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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Grundeigentum

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Grundeigentum (geschichtliche Entwickelung; Statistisches).

wurden in Form von dauernden Naturalleistungen auf den Grundbesitz gelegt, und vielfach wußte die Kirche ihren Anspruch auf allgemeine Zehntbarkeit durchzusetzen.

So legte sich ein dichtes Netz der mannigfachsten persönlichen und sachlichen Beschränkungen über das G. und dessen Besitzer. Das ganze öffentliche Leben gründete sich auf das Lehnswesen (s. d.). Die Masse des Volkes stand in der mannigfachsten Abhängigkeit von der bloßen Gutsunterthänigkeit bis zur Leibeigenschaft, und das G. war mit den verschiedensten Lasten belegt. Daher die Gebundenheit des Hörigen an den Hof, die Verpflichtung desselben zum Gesindedienst, zu gemessenen und ungemessenen Fronen, das Verbot, sich ohne Zustimmung des Herrn zu verheiraten, der Leibzins, das Erbrecht des Herrn am ganzen Nachlaß oder doch am Besthaupt, die Zehnt-, Zins-, Gültpflichten der mannigfachsten Art, die Lehnsgelder bei jeder Besitzveränderung in der besitzenden oder dienenden Hand, die Polizei- und Gerichtsgewalt des Gutsherrn. Eine wichtige Gegenströmung lag in dem Aufblühen der Städte. Sie gewährten den Zuzüglern die persönliche Freiheit und stellten der auf dem Grundbesitz und dem Schwert beruhenden Macht des Adels eine auf bürgerliche Freiheit, auf Erwerbsthätigkeit und auf deren Frucht, das bewegliche Kapital, gegründete Kraft gegenüber. Mannigfach zeigt sich der Einfluß des allmählich zunehmenden beweglichen Besitzes und des Eindringens des römischen Rechts: auch auf dem Land kam das gleiche Erbrecht beider Geschlechter zur Geltung, das Recht des Erben auf die Einziehung des veräußerten Guts schrumpfte zu dem Recht, in das Erwerbsgeschäft einzutreten (Näherrecht), zusammen. Die Landesherren, Befestigung ihrer Macht und Erweiterung derselben zur Souveränität erstrebend, mußten zur Bekämpfung des Feudaladels sich auf die Bürger stützen und darauf denken, die Abhängigkeit der zahlreichsten Klasse der Bevölkerung von ihren Widersachern zu lösen. Die eigentliche Bedeutung des Lehnswesens aber schwand mehr und mehr, als der reisige Heerdienst durch die Söldner- und Milizheere mit Feuerwaffen, der Hof- und Gerichtsdienst des Adels durch die rechtsgelehrte Büreaukratie verdrängt wurde.

Zwar gelang es im 18. Jahrh. noch hier und da, Bauern in Hörige zu verwandeln. Aber in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wurden in Baden, in Österreich und Preußen die Bande der Hörigkeit gelockert oder ganz gelöst. Jedoch erst die französische Herrschaft in Deutschland oder der Kampf zu ihrer Abschüttelung brachte die vollständige Befreiung. Die Zunahme der Bevölkerung, welche eine stärkere Erzeugung von Nahrungsmitteln erheischte, die Fortschritte des landwirtschaftlichen Betriebs, die Macht des darin angelegten Kapitals und die Verdrängung der Natural- durch die Geldwirtschaft, die volkswirtschaftlichen Lehren der Physiokraten, Adam Smiths und seiner Anhänger, forderten dringend die Beseitigung auch aller jener Feudallasten, welche die freiere und kunstgemäßere Bewirtschaftung des Bodens unmöglich machten oder doch hemmten. Diese Lasten sind denn auch, zum Teil erst infolge der Stürme von 1848, in Österreich und Deutschland mehrfach ohne Entschädigung aufgehoben, zum überwiegenden Teil aber durch Ablösung (s. d.) beseitigt worden. Überhaupt hat die moderne Gesetzgebung in konsequenter Weise die Freiheit des Grundeigentums und die Sicherung einer möglichst freien Ausnutzung desselben zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht (s. Agrarpolitik). Durch die Regelung des Grundbuchwesens ist zu dem den Rechtsverhältnissen bezüglich des Grundeigentums die gehörige rechtliche Sicherheit gegeben (s. Grundbücher).

