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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Handfeuerwaffen

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Handfeuerwaffen (Geschichtliches; Hinterlader).

reich erfunden, 1648 als fertiges Batterie- oder Steinschloß auftrat. Es bestand aus einem Hahn, in dessen Kopf ein Feuerstein durch eine Schraube eingeklemmt war. Er schlug gegen die aufrecht stehende Schlagfläche des stählernen Pfanndeckels, wodurch Funken erzeugt wurden, und da durch den Schlag gleichzeitig der Pfanndeckel zurückgeschlagen wurde, konnten die Funken das in der nun geöffneten Pfanne liegende Pulver entzünden. Der Schloßmechanismus war im Steinschloß von 1648 schon derselbe, wie er im Perkussionsschloß (Textfig. 4) gegenwärtig noch besteht. Letzterm liegt die Anwendung von Knallpräparaten (knallsaurem Quecksilberoxyd) zu Grunde. Die erste Anwendung desselben zur Entzündung von Gewehrladungen machte 1807 der Schotte Alexander Forsyth.

Als das Ritterwesen mit seinen Harnischen zu Falle gebracht war, konnte man mit Beginn des 17. Jahrh. eine Verminderung der Kaliber und somit auch des Gewichts der Waffe eintreten lassen. Die Muskete des Dreißigjährigen Kriegs hatte 18 mm Kaliber und wog 6 kg, die des Siebenjährigen Kriegs nur 4,75 kg. 1640 ward das Bajonett (s. d.), 1730 durch Leopold von Dessau der eiserne Ladestock erfunden; der Schaft erhielt eine für den Anschlag bequeme Krümmung, und die Feuergeschwindigkeit mit diesen Gewehren war so groß, daß Friedrich d. Gr. in einer Minute fünf Schuß abgeben ließ. Diese H. schossen bleierne Rundkugeln von 26-32 g mit 9-11 g Ladung. Die Kugeln mußten des leichten Ladens wegen mit bedeutendem Spielraum in den Lauf gehen; deshalb war trotz der bedeutenden Ladungsquotienten die Treffsicherheit und Tragweite derselben gering. Die Züge waren zwar längst bekannt, aber als solche noch nicht verstanden. Kaspar Zöllner in Wien gilt als Erfinder derselben. 1498 ward bereits in Leipzig ein Scheibenschießen mit gezogenen Gewehren abgehalten. Diese Züge waren noch gerade (Schmutzräume), die schraubenförmig gewundenen soll Augustin Kutter erfunden haben (gest. 1630 in Nürnberg). Aus diesen Büchsen wurden Rundkugeln geschossen, die, um den Spielraum aufzuheben, in gefettete Leinwand (Talgpflaster) gehüllt in den Lauf eingekeilt wurden. Die 1631 vom Landgrafen Wilhelm von Hessen, 1641 vom Kurfürsten Max von Bayern errichteten Scharfschützenkompanien sowie die preußischen freiwilligen Jäger von 1813 führten solche gezogene Büchsen. Eine größere Treffsicherheit (Präzision) konnte nur durch Aufhebung des Spielraums, durch Einpressung des Geschosses in die Züge und die dadurch herbeigeführte Rotation, die größere Tragweite (leichte Überwindung des Luftwiderstandes) aber nur durch eine bedeutende Länge und die ogivale (spitzbogenförmige) Zuspitzung des Geschosses erreicht werden. Das störende Einkeilen des Geschosses in die Züge vermieden Delvigne (1826) und Thouvenin (Auftreiben auf den Kammerrand oder einen Zapfen), erfolgreicher aber der französische Kapitän Minié 1849 durch die Erfindung der Expansionsgeschosse. Es waren dies lange Spitzgeschosse mit einem am Geschoßboden beginnenden Kanal (s. Geschoß, S. 214), in den ein eisernes Näpfchen (culot) eingesetzt wurde. Die Pulvergase trieben dasselbe bis zum Boden des Kanals, wodurch die Geschoßwandungen nach außen, also in die Züge eingedrückt wurden. In der Folge wurden zahlreiche Abänderungen und Verbesserungen dieses Geschosses angegeben.

Die ersten gezogenen Vorderlader hatten zumeist, wie die glatten Gewehre, ein Kaliber von 15-18 mm, das seiner Größe wegen für die letztern vorteilhaft, für erstere aber ein Hindernis zur Erreichung einer rasanten Flugbahn war, weil seine Langgeschosse zu schwer wurden. Dieserhalb mußte das Kaliber verringert werden. Für die Konstruktion der Gewehre wurden folgende Grundsätze aufgestellt: Das Gewehr darf mit Bajonett 5,3 kg, ohne 4,5-4,8 kg wiegen; um das Feuern in zwei Gliedern zu gestatten, muß es ohne Bajonett 1,3 m lang sein; da ferner eine Rasanz der Flugbahn nur mit wenigstens 2,5 Kaliber langen Geschossen bei einem Ladungsquotienten von 0,25-0,20 zu erreichen ist, so ergibt sich hieraus ein Kaliber von 10-11 mm, ein Geschoßgewicht von 22-25 g und eine Ladung von 4,5-5,5 g. Eine Vermehrung der Ladung oder Verringerung des Gewehrgewichts würde eine Verstärkung des Rückstoßes zur Folge haben, wie sie für die Schulter des Schützen auf die Dauer unerträglich wäre. Um aber einem so dünnen Lauf, wie ihn das Gewicht der Waffe bedingt, die erforderliche Biegungsfestigkeit für den Bajonettkampf zu geben, muß er aus Gußstahl gefertigt werden. Von allen Vorderladegewehren ist diesen Grundsätzen allein das 1851 eingeführte schweizerische Ordonnanzgewehr des Obersten Wurstemberger von 10,5 mm nahegekommen; vollständig konnten sie nur durch Anwendung der Hinterladung und der Einheitspatrone erfüllt werden.

Hinterladungsgewehre.

Versuche mit Hinterladungsgewehren traten schon früh, im 15. Jahrh., auf, wenn auch nicht so zahlreich wie mit solchen Geschützen. Textfigur 5 ist ein revolverähnliches Gewehr aus dem Anfang des 17. Jahrh. Chaumette konstruierte 1751 ein solches, das 1776 von Montalembert verbessert wurde. Der französische Gewehrfabrikdirektor Pauli erhielt 1812 ein Patent auf ein Hinterladungsgewehr, welches als der Vorläufer des Lefaucheux-Gewehrs (s. unten) anzusehen ist. Alle diese Versuche waren aber noch technisch unvollkommen, weil ihnen der gasdichte Verschluß fehlte. Die Erfindung der Patrone ist gleichfalls alt. Die Italiener verwendeten 1597 vor Neapel die seit längerer Zeit gebräuchliche Flintenpatrone, d. h. die Vereinigung von Geschoß und Ladung in einer Papierhülse. Die Erfindung der Einheitspatrone,

^[Abb.: Fig. 4. Perkussionsschloß. Fig. 5. Revolverähnliches Gewehr aus dem 17. Jahrhundert.]