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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Italien

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Italien (Bildung und Unterricht).

übrigens freie, öffentliche Religionsübung; auch begründet die Konfession keinen Unterschied in der Ausübung der bürgerlichen und politischen Rechte. Die Prärogativen des zu Rom residierenden Papstes als des geistlichen Oberhauptes der katholischen Kirche sind durch das Gesetz vom 13. Mai 1871 neu geregelt, auf welchem Gesetz auch das Verhältnis der Kirche zum Staat beruht. Danach ist die Person des Papstes heilig und unverletzlich; die italienische Regierung erweist dem Papste die souveränen Ehren und garantiert ihm eine jährliche Dotation von 3,225,000 Lire sowie den steuerfreien Genuß der Paläste Vatikan und Lateran und der Villa von Castel Gandolfo, welche Örtlichkeiten der Jurisdiktion des Staats nicht unterworfen und ebenso mit Immunitätsrechten ausgestattet sind wie jene Räume, die vom Papst nur zeitweilig bewohnt werden, oder in welchen ein Konklave oder ein Konzil abgehalten wird. Der Papst ist in der Ausübung seiner geistlichen Funktionen vollkommen frei; ebenso ist der freie Verkehr des heiligen Stuhls mit dem Episkopat und der ganzen katholischen Welt garantiert. Die Gesandten des Papstes und die der fremden Mächte bei ihm genießen alle völkerrechtlichen Privilegien. Der Kirche kommt die freie Ernennung zu allen geistlichen Ämtern und Pfründen zu. Das königliche Exequatur und das königliche Placet sind abgeschafft. Im Königreich I. bestehen 47 Erzbistümer, 217 Bistümer und 11 Abteien mit bischöflicher Jurisdiktion; die Zahl der katholischen Weltgeistlichen beträgt gegen 100,000. Die Klöster sind durch das königliche Dekret vom 7. Juli 1866 aufgehoben worden, mit Ausnahme einiger wenigen für Krankenpflege und Unterricht. Den Mitgliedern der aufgelösten Klöster wurden vom Staat Jahrespensionen angewiesen, wofür die Klostergüter dem Staatsvermögen einverleibt worden sind. Die Bettelorden und Frauenklöster sind auf den Aussterbeetat gesetzt. Die Jesuiten sind gesetzlich unterdrückt und ihre Güter für Staatseigentum erklärt worden.

Bildung und Unterricht.

Das Unterrichtswesen ist im allgemeinen durch das Gesetz vom 13. Nov. 1859 (bekannt unter dem Namen "legge Casati") geregelt und die Unterrichtsverwaltung durch die Dekrete vom 22. Sept. und 21. Nov. 1867 organisiert, wonach in jeder der 69 Provinzen ein Schulrat, bestehend aus dem Präfekten als Vorsitzenden, dem Studienaufseher und sechs Räten, zusammengesetzt ist, als dessen Repräsentanten die Delegaten in den Bezirken und die Schulinspektoren in den Kreisen fungieren. Der Stand der Volksbildung ist bis jetzt kein befriedigender, da nach der Volkszählung von 1881 unter der Gesamtbevölkerung von 28,459,628 Seelen 19,141,157 Analphabeten (67,3 Proz.) und, wenn man die Kinder unter sechs Jahren abrechnet, noch immer 15,040,784 Analphabeten (61,9 Proz.) ermittelt wurden. In den einzelnen Landesteilen ist die Zahl der Analphabeten sehr verschieden. Die günstigsten Bildungsverhältnisse finden sich in den nördlichen Landschaften (Piemont 32,3, Lombardei 37, Ligurien 44,5, Venetien 54,1 Proz. Analphabeten von den über sechs Jahre alten Personen), während die Zahl der Analphabeten zunimmt, je weiter man dem Süden zuschreitet (ehemaliges Königreich Neapel 79,5, Sardinien 79,8, Sizilien 81,2 Proz.). Die Zahl der öffentlichen Volksschulen betrug 1883: 42,390 mit 1,017,402 männlichen und 856,321 weiblichen Schülern. Hierzu kommen noch 8870 Privatschulen mit 352,402 Schülern, dann 10,618 Abend- und Sonntagsschulen für Erwachsene mit 398,487 Schülern. Der Besuch der Elementarschulen ist obligatorisch, der Unterricht findet unentgeltlich statt (die Sorge für die Schulen liegt den Gemeinden ob) und zerfällt in einen niedern und einen höhern mit je zwei Jahrgängen. Zur Erziehung und zum Unterricht der Töchter der gebildeten Stände sind die höhern Töchterschulen bestimmt, von welchen die erste 1861 in Mailand vom Munizipium errichtet wurde, während gegenwärtig schon 77 mit 3579 Schülerinnen bestehen. Zur Heranbildung der Volksschullehrer dienen die Normalschulen und zwar 124, davon 69 Staatsanstalten mit 9416 Eleven. Der klassische Sekundärunterricht umfaßt die Gymnasien (734) als die untere Stufe mit fünf Jahrgängen und die Lyceen (341) als die obere Stufe mit drei Klassen, zusammen mit 58,784 Schülern, der realistische Sekundärunterricht die technischen Schulen (423, davon 70 königliche) mit 25,876 Schülern, dann die technischen Institute (66) mit 7358 Schülern.

