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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Holderneß

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Hölderlin - Holderneß.

eines Vaters zum Studium der Theologie vorbereitete, welchem er seit 1784 auf den Seminaren zu Denkendorf und Maulbronn, seit 1788 auf der Universität Tübingen oblag. Schon hier bildete er sich in der Opposition mit den Forderungen der Welt aus seinem von früh auf gepflegten Naturkultus und aus den Idealen der Griechenwelt eine ideale Welt, in welcher er, fern von lärmender Geselligkeit, mit wenigen vertrauten Freunden lebte. Strenge philosophische Studien führten ihn zu einem Pantheismus, der seinem Naturkult erst die rechte Weihe gab und mit den Vorstellungen griechischer Weisen harmonierte. Dazu stimmten die Schwärmerei für Rousseaus "Contrat social" und für die französische Revolution und die Begeisterung für den Dichter des "Don Karlos", an dem H. sein leben lang mit der innigsten Verehrung hing. Was aber bei andern Naturen, die sich mit dem Leben zurechtzustellen suchen, ein flüssiger, nur eine Zeitlang auf den Bildungsorganismus wirkender Stoff ist, das erstarrte bei H. zu einer frühzeitig gereiften und abgeschlossenen Individualität, die im Widerspruch mit dem Leben fortwährend verletzt werden und in diesem Widerspruch sich aufreiben mußte. So im wesentlichen ziemlich abgeschlossen finden wir H. bald nach Beendigung seiner Studien 1794. Es charakterisiert ihn eine "leidenschaftliche Sehnsucht nach reiner Menschheit", völliger Einheit mit der Natur, wie er sie bei den Griechen gefunden zu haben glaubte. In die Zeit vor dem Abschluß der eigentümlichen Entwickelung des Dichters fallen jene Jugendgedichte, in denen sich seine Abhängigkeit von Klopstock und später von Schiller kundgibt. Viel eigentümlicher und bedeutender war das in Schillers "Thalia" (1794) abgedruckte Fragment des "Hyperion". Die unbefriedigte Liebe der ruhelosen Seele zu einem in sich selbst ganz befriedigten Wesen, zur Melite, ist der Vorwurf dieses Fragments; in ihr sucht H. seiner Unruhe gegenüber die Ruhe, nach welcher er sich sehnte, konkret zu gestalten. Nach Beendigung seiner Studien bis zum Frühjahr 1795 lebte H. erst als Hauslehrer bei dem Freiherrn v. Kalb teils in Waltershausen bei Gotha, teils in Jena und Weimar mit einem Zögling, der wegen Kränklichkeit nichts leisten konnte, dann als Privatgelehrter im Verkehr mit Schiller, Fichte und Niethammer in Jena. Da jedoch seine Hoffnung, in Jena eine Stellung zu finden, getäuscht wurde, kehrte er in die Heimat zurück, wo er doppelt schmerzlich den Gegensatz seiner Welt zu den Verhältnissen fühlte. Da verschaffte ihm ein alter Freund, Sinklair in Homburg, eine sehr angenehme Hauslehrerstelle im Haus des Bankiers Borkenstein zu Frankfurt a. M., die er im Januar 1796 antrat. Diese Stellung, die ihn zunächst zu retten schien, ward sein Verderben. Eine leidenschaftliche Liebe ergriff ihn zu der geistvollen und liebenswürdigen Hausfrau (Susette, geb. Gontard, von H. unter dem Namen "Diotima" gefeiert), und er entschloß sich, im September 1798 Frankfurt zu verlassen. Der glücklichen Zeit seines Aufenthalts in Frankfurt verdanken wir die ersten beiden Bücher seines Romans in Briefen: "Hyperion, oder der Eremit in Griechenland" (Stuttg. 