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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Guizot

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Guizot.

d'histoire moderne" (1828-30, 6 Bde.), wozu die "Histoire de la civilisation en France depuis la chute de l'empire romain jusqu'à la révolution française" (1828-30, 4 Bde.; 14. Aufl. 1886) und die als Einleitung dienende "Histoire de la civilisation en Europe" (1828; 19. Aufl., das. 1883; deutsch, Stuttg. 1844) gehören. In Verbindung mit mehreren Gelehrten besorgte er die "Collection des mémoires relatifs à l'histoire de France depuis la fondation de la monarchie française jusqu'au XIII. siècle" (1823 ff., 31 Bde.) und die "Collection des mémoires relatifs à l'histoire de la révolution d'Angleterre" (1823 ff., 26 Bde.), versah viele Werke andrer, z. B. Letourneurs Übersetzung des Shakespeare (1821, 12 Bde.; neueste Ausg. 1869), mit Einleitungen und Anmerkungen und fügte Mablys "Observations sur l'histoire de France" (1823, 3 Bde.) den "Essai sur l'histoire de France" (1824, 12. Aufl. 1868) als vierten Band bei. Seine "Histoire de la révolution d'Angleterre", 1. Abt., "Histoire de Charles I, 1625-49" (1828, 2 Bde.; 12. Aufl. 1881) ist die bedeutendste Produktion der sogen. pragmatischen Schule; ihr schließen sich an die unten genannten Werke über die beiden Cromwell. 1826 übernahm G. die Direktion der "Encyclopédie progressive", welches Unternehmen jedoch bald ins Stocken geriet; 1828 gründete er die "Revue française", die von der Julirevolution unterbrochen und erst 1837 auf kurze Zeit wieder aufgenommen wurde.