Für den höhern Unterricht bestehen vor allem 17 königliche Universitäten, 11 vollständige mit den 4 Fakultäten, die theologische ausgeschlossen, die philosophische geteilt, in Bologna, Catania, Genua, Messina, Neapel, Padua, Palermo, Pavia, Pisa, Rom und Turin, 3 mit nur 3 Fakultäten (keine philologisch-philosophische) in Cagliari, Modena und Parma, 3 mit 2 Fakultäten (Jurisprudenz und Medizin) in Macerata, Sassari und Siena. Alle 17 Universitäten zählten 1883-84: 1274 Lehrkräfte und 13,104 Hörer. Die älteste Universität ist die in Bologna aus dem Jahr 1119; die am stärksten frequentierten sind die Universitäten von Neapel mit 3641, Turin mit 2086 und Rom mit 1058 Studierenden. Die ganzen Universitätsverhältnisse wurden im Oktober 1875 neu geregelt. Als Hochschulen sind weiter anzusehen: die 4 freien Universitäten in Ferrara und Perugia (mit je 3 Fakultäten), Camerino und Urbino (mit 2 Fakultäten) mit zusammen 230 Studenten, das königliche höhere Studieninstitut in Florenz (mit 3 Sektionen für Philosophie und Philologie, Medizin und Chirurgie, Naturwissenschaften), die wissenschaftlich litterarische Akademie in Mailand (einer Fakultät für Philosophie und Litteratur entsprechend), das königliche höhere technische Institut in Mailand, die königlichen Ingenieurschulen in Turin, Neapel, Padua, Bologna, Rom, Palermo und Pavia, das königliche Industriemuseum in Turin. Endlich besteht eine große Zahl von Fach- und Speziallehranstalten, wovon besonders zu erwähnen wären: das Collegio romano (auch Gregorianische Universität genannt), die Schule für Sozialwissenschaften in Florenz, die städtische höhere Kunstgewerbeschule zu Mailand, die höhere Handelsschule zu Venedig, die höhere nautische Schule zu Genua, die königlichen Ackerbauschulen in Mailand und Portici, die höhere Schwefelbergbauschule zu Palermo, das Musikinstitut zu Florenz und die Militärschulen (s. unten).

Als Hilfsanstalten für den Unterricht bestehen ca. 500 Bibliotheken, darunter die bedeutendsten die vatikanische Bibliothek in Rom (220,000 Bände, 25,600 Manuskripte), die aus den Bibliotheken der aufgehobenen Klöster gebildete Biblioteca Vittorio Emanuele in Rom (500,000 Bände, 5000 Manuskripte), die Nationalbibliothek in Florenz (300,000 Bände, 14,000 Manuskripte), die Markusbibliothek in Venedig (260,000 Bände, 8000 Manuskripte), die Nationalbibliothek in Neapel (260,000 Bände, 10,000 Manuskripte), die Ambrosianische Bibliothek in Mailand (160,000 Bände, 15,000 Manuskripte), die Universitätsbibliothek in Bologna (150,000 Bände, 6000