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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Italien

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Italien (Geschichte: 11. Jahrhundert).

schon unter Otto II. begonnen, einen gefährlichen Einfluß auf die Besetzung des päpstlichen Stuhls auszuüben und der deutschen Kaisergewalt sich entgegenzustellen. Die unmittelbare Gegenwart des Herrschers in Rom schien immer wichtiger zu werden. 996 kam Otto III. über die Alpen nach I., erhob seinen Vetter Bruno zum Papst und ließ sich von diesem, Gregor V., zum Kaiser krönen. Mit starker Hand wurde jeder Widerstand besiegt, der gegen Gregor V. aufgestellte Gegenpapst schimpflich behandelt und Crescentius, als Patricius und Haupt des aufständischen Adels, hingerichtet. Als Gregor V. schon 999 starb, erhob Otto III. seinen Lehrer Gerbert von Reims, den größten Gelehrten seiner Zeit, als Silvester II. auf den päpstlichen Stuhl; aber gleich bei dem Tod Ottos III. (1002) zeigte sich die Unhaltbarkeit aller Verhältnisse. Die lombardische Krone nahm der Markgraf Arduin von Ivrea in Anspruch, der päpstliche Stuhl wurde von dem Grafen von Tusculum besetzt und beherrscht, die süditalischen Herzogtümer lösten sich von der Oberlehnsherrlichkeit der Deutschen los, die Sarazenen befestigten ihre Herrschaft in Sizilien und breiteten dieselbe über die griechischen Gebiete Unteritaliens mehr und mehr aus.

König Heinrich II. von Deutschland gab zwar die Traditionen des sächsischen Hauses keineswegs auf, allein seine Macht reichte nicht weiter als sein Arm; doch ließ er sich auf seinem zweiten italienischen Zug zum Kaiser krönen, und auf seinem dritten Zuge griff er gewaltig in die unteritalischen Verhältnisse ein, wo er Pandulf IV., Fürsten von Capua, gefangen nahm und Pandulf VI. einsetzte, welcher Normannen in seinen Diensten hatte, denen Heinrich II. zuerst Grund und Boden als Reichslehen zuwies. Neben Capua hatten auch die Fürsten von Benevent und Salerno die kaiserliche Herrschaft anerkannt, während Neapel mit seiner städtischen Verfassung meist der Herrschaft der Griechen treu blieb und sich nur scheinbar und vorübergehend deutschen Kaisern unterworfen hatte. Wenn der politische Charakter Unteritaliens durch die Macht der vorwiegenden Fürstengeschlechter bestimmt wurde, so entschied in Oberitalien das Übergewicht der Städte. Seit dem 10. Jahrh. war Venedig zu Macht und Ansehen gekommen und beherrschte die Meerstraßen. In der Lombardei waren außer Mailand nunmehr auch Pavia, Lodi, Cremona und viele andre Städte zur Blüte und Bedeutung gelangt. Zwischen Pavia und Mailand hatte sich seit dem Kampf zwischen Heinrich II. und Arduin von Ivrea ein Gegensatz gebildet, der später fast alle italischen Republiken in zwei Lager spaltete, indem Pavia dem deutschen König, Mailand dem italienischen Fürsten anhing. In Mittelitalien hielt vorerst das mächtige Geschlecht der tuskischen Markgrafen das Aufkommen großer städtischer Republiken zurück, doch hatte bereits Pisa eine ähnliche Stellung an der westlichen Küste Italiens erlangt wie Venedig an der östlichen. Die Insel Sardinien war 1022 durch die Pisaner den Arabern entrissen worden, welche dieselbe seit fast anderthalb Jahrhunderten beherrscht hatten.

