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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Großbritannien

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Großbritannien (Geschichte 1882-1885).

Alexandria und begannen gegen den sich zurückziehenden Arabi einen förmlichen Feldzug, für den das Parlament 28. Juli einen Kredit bewilligte. Unter Führung von Sir Garnet Wolseley und unter Mitwirkung indischer Truppen unter General Macpherson wurden 13. Sept. die Erdwerke Arabis bei Tel el Kebir erstürmt und sein Heer gänzlich zerstreut; der Pascha floh nach Kairo und wurde 15. Sept. gefangen genommen. Im Oktober kehrte die Hauptmasse der englischen Armee unter Wolseley in die Heimat zurück; nur ein Korps von 12,000 Mann blieb in Ägypten.

Es konnte nicht fehlen, daß der glänzende Erfolg einer so energischen auswärtigen Politik Gladstones, wie man sie ihm kaum zugetraut hätte, auch die Stellung der Regierung im Innern stärkte. Am 24. Okt. trat das vertagte Parlament zur Herbstsession wieder zusammen. Nachdem in beiden Häusern ein Dankesvotum für die Armee und Flotte sowie ihre Führer beschlossen war, vertagten sich die Lords bis zum 11. Nov.; das Unterhaus begann die Debatten über die Reform der Geschäftsordnung. Die von Gladstone beantragten Resolutionen, welche den Debattenschluß einführten, strenge Maßregeln gegen die Obstruktionisten trafen und die Einsetzung ständiger Kommissionen des Hauses nach festländischem Muster ermöglichten, wurden trotz des Widerstandes der Konservativen und der Iren mit einigen Abänderungen angenommen, und 2. Dez. konnte nach diesem großen Erfolg der Regierung die außerordentliche Session des Parlaments geschlossen werden.

Bald nach dem Schluß der Session traten in dem Bestand des Ministeriums eine Reihe von Veränderungen ein; Gladstone behielt zwar die Leitung desselben bei, legte aber sein Amt als Schatzkanzler nieder; an seine Stelle trat der bisherige Kriegsminister Childers. Das Portefeuille des Kriegs übernahm der Minister für Indien, Lord Hartington, den wiederum der bisherige Kolonialminister Lord Kimberley ersetzte. Neue Mitglieder des Kabinetts wurden Lord Derby, der am 16. Dez. zu Kimberleys Nachfolger ernannt wurde, und Sir Charles Dilke, der am 27. Dez. das Präsidium des Lokalverwaltungsamtes (Local Government Board) übernahm. Durch diese Ernennungen ward innerhalb der Regierung das Gleichgewicht zwischen den beiden aufeinander eifersüchtigen Schattierungen der liberalen Partei ziemlich unverändert erhalten.

