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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Huftiere

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Huftiere.

Wiederkäuer und Vielhufer oder Dickhäuter; neuerdings hat man aber von den letztern die Elefanten (als Rüsseltiere) und die Klippschliefer abgetrennt und zu selbständigen Ordnungen erhoben, auch wohl die Ordnung der H. ganz aufgelöst und ihren Bestand unter die Paarzeher und Unpaarzeher verteilt. Allen Huftieren in der angegebenen Begrenzung sind folgende wenige Merkmale gemeinsam. Die Zehen sind mit Hornschuhen (Hufen) bekleidet. Das Schlüsselbein fehlt. Das Gebiß ist durchweg zum Kauen von pflanzlicher Nahrung eingerichtet, daher sind die Backenzähne stark entwickelt und mit eigentümlichen Faltungen und Höckern versehen, während die Schneidezähne oft fehlen und zwischen ihnen und dem ersten Backenzahn (wenigstens bei den lebenden Formen) eine Lücke bleibt. Der Darmkanal ist besonders bei den nur auf Pflanzenkost angewiesenen Huftieren sehr lang, etwas kürzer bei den Omnivoren; im einzelnen weist namentlich der Magen große Verschiedenheiten auf. Überhaupt weichen die zahlreichen Familien der H. ungemein weit voneinander ab und haben sich auch durch die neuern paläontologischen Forschungen, welche viele zwischen ihnen bestehende Lücken ausfüllten, noch nicht in sichern Zusammenhang miteinander bringen lassen. Die ältesten H. haben zweifellos mit fünf Zehen an jedem Fuß den Boden berührt, was bei den lebenden nicht mehr der Fall ist. Allmählich, wie sich das besonders deutlich am Pferd nachweisen läßt, hat die Zahl der Zehen sich verringert, und zugleich ist entweder die mittelste (3.) oder diese mit der folgenden (4.) zusammen zum Träger des Beins geworden, während die übrigen etwa noch vorhandenen Zehen als sogen. Afterklauen nicht mehr den Boden erreichen (Ausnahme: die Flußpferde, s. unten). Man trennt hiernach meist die H. in Paarzeher (Artiodactyla) und Unpaarzeher (Perissodactyla); doch ist der Name schlecht gewählt (weil es sowohl Paarzeher mit unpaaren Zehen als Unpaarzeher mit paarigen Zehen gibt) und darf nur auf die Anzahl der Hauptzehen bezogen werden. Von lebenden Huftieren kennt man gegen 60 Gattungen mit etwa 260 Arten; von ausgestorbenen werden namentlich in Nordamerika noch immer sehr wichtige Formen, die vielfach sogar zur Ausstellung neuer Familien Anlaß geben, gefunden.

Übersicht der Huftiere.

I. Unpaarzeher (Perissodactyla). In beiden Kinnladen Schneidezähne, die jedoch zuweilen bei erwachsenen Tieren ausfallen; Eckzähne meist vorhanden, klein; Backenzähne zwei- oder mehrhöckerig. Magen stets einfach, Blinddarm groß, Gallenblase fehlt; Rücken- und Lendenwirbel zusammen 22 oder mehr.

1. Familie. Lophiodonten (Lophiodontia). Nur fossil sowohl in Europa (im Eocän) als in Nordamerika (im Miocän) gefunden. Sie bilden zum Teil (Lophiodon) die Vorläufer der heutigen Tapire, führen aber zum Teil (Pliolophus) auch zu andern, nicht mehr lebenden Gruppen hin. Füße noch fünfzehig, jedoch die dritte Zehe am stärksten entwickelt. Wichtige Gattungen: Lophiodon, Coryphodon, von der Größe eines Stiers, und Pliolophus, beide mit vollständigem Gebiß (44 Zähne); letztere Gattung vielleicht die Stammform für die Paläotherinen nach der einen und die Paarzeher nach der andern Richtung hin.

2. Familie. Paläotherinen (Palaeotherina). Ebenfalls nur fossil aus dem Eocän und Miocän. Füße dreizehig, Schädel sehr ähnlich dem der Tapire, Nase wahrscheinlich in einen kurzen Rüssel verlängert. Scheinen Vorfahren der Pferde gewesen zu sein. Hierher namentlich Macrauchenia aus Südamerika, von Kamelgröße und mit langem Halse, sowie Palaeotherium.

3. Familie. Tapire (Tapiridae). Vorderfüße mit vier, Hinterfüße mit drei Zehen; Nase mit kurzem Rüssel; Schwanz kurz; Haut kurz behaart. Nur zwei lebende Gattungen: Tapirus, der Tapir (s. d.), und Elasmognathus, mit 5 oder 6 Arten, die nur noch in Mittel- und Südamerika und in Ostindien (Malakka, Sumatra, Borneo) vorkommen, früher jedoch allgemein verbreitet waren. Fossile Tapire sind nämlich in Europa sowohl als in Nordamerika gefunden worden und scheinen vom alten Kontinent in den neuen gewandert zu sein; als ältesten Vorfahren nimmt man Lophiodon (s. oben) in Anspruch und kennt auch eine Zwischenform, Tapiravus.

