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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Großbritannien

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Großbritannien (Geschichte: Heinrich IV., Heinrich V.).

ders darauf, daß er willkürliche Verhaftungen angeordnet, die Geistlichen zu Abgaben gezwungen und vor weltliche Richter gestellt, Sheriffs ohne Wahl ernannt, die freie Wahl der Parlamentsmitglieder beschränkt, die Kronschätze ohne Genehmigung der Stände versetzt und überhaupt eine Willkürherrschaft angestrebt habe. Der Herzog von Hereford als nächstberechtigter Enkel Eduards III. bestieg nunmehr den Thron unter dem Namen Heinrich IV.; Richard aber wurde nach dem Schloß Pontefract geschickt, wo er 1400 entweder von seinen Wächtern ermordet ward, oder den Hungertod starb.

Die parlamentarische Verfassung hatte sich, wie hier noch einmal rekapituliert werden möge, unter den letzten Regierungen immer fester entwickelt und besonders zu immer steigender Bedeutung des Hauses der Gemeinen geführt. Aus dem Petitionsrecht sowie aus dem Steuerbewilligungsrecht erwuchsen demselben alle andern Rechte, welche es nach und nach errang. Neue Vorstellungen für Verbesserungen, neue Bitten um Schutz gegen Mißbräuche wurden von dem Hause stets an seine Geldbewilligungen geknüpft. Unter Eduard III. legte das Haus der Gemeinen den Grundstein zu seiner Macht und bildete sich seit seiner Trennung vom Oberhaus zu einem abgeschlossenen Staatskörper aus, der sich in seinem Sprecher dem König wie dem Oberhaus gegenüber ein Organ schuf. In der Regel ging schon die Initiative zu allen wichtigern Akten von ihm aus; die gewöhnliche Formel, mit der die Statuten verkündet wurden, lautete: der König verordnet auf Antrag der Gemeinen mit Zustimmung der Lords und Prälaten. Unter Richard II. erhielt das Haus der Gemeinen das Zugeständnis, daß "bei Feststellung der Gesetze, der Geldbewilligungen und aller sonstigen Dinge für den gemeinen Nutzen des Königreichs seine Zustimmung erforderlich sei", daß es ohne dieselbe an kein Gesetz gebunden sein sollte. Endlich hatte es, wie erwähnt, unter Eduard III. 1376 zum erstenmal als geschlossene Korporation von seinem Anklagerecht Gebrauch gemacht, und unter Richard II. erfolgten schon sehr häufig Anklagen gegen große Kronbeamte, bis dann der König selbst durch einen Anklageakt des Parlaments, den sechs Prokuratoren, zwei für die Prälaten, zwei für die weltlichen Lords, zwei für Ritter und Gemeine, vertraten, seines Throns verlustig erklärt ward.

Herrschaft des Hauses Lancaster.