Im März 1829 wurde G. wieder unter die außerordentlichen Staatsräte aufgenommen, und im Januar 1830 trat er für die Stadt Lisieux (Calvados) in die Deputiertenkammer, wo er zum linken Zentrum gehörte; doch begann seine eigentliche staatsmännische Thätigkeit erst mit der Julirevolution. Er war es, der den Protest gegen die Juliordonnanzen verfaßte und so den ersten Anstoß zum Ausbruch der Revolution gab. Am 30. Juli ward er provisorischer Minister des öffentlichen Unterrichts, und 11. Aug. ernannte ihn Ludwig Philipp zum Minister des Innern. Da er jedoch die Politik Laffittes nicht billigte, nahm er schon im November 1830 mit den übrigen Doktrinären seine Entlassung. Als Casimir Périer 1831 Minister wurde, unterstützte er denselben als Führer der konstitutionellen Monarchisten. Nach Périers Tode trat er 11. Okt. 1832 als Minister des öffentlichen Unterrichts wieder ins Kabinett. Er wirkte verdienstvoll für die Verbesserung der Unterrichtsanstalten, namentlich der Primärschulen durch das Gesetz vom 28. Juni 1833, und veranlaßte die Wiederherstellung der von Napoleon 1803 aufgehobenen 5. Klasse des Instituts der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften. Mit einer kurzen Unterbrechung blieb G. im Besitz des Unterrichtsministeriums bis 15. April 1837. Mit Odilon Barrot und Thiers verbündet, intrigierte er dann so lange gegen das Ministerium Molé, bis dasselbe 1839 fiel. Doch wurde G. nicht in das neue Kabinett berufen, sondern an Sébastianis Stelle als Gesandter nach London geschickt, wo er aufs wohlwollendste empfangen wurde, aber den gegen Frankreichs orientalische Politik gerichteten Vertrag der vier Großmächte vom 15. Juli 1840 nicht hindern konnte. Am 28. Okt. 1840 übernahm er nach Thiers' Rücktritt im neugeschaffenen Ministerium Soult, dem 19. und letzten der Julidynastie, das Portefeuille des Auswärtigen, und bald war er einer der Hauptleiter und seit Soults Rücktritt im September 1847 auch der offizielle Chef dieses Kabinetts, das bis zur Februarrevolution von 1848 am Ruder blieb und, durch sein ganzes Verfahren in den innern wie in den äußern Angelegenheiten die persönliche Politik Ludwig Philipps repräsentierend, nicht wenig dazu beitrug, die konstitutionelle Monarchie in Mißkredit zu bringen und den endlichen Sturz der Julidynastie herbeizuführen. In der Ausführung seiner systematischen Repressivpolitik bewies er sich halsstarrig, ja zuletzt geradezu verstockt. Gegen die Wünsche des Königs stets gefügig, war er unzugänglich gegen die des Volkes und forderte durch seinen Hochmut seine Gegner geradezu heraus. Obwohl selbst seine heftigsten Feinde seinen moralischen Charakter nicht anfochten und insbesondere nie der Vorwurf gegen ihn laut wurde, daß er seine einflußreiche Stellung dazu benutzt habe, sich zu bereichern, so schwieg er doch aus politischen Rücksichten zu höchst zweideutigen Spekulationen seiner Parteigenossen und wandte bei den Wahlen von 1846 selbst unwürdige Mittel an, um eine gefügige Majorität zu erlangen. Ja, er scheute sich nicht, den Deputierten ihre Korruption vorzuwerfen und deswegen unbedingte Fügsamkeit zu verlangen. In der auswärtigen Politik führte er durch die Intrigen bei den spanischen Heiraten die Entfremdung mit England herbei und erregte durch die Unterstützung der Jesuiten in der Schweiz die Unzufriedenheit der Liberalen. Die Wahlreform lehnte er hartnäckig ab und rief dadurch die Bewegung von 1848 hervor, die sich wegen seiner allgemeinen Unpopularität zuerst gegen seine Person richtete. Am 16. Febr. reichte er seine Entlassung ein, die jedoch der König nicht annahm; am 24. Febr. 1848 mußte er aus Paris flüchten und ward von der provisorischen Regierung in Anklagestand versetzt, aber im November d. J. vom Gerichtshof in Paris freigesprochen. Er lebte seit März 1848 zu London und erließ von hier aus im April 1849 ein Wahlmanifest ("G. et ses amis"), worin er den Wählern in Frankreich seine Dienste, wiewohl vergeblich, anbot. Nachdem er im November d. J. nach Paris zurückgekehrt war, wirkte er hier mit den Häuptern der monarchischen Partei gemeinsam für eine Fusion der Bourbonen und Orléans. Der Staatsstreich vom 2. Dez. 1851 steckte dieser seiner Thätigkeit ein Ziel und veranlaßte ihn, wieder nach England zu gehen. Später kehrte er in sein Vaterland zurück, um hier seine litterarischen Studien wieder aufzunehmen, und ward im Januar 1854 Präsident der Pariser Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften. Zum letztenmal trat er 1870 beim Plebiszit öffentlich auf, indem er in einem Brief das bejahende Votum anriet. Auch an den Fusionsverhandlungen 1873 hatte er einen bedeutenden, aber geheimen und erfolglosen Anteil. Seine immer starrsinnigere Orthodoxie veranlaßte ihn, für das Papsttum aufzutreten und in der protestantischen Kirche Frankreichs eine beklagenswerte Spaltung herbeizuführen, indem unter seinem Einfluß die Synode 1874 den Ausschluß der liberalen Protestanten beschloß. Als er mit den Bonapartisten in einen Streit geriet, bereiteten ihm diese den Schmerz, zu veröffentlichen, daß Guizots Sohn 1855 von Napoleon III. ein Geschenk von 50,000 Frank angenommen habe. G. verkaufte ein Bild, um der Kaiserin Eugenie die Summe zurückzuzahlen, die nicht angenommen wurde. G. starb 12. Sept. 1874 auf seinem Landgut Val Richer bei Lisieux in der Normandie.

So gerechten Angriffen seine ministerielle Thätigkeit ausgesetzt gewesen ist, so bereitwillige Anerkennung haben von allen Seiten seine schriftstellerischen Leistungen gefunden. Durch die Gründung der Co-^[folgende Seite]