4. Familie. Nashörner (Nasicornia). Die lebenden Nashörner treten mit allen drei Zehen auf; von den Schneidezähnen fallen regelmäßig einige aus, Eckzähne fehlen; auf dem Nasenrücken und der Stirn bei den lebenden Vertretern ein Horn oder zwei Hörner hintereinander, bei einzelnen fossilen nebeneinander. Hierher die ausgestorbenen tertiären Geschlechter Aceratherium und Amynodon, ohne Horn und mit vier Zehen an den Vorder-, drei an den Hinterfüßen, Colonoceras und Diceratherium, mit zwei Hörnern nebeneinander, ferner mehr denn 20 Arten fossiler echter Nashörner aus Europa, Asien und Nordamerika (s. Tafeln "Tertiärformation II" und "Diluvium") und endlich die noch lebende Gattung Rhinoceros, mit 9 Arten, aus Afrika und Ostindien. S. Nashorn.

5. Familie. Pferde (Equidae) oder Einhufer (Solidungula). Füße der lebenden Pferde mit nur einer (der dritten) wohl entwickelten und mit einem Huf bekleideten Zehe. Wegen der übrigen Charaktere und der sehr wichtigen Stammformen s. Pferde.

II. Paarzeher (Artiodactyla). Schneidezähne sind oft nur im Unterkiefer vorhanden, Eckzähne fehlen häufig; Backenzähne zusammensetzt oder schmelzfaltig; Magen oft sehr kompliziert gebaut, Blinddarm einfach und vielfach kurz; Rücken- und Lendenwirbel zusammen stets 19. Man teilt sie meist in die beiden Gruppen der Dickhäuter oder schweineartigen Paarzeher und der Wiederkäuer; ihnen entsprechen unter den fossilen die Bunodonten und Selenodonten, doch hat sich herausgestellt, daß die Wiederkäuer nicht einheitlichen Ursprungs sind, vielmehr nur eine Anzahl getrennter Familien darstellen, die sich alle aus den Selenodonten der Vorwelt entwickelten (s. unten und den Artikel Wiederkäuer).

6. Familie. Bunodonten (Bunodontia). Mit Höckerzähnen. Nur fossil. Hierher die Vorläufer der Schweine und Flußpferde nebst zahlreichen völlig ausgestorbenen Nebenlinien, darunter Tiere von der Größe eines Hasen (Hyracotherium, aus dem Eocän) bis zu der eines Flußpferdes (Perchoerus). Für die Flußpferde ergibt sich die ziemlich sichergestellte Reihe Entelodon und Elotherium aus dem untern Miocän von Frankreich, Choeromorus, Hexaprotodon und Hippopotamus, für die Schweine eine doppelte, nämlich für die amerikanischen Eohyus und Helohyus aus dem Eocän, Perchoerus und Thinohyus aus dem Miocän, Dicotyles, für die altweltlichen dagegen Choeropotamus aus dem Eocän, Bothriodon und Hyopotamus aus dem Miocän, Sus.

7. Familie. Flußpferde (Hippopotamidae) oder Plumptiere (Obesa). Gestalt plump; Schnauze stumpf; Haut dick, fast nackt; Füße mit vier Zehen, die alle den Boden berühren. Nur die eine lebende Art Hippopotamus amphibius, das Flußpferd (s. d.), in allen großen Flüssen Afrikas. Die fossilen Flußpferde erstreckten sich durch Indien und ganz Europa bis nach England hin; ein Teil der 8 bekannt gewordenen Arten wird, da er statt 4 Schneidezähne 6 hat, zur Gattung Hexaprotodon zusammengefaßt.

8. Familie. Schweine (Suidae). Schnauze entweder spitz oder zu einem stumpfen Rüssel verlängert; Haut mit Borsten bekleidet; nur zwei Zehen berühren den Boden. Eine sehr artenreiche und fast über die ganze Erde verbreitete Familie, deren lebende Vertreter (5 Gattungen mit 22 Arten) nach der Bezahnung in 3 Unterfamilien zerfallen: a) Pekaris (Dicotylinae). Nur die Gattung Dicotyles, Pekari oder Nabelschwein (s. d), mit 2 Arten, in Amerika von Arkansas bis Paraguay; fossil sowohl Dicotyles als auch einige Vertreter aus der Familie der Bunodonten. b) Echte Schweine (Suinae). Hierher die Gattungen: Sus, Schwein (s. d.), Porcus, Hirscheber (s. d.), und Potamochoerus, mit 18 Arten, in der Alten Welt; fossil sowohl Sus als auch viele Vertreter aus der Familie der Bunodonten (s. oben). c) Warzenschweine (Phacochoerinae). Nur die Gattung Phacochoerus, Warzenschwein (s. d.), aus dem tropischen Afrika.

9. Familie. Selenodonten (Selenodontia). Mit schmelzfaltigen Zähnen. Nur fossil. Sie bilden die Vorläufer der lebenden Wiederkäuer, die sich in ihren einzelnen Familien bis zu bestimmten Gattungen der Selenodonten zurückverfolgen lassen. Die meisten haben noch alle 44 Zähne, während bei den Wiederkäuern nie diese Anzahl mehr vorhanden ist. Die hierher gehörige Unterfamilie der Oreodontidae oder wiederkäuenden Schweine aus dem mittlern Miocän Amerikas hielt die Mitte zwischen Wiederkäuern und Schweinen, ist aber völlig ausgestorben. Die europäischen Anoplotheridae, mit den Gattungen Anoplotherium (s. Tafel "Tertiärformation II"), Xiphodon, Gelocus, Dichobune etc., liefern die Stammeltern für die Moschustiere, Hirsche, Antilopen,