Im ganzen war das Kaisertum in I. hinreichend befestigt, so daß der Wechsel der Dynastie auf dem deutschen Thron sich auch in I. ohne erhebliche Schwierigkeit vollzog. König Konrad II., der Salier, zog schon zwei Jahre nach seiner Wahl (1026) nach I. und wurde im folgenden Jahr zum Kaiser gekrönt. Vermochte er in Rom auch nicht, gegenüber dem herrschenden Adel, welcher über den päpstlichen Stuhl eigenmächtig verfügte, nachhaltig zu gebieten, so übte er in der Lombardei eine desto kräftigere Herrschaft aus und trat dem Erzbischof Aribert von Mailand kraftvoll entgegen, indem er den kleinern freien Herren der Lombardei Schutz gegen die geistliche Fürstengewalt gewährte und bei dem Streit über die Erblichkeit der Lehen dem Rechte der weltlichen Vasallen gegenüber der willkürlichen Verleihung der Kirchenfürsten die Anerkennung sicherte. Heinrich III. vollendete das von seinem Vater begonnene Werk der Pazifikation Italiens, indem er sich den von Clugny ausgegangenen Bestrebungen einer Kirchenreform entschieden anschloß und nicht nur dem verweltlichten geistlichen Fürstentum, sondern auch dem Papsttum eine veränderte Richtung gab. Durch die von ihm in Rom eingesetzten deutschen Päpste erhielt die Partei der Kirchenreform überall das Übergewicht. In der Regierung der zahlreichen Bistümer Italiens begann an der Stelle der weltlichen Interessen eine regere kirchliche Tendenz sich geltend zu machen. Aber die reformierte Kirche wendete sich freilich alsbald gegen jeden Einfluß der staatlichen Gewalt und wollte auch die Rechte des obersten Schutzherrn, des Kaisers, beseitigt wissen, nachdem sie sich mit Hilfe desselben von der Macht der kleinen weltlichen Herren freigemacht hatte. In I. erhielt nun der große, welthistorische Streit, welcher sich insbesondere an die Namen Gregors VII. und Heinrichs IV. knüpfte (s. Investitur), einen zugleich nationalen Charakter; der Kampf des Papsttums wurde zugleich als ein Kampf der Unabhängigkeit der städtischen Republiken und der Selbständigkeit des italienischen Fürstentums aufgefaßt und dargestellt. Hatten die vorwaltenden Mächte und besonders die Päpste in I. auch keinen Augenblick gezaudert, fremder Hilfe und ausländischer Kräfte sich zu bedienen, so wurde doch der Gedanke nationaler Unabhängigkeit in den Städten und Herrschaften geweckt und allmählich großgezogen. So wurde insbesondere der Rechtsstreit um die Mathildischen Güter zwischen Papst und Kaiser, der 1115 nach dem Tode der Markgräfin Mathilde von Tuscien entbrannte, welche ihre Güter der Kirche vermacht hatte, während der Kaiser dieselben als heimgefallene Lehen beanspruchte, in eine rein politische und nationale Frage umgewandelt. Von hervorragender Bedeutung war aber, daß sich im Süden der Halbinsel ein päpstliches Lehnskönigreich bildete, welches der Kirche in ihrem Kampf um die Unabhängigkeit von der deutschen Kaisermacht eine kräftige Stütze war.

Um die Mitte des 11. Jahrh. waren die Normannen im südlichen I. so zahlreich und mächtig geworden, daß Papst Leo IX. ihre Vertreibung anstrebte und zu diesem Ende Hilfe in Deutschland suchte. An der Spitze der Grafschaft Apulien, deren erster Herrscher Wilhelm von Hauteville war, stand damals Humfred, welcher von Robert Guiscard unterstützt wurde. Da nun Leo IX. im Kampf gegen die Normannen nichts ausrichtete, persönlich aber von ihnen auf das ehrenvollste behandelt wurde, so bestätigte er ihnen alle Eroberungen, die sie schon gemacht hatten und die sie im Kampf gegen Griechen und Sarazenen noch machen würden. Während die normännische Herrschaft unter Robert Guiscard mit wunderbarer Schnelligkeit sich immer mehr ausbreitete und unter der Regierung Rogers außer Apulien auch bereits Kalabrien umfaßte, hatten die Päpste noch mit ungleichem Interesse und nicht ohne Mißtrauen ihre Erfolge beobachtet; aber die vollkommene Vertreibung der Griechen, welche sich noch bis 1071 in Bari behaupteten, dann aber auch diesen festen