Mit Heinrich IV. (1399-1413) kam das Haus Lancaster auf den Thron. Auch er hatte mit vielfachen Verschwörungen zu kämpfen; schon 1400 versuchten zahlreiche Edelleute in Windsor sich seiner Person zu bemächtigen, büßten aber, nachdem ihr Plan gescheitert war, mit dem Leben. 1402 trat in Schottland ein falscher Richard II. auf, der zahlreiche Anhänger fand; an der Nordgrenze dauerte der Kampf zwischen schottischer und englischer Ritterschaft fort; letztere unter Führung des Grafen von Northumberland und seines Sohns Heinrich Percy, genannt Hotspur ("Heißsporn"), siegte bei Nesbit Moor 26. Juni und Homildonhill 14. Sept. Bald nachher kam es aus noch wenig bekannten Gründen zu einem Bruch zwischen dem König und den Percys; dieselben wandten die Waffen gegen Heinrich, doch die Schlacht bei Shrewsbury 21. Juli 1403, in der Percy fiel, entschied für den König. Northumberland ergab sich darauf, wurde 1404 begnadigt, empörte sich aber 1405 aufs neue in Verbindung mit dem Erzbischof von York und dem schon seit 1401 im Aufstand begriffenen Owen Glendower, welcher Titel und Herrschaft der alten Fürsten von Wales beanspruchte und seine Landsleute um sich zu scharen gewußt hatte. Trotzdem Frankreich und Schottland die Empörer unterstützten, behauptete sich Heinrich, nahm 1405 den Erzbischof gefangen und ließ ihn hinrichten, zwang Northumberland zur Flucht und brach seine Burgen, nahm den Thronfolger von Schottland, den Prinzen Jakob, dessen Vater Robert III. 1406 starb, durch einen glücklichen Zufall auf einer Fahrt nach Frankreich gefangen und verband sich gegen das letztere mit dem Herzog von Burgund. Als Northumberland 1408 wieder in England einfiel, verlor er 15. Febr. bei Bramham Sieg und Leben, während gleichzeitig der gleichnamige Sohn Heinrichs wenigstens den Süden von Wales wieder unterwarf. Im Innern verband sich Heinrich IV. mit dem orthodoxen Klerus und bekämpfte die Anhänger Wiclefs, die Lollarden (s. d.); unter ihm flammten die ersten Scheiterhaufen in England. Auch mit dem Parlament stand der König in gutem Einvernehmen, sicherte den Gemeinen ihr Steuerbewilligungsrecht und ihren Anteil an der Gesetzgebung, räumte ihnen 1404 sogar eine Kontrolle über die Verwendung der bewilligten Steuern ein und gewährte ihnen in seinem neunten Regierungsjahr das Recht der Initiative in Geldangelegenheiten (the originating of money bills). Anderseits wußte Heinrich auch seine Prärogative zu wahren und wies 1406 den kecken Antrag der Gemeinen, einen Teil der kirchlichen Güter einzuziehen, ungnädig zurück. Ein kraftvoller und kluger Herrscher, unter dem sich Englands Handel und Wohlstand bedeutend hoben, starb Heinrich 20. März 1413 und hinterließ das Reich seinem Sohn.

Heinrich V. (1413-22) war als Prinz von Wales von seinem Vater wegen des ausschweifenden Lebenswandels, dem er sich ergeben hatte, wiederholt zurückgesetzt worden, entfaltete aber nach seiner Thronbesteigung im Kabinett wie im Feld eine seltene Begabung. Daß er die lustigen Genossen seiner zügellosen Jugend aus seiner Umgebung entfernte, ist historische Wahrheit; wenn aber Shakespeare ihn auch den Ratgebern seines Vaters, die ihn bis dahin verfolgt hatten, verzeihen läßt, so ist das Erdichtung: die einflußreichsten derselben wurden gleich in den ersten Tagen der neuen Regierung entfernt. In der Verfolgung der Lollarden ahmte er seinem Vater nach, erstickte einen Aufstand derselben 1414 im Keim und ließ die ergriffenen Rädelsführer hinrichten. Unmittelbar darauf erneuerte er die Ansprüche Eduards III. auf den französischen Thron, indem er die innern Zerrüttungen Frankreichs unter dem wahnsinnigen König Karl VI. benutzte, schloß einen geheimen Bundesvertrag mit dem Herzog von Burgund, landete im August 1415 mit 30,000 Mann in der Normandie und bemächtigte sich infolge seines Siegs bei Azincourt 25. Okt. fast der ganzen Normandie. Ein Vermittelungsversuch des deutschen Kaisers Siegmund, der 1416 selbst nach England kam, blieb erfolglos; Heinrich landete 1417 abermals in Frankreich, eroberte 1419 Rouen, knüpfte nach der Ermordung des Herzogs Johann von Burgund das Bündnis mit dessen Nachfolger Philipp noch enger und schloß 21. März 1420 mit Karl VI. den Frieden zu Troyes. Er wurde durch denselben zum Erben der französischen Krone ernannt, worauf er sich mit der Prinzessin Katharina, der Tochter Karls VI., vermählte, verscherzte aber die Gunst des Volkes durch Hochmut und Härte. Als der enterbte Dauphin darauf den Kampf fortsetzte und 1421 bei Baugé einen Vorteil über den Herzog von Clarence gewann, ging Heinrich noch einmal nach Frankreich, um den Fortschritten des Dauphins Einhalt zu