Dennoch wurde die Stellung des Ministeriums durch die Ereignisse der beiden Jahre eine immer schwächere. Die Parlamentssession von 1883, die vom 15. Febr. bis 25. Aug. dauerte, verlief zwar nicht ganz so ergebnislos wie die vorangehenden; insbesondere bewährten sich die 1882 eingesetzten permanenten Kommissionen, so daß ein Bankrott- und ein Patentgesetz, Pachterbills für England und Schottland sowie ein Gesetz über die Errichtung von Sekundärbahnen und Vizinalwegen in Irland zu stande kamen. Aber auf die von der Regierung geplanten, dringend notwendigen Reformen des Strafrechts und der Gerichtsverfassung mußte sie verzichten, und eine empfindliche Niederlage erlitt Gladstone, als eine von ihm eingebrachte Bill, welche den parlamentarischen Eid durch ein einfaches Gelübde ersetzen und somit Bradlaugh den Eintritt ins Unterhaus ermöglichen sollte, 3. Mai mit 292 gegen 284 Stimmen abgelehnt wurde. Auch die irische Frage gestaltete sich nicht günstiger. Dynamitattentate in London, Liverpool, Glasgow u. a. O. zeigten der englischen Gesellschaft immer aufs neue die entsetzlichen Gefahren, die ihr von einer Bande gewissenloser, zu allem entschlossener Verschwörer bereitet wurden, und gegen die auch das 10. April beschlossene strenge Gesetz über die Fabrikation und den Gebrauch von Sprengstoffen keine ausreichende Sicherheit gewährte. Die Ermordung des Kronzeugen Carey, der in einem Prozeß gegen irische Verschwörer zu gunsten der Regierung ausgesagt hatte, auf einem britischen Dampfer angesichts der Küste Afrikas (30. Juli), wohin man ihn hatte in Sicherheit bringen wollen, zeigte in erschreckender Weise, wie zuverlässig die Organisation dieser Verschwörer war und die fortdauernden, durch keine Strenge zu unterdrückenden Verbrechen in Irland wiesen die öffentliche Meinung wieder und wieder auf diese blutende Wunde im britischen Staatskörper hin. Vor allem aber offenbarte sich die Schwäche der Regierung in ihrer auswärtigen Politik. Nach den energischen Anläufen des Vorjahrs hatte Gladstone zwar begonnen, sich in Ägypten häuslich einzurichten, die französische Mitwirkung an der Finanzkontrolle beseitigt (Januar 1883), durch Lord Dufferin eine konstitutionelle Verfassung ausarbeiten lassen, englische Beamte und Offiziere dem Chedive zur Seite gestellt. Aber an Klarheit und Energie ermangelte es der britischen Regierung hier durchaus. Indem sie weder von einer definitiven Einverleibung Ägyptens oder der Errichtung einer britischen Schutzherrschaft daselbst noch von der Zurückziehung ihrer Armee aus dem Nilland etwas wissen wollte, machte sie es keiner Partei im Land recht und fand bei keiner europäischen Regierung Unterstützung für ihr Verhalten. Vor allem aber erwuchs ihr aus dem Sudân eine Gefahr, der sie sich nicht gewachsen zeigte. In dieser 1870 in Ägypten einverleibten Provinz Zentralafrikas war schon im J. 1882 eine zugleich religiöse und nationale Bewegung ausgebrochen, an deren Spitze sich der Mahdi (Prophet) Mohammed Achmed stellte. Dieser Aufstand machte die größten Fortschritte; die ihm entgegengesandte, von englischen Offizieren begleitete und von dem Engländer Hicks Pascha befehligte Armee erlitt 3. Nov. 1883 eine vernichtende Niederlage, die den Verlust des ganzen Landes südlich vom ersten Katarakt des Nils herbeiführte. Dem gegenüber beschloß die britische Regierung die Räumung des Sudân und die Preisgebung dieses ganzen weiten Gebiets an den religiösen Fanatismus des Mahdi. Als dieser Entschluß in G. die lebhafteste Entrüstung in weiten Kreisen des Volkes hervorrief, verstand sich Gladstone zwar dazu, im Januar 1884 den General Gordon (s. d.) nach Ägypten zu entsenden, welchen der Chedive zum Generalgouverneur des Sudân ernannte, unterstützte denselben aber mit Geld und Truppen nur in ganz unzulänglicher Weise. So kam es, daß die Dinge sich hier immer ungünstiger entwickelten. Zwar wurde Suakin von den Engländern behauptet; aber ein ägyptisches Korps unter Baker Pascha ward im Februar von den Arabern fast ganz vernichtet, und im April 1884 war Chartum, wo Gordon sich festgesetzt hatte, von den Truppen des Mahdi auf allen Seiten umschlossen. Nun wurde zwar im Sommer Lord Wolseley abermals nach Ägypten geschickt; aber trotz der immer dringenden Hilferufe Gordons nahmen die ins Werk gesetzten überaus umständlichen Unternehmungen zu seinem Entsatz nur einen sehr langsamen Fortgang, und als endlich die englischen Truppen Ende Januar 1885 bis in die Nähe Chartums vorgedrungen waren, war es zu spät: die Stadt war von den Scharen des Mahdi 26. Jan. unter entsetzlichem Gemetzel eingenommen, Gordon durch Verrat ermordet. Nun erhob sich zwar in England ein Schrei