ermordet. Philipp lud darauf den König Johann, einen der unfähigsten Fürsten, die England beherrscht haben, nach Paris vor seinen hohen Lehnshof und ließ ihn, als er nicht erschien, aller seiner französischen Lehen verlustig erklären und zum Tod verurteilen, worauf er fast alle festländischen Besitzungen Johanns eroberte.

Bald darauf wurde des Königs Lage noch gefährlicher. Als nämlich 1205 der Erzbischof Hubert von Canterbury gestorben war, kam es über die Wahl seines Nachfolgers zu einem Streit mit Papst Innocenz III.; dieser sprach, nachdem Johann die Güter des Erzstifts mit Beschlag belegt hatte, 1208 das Interdikt über ganz England aus und exkommunizierte den König. Johanns Barone, bei denen der unzuverlässige, grausame und genußsüchtige Fürst allgemein verhaßt war, drohten deshalb abzufallen, und Philipp von Frankreich rüstete 1213 ein großes Heer, um in England einzufallen und den Bannstrahl zu vollstrecken. In dieser Not faßte Johann den verzweifelten Entschluß, sich dem Papst zu unterwerfen. Er legte 15. Mai 1213 die Krone von England und Irland nieder, um sie als päpstliches Lehen gegen eine jährliche Abgabe von 1000 Mark Sterl. zurückzuempfangen. Dieser schmähliche Vertrag brachte ihm allerdings die päpstliche Absolution; aber der Kampf mit Frankreich, in welchem Johann sich mit dem deutschen Kaiser Otto IV. verband, dauerte fort, und in der Schlacht bei Bou-^[folgende Seite]