1797-99, 2 Bde.; 2. Aufl. 1822). In Homburg und Rastatt, wo er sich, bei seinem Freund Sinklair lebend und fortwährend in brieflicher Verbindung mit seiner Freundin, bis zum Sommer 1800 aufhielt, beschäftigte ihn außer dem 2. Bande des "Hyperion" zuerst ein Drama, "Agis", dessen Fragmente verloren gegangen sind, sodann das Drama "Empedokles", welches gleichfalls Fragment blieb. War schon im "Hyperion" eine oft zu breite Entwickelung der eigentümlichen Weltanschauung und Empfindungsweise des Dichters und Mangel an Handlung zu tadeln, so leidet das dramatische Werk noch mehr an diesem Übelstand. "Empedokles" kann nur durch die in herrlichster sprachlicher Fassung dargebotenen Einzelgedanken fesseln. Auch das in die Gedichtsammlung aufgenommene längere Gedicht "Emilie vor ihrem Brauttag" gehört in diese Zeit; es ist gewissermaßen ein in verifizierten Briefen abgefaßtes Idyll in höherm Ton. Bis 1800, wo H. seinen Freund Sinklair verließ, sind auch die meisten und besten seiner kleinern Gedichte entstanden. Es sind fast durchaus gedanken- und bilderreiche, tief empfundene Gedichte von der schönsten, meist antiken Form; aber der streng abgeschlossene, der Wirklichkeit entfremdete Ideenkreis des Dichters, der eigentümliche, alle Realität zurückweisende Schwung seiner Gedanken und seiner Sprache machen sie nur denen genießbar, die sich mit Liebe in seine Eigentümlichkeit versenken. Als H. im Sommer 1800 in die Heimat zurückkehrte, war er trübsinniger und reizbarer als je und auch leiblich sehr gealtert. Ein viermonatlicher Aufenthalt in der Schweiz, wo er Unterricht gab, bis zum April 1801, übte nur vorübergehend wohlthätige Wirkung auf ihn aus. Im Dezember 1801 ging er als Hauslehrer nach Bordeaux, kam aber schon im Sommer 1802 geisteskrank nach Nürtingen zurück. Zwei Jahre wurde er hier im mütterlichen Haus gepflegt; als er etwas ruhiger erschien, zog ihn Sinklair nach Homburg, wo er die Stelle eines Bibliothekars erhielt. In guten Stunden beschäftigte er sich hier mit einer Übersetzung des Sophokles, von der zwei Stücke: "Antigone" und "König Ödipus" (1804), auch gedruckt wurden; meist war er aber trüb- und irrsinnig, manchmal hatte er sogar Wutanfälle. Daher brachte man ihn 1806 in eine Irrenanstalt nach Tübingen und bald darauf, nach mißlungener Kur, zu einem braven Bürger, dem Tischler Zimmer daselbst. Bei diesem und dessen Erben lebte er bis zum 7. Juni 1843, wo er starb, ein später immer seltener durch Paroxysmen unterbrochenes Stillleben ohne Teilnahme an den Weltereignissen, ja selbst meist ohne alle Teilnahme für Freunde und Verwandte, die er oft nicht kannte oder nicht zu kennen schien. Nur in einzelnen Momenten war er zugänglicher. Die Schilderung eines Besuchs gibt Kühne in seinem Buch "Deutsche Männer und Frauen" (Leipz. 1851). Hölderlins "Lyrische Gedichte" wurden von Schwab und Uhland (Stuttg. 1826, 4. Aufl. 1878), seine "Sämtlichen Werke" nebst Briefen und Biographie von Ch. Th. Schwab (das. 1846, 2 Bde.) herausgegeben; "Ausgewählte Werke" erschienen daselbst 1874; "Dichtungen", herausgegeben von Köstlin, Tübing. 1884. Ein Denkmal (von Anderson in Dresden) wurde ihm 1881 in Tübingen errichtet, ein andres ihm 1883 zu Soden vom dortigen Altertumsverein gesetzt. Vgl. Jung, H. und seine Werke (Stuttg. 1848); Teuffel, Studien und Charakteristiken (Leipz. 1871); Klaiber, H., Hegel und Schelling in ihren schwäbischen Jugendjahren (Stuttg. 1877); Kelchner, Friedr. H. und seine Beziehungen zu Homburg v. d. Höhe (Homb. 1883).

Holderneß, fruchtbare Landschaft in Yorkshire (England), bildet eine zwischen dem Humber und der Nordsee liegende Halbinsel, die im Spurn Head (mit Leuchtturm) endet. Das Innere ist hügelig, die Küsten aber sind flach, und längs des Humber liegt ein Marschland (the Cars), welches durch Deiche gegen die Angriffe der See geschützt wird. Berühmt sind die H.-Rinder. Hornsea an der Nordsee (1836 Einw.)