In England war das Lehnswesen nie zu der Ausbildung gelangt wie in Deutschland; die Leibeigenschaft war im 16. Jahrh. verschwunden, ohne daß es einer gesetzlichen Maßregel bedurft hätte, und der Rest der Lehnslasten wurde nach der Restauration der Stuarts beseitigt. Dort hat sich das System des großen Grundbesitzes ausgebildet, welcher meist von Zeit- oder Erbpachtern bewirtschaftet wird. In Frankreich hatte das Feudalwesen eine ähnliche, vielleicht noch drückendere Entwickelung als in Deutschland. Nachdem dessen politische Bedeutung durch das absolute Königtum vernichtet worden war: wurden die gesamten Feudallasten durch die erste Revolution beseitigt und die vollkommene Freiheit des Grundbesitzes hergestellt. Die ungeheure Vermögensumwälzung, welche jene zur Folge hatte, führte jedoch auch vielfach die weitgehende Zersplitterung des Grundbesitzes herbei, welche eine zweckmäßige und lohnende Bewirtschaftung nicht überall zuläßt. In den slawischen Ländern bestand Leibeigenschaft (s. d.) in ausgedehntem Umfang, daneben aber ein Gesamtbesitz der Bauerngemeinde an der ganzen Flur, die von Zeit zu Zeit neu verteilt wurde. Die Emanzipation der Leibeignen erfolgte unter Kaiser Alexander II. (s. Leibeigenschaft).

Statistisches.

Das G. ist zur Zeit in den Kulturländern sehr verschieden verteilt. Die Art der Verteilung selbst wurde bedingt durch die Bodenverhältnisse, die Gestaltung der Technik und der gesamten wirtschaftlichen und politisch-sozialen Entwickelung. Demgemäß ist auch der Begriff des großen und kleinen Grundbesitzes ein zeitlich und örtlich verschiedener. So rechnet man zum Großgrundbesitz in Frankreich Besitzungen von 56, bez. 100 Hektar, in der Schweiz im Mittelland 25, im Gebirge 7 Hektar, während in England erst Besitzungen von 1000 und 1200 Hektar zu den großen gerechnet werden.

In England war über die Art der Verteilung des Grundbesitzes bis in die 70er Jahre hin nichts Zuverlässiges bekannt. Nach der Aufnahme von 1876 wurden ermittelt:

Klassen der Eigentümer Zahl der Eigentümer Größe des Landbesitzes Abgeschätzter Jahresertrag

Hektar Proz. im ganzen Mill. Mk. auf 1 Besitzer Mk.

In England:

unter 0,4 Hektar 703289 60469 0,5 580 820

0,4-400 Hektar 257578 5666156 42,9 747 2900

400-4000 Hektar 5115 5321689 40,2 460 80000

über 4000 Hektar 293 2156922 16,4 140 480000

In Schottland:

unter 0,4 Hektar 76732 8928 0,2 42 550

0,4-400 Hektar 16158 580977 7,8 91 5600

400-4000 Hektar 1425 1742160 23,1 77 54000

über 4000 Hektar 326 5238217 68,9 60 180000

In Irland:

unter 0,4 Hektar 36144 3645 0,3 27 700

0,4-400 Hektar 28822 1738282 21,5 88 3000

400-4000 Hektar 3453 3737856 46,2 100 30000

über 4000 Hektar 292 2583240 32,0 52 180000

Die Besitzungen mit weniger als 0,4 Hektar sind vorwiegend städtische Grundstücke. Mehr als die Hälfte der Oberfläche Englands befindet sich im Besitz von 5000 Eigentümern, während 874 große Besitzer etwa ein Viertel des Landes innehaben. Der größte Grund-^[folgende Seite]