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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Italien

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Italien (Geschichte: bis 1886).

dern forderte. Auch in der orientalischen Frage zeigte I. Gelüste auf Albanien und blickte auf die Okkupation von Bosnien durch Österreich mit schlecht verhehltem Neide. Dies hatte die Folge, daß sich I. gänzlich isolierte und, als 1881 Frankreich der Rivalität französischer und italienischer Agenten um den herrschenden Einfluß in Tunis durch Besetzung der Regentschaft und Übernahme des Protektorats ein Ende machte, es, obwohl wichtige Interessen seines Handels und seiner Industrie dadurch geschädigt wurden, nichts dagegen einzuwenden wagen durfte. Im Land wie in der Kammer erhob sich aber über diese Preisgebung wichtiger Interessen ein Sturm der Entrüstung, dem Cairoli im Mai 1881 weichen mußte. Depretis bildete ein neues Ministerium, in welches Zanardelli und Mancini, dieser als Minister des Auswärtigen, eintraten. Dasselbe nahm die Okkupation von Tunis als eine vollbrachte Thatsache hin, traf aber Anstalten, durch Wiederanknüpfung engerer Beziehungen zu den Kaisermächten ähnlichen Vorfällen vorzubeugen. Der König machte Ende Oktober dem Wiener Hof einen mehrtägigen Besuch. Zugleich nahm aber die Regierung auch eine Verstärkung der Wehrkraft zu Wasser und zu Land in Aussicht.

Die Wahlreform nahm die Thätigkeit der Kammer am meisten in Anspruch. Der erste Teil derselben, die Feststellung der Wahlberechtigten, ward Anfang 1882 zum Abschluß gebracht und zwar so, daß fortan alle 21 Jahre alten Italiener, die lesen und schreiben könnten, ferner diejenigen, welche wenigstens 10 Lire jährlich an Staatssteuern zahlten, wahlberechtigt sein sollten; die Zahl der Wähler wurde hierdurch von 632,000 auf 2,600,000 Personen erhöht. Im Mai folgte sodann die Einführung der Listenwahl, durch welche die Zahl der Wahlbezirke auf 138 vermindert wurde, die 3, 4 oder 5 Deputierte zugleich zu wählen hatten. Nachdem die Kammer eine Vermehrung der Heereskadres um vier Divisionen genehmigt hatte, wurde sie 5. Okt. 1882 aufgelöst. Die Neuwahlen (29. Okt.) ergaben die bedeutende ministerielle Majorität von 320 Deputierten. Das Kabinett war also für längere Zeit gesichert, zumal die wichtigsten innern Fragen, Mahlsteuer, Zwangskurs und Wahlreform, gelöst waren und die Budgets steigende Überschüsse aufwiesen. Wenn trotzdem die Dissidenten der Linken im Mai 1883 einen großen Interpellationssturm gegen das Ministerium Depretis unternahmen, so waren weniger sachliche als persönliche Gründe dabei beteiligt, und Depretis zögerte nicht, seine Stellung zu den frühern Parteigenossen Cairoli, Crispi und Nicotera dadurch zu klären, daß er die zwei Minister, welche mit jenen noch zusammenhingen, Zanardelli und Baccarini, zum Ausscheiden bewog und sie durch gemäßigt liberale ersetzte. Die ausgeschiedenen Minister mit ihren Fraktionen vereinigten sich nun mit Cairoli, Crispi und Nicotera zu der sogen. Pentarchie, welche die Opposition gegen Depretis beschloß. Dagegen versprach ihm die Rechte unter Minghetti ihre Unterstützung.

Da die Majorität der Kammer Depretis treu blieb, so waren die Ränke der Pentarchie zunächst wirkungslos. Auch der wiederholte Ausbruch der Cholera seit 1884, die besonders in Neapel furchtbar wütete, schadete dem Ansehen des Ministeriums nicht. Der Besuch, den der König Neapel während der schlimmsten Zeit abstattete, trug sehr dazu bei, die Anhänglichkeit an das nationale Herrscherhaus zu verstärken. Was der italienischen Regierung die größten Schwierigkeiten bereitete, war wiederum die äußere Politik. Die Italiener, verwöhnt durch ihre frühern mühelosen Erfolge, wurden sofort ungeduldig, wenn sie keine Früchte der europäischen Politik ihrer Regierung sahen, und von dieser Ungeduld ließ sich auch Mancini beeinflußen. Er hatte sich zwar Deutschland und Österreich wieder genähert und hierdurch Italiens Stellung in Europa befestigt. Während er Assab am Roten Meer besetzte und damit den Anfang machte, Italiens Anteil an der kolonialen Entwickelung zu sichern, wachte er mit Eifersucht über die Wahrung der italienischen Interessen in Tripolis und Marokko. Aber daß der Bund mit den Kaisermächten nur dazu dienen sollte, Europa den Frieden zu sichern, genügte den Italienern nicht. Dazu kam, daß der Kaiser von Österreich den Besuch des Königs Humbert nicht erwiderte, und daß Deutschland wieder freundschaftliche Beziehungen mit der päpstlichen Kurie anknüpfte, mit der die Regierung wegen der Einziehung der Güter der Propaganda in den heftigsten Streit geraten war. Jene Haltung der Kaisermächte sah man in Rom als eine Geringschätzung Italiens an und überhäufte Mancini deshalb mit Vorwürfen. Dieser sah sich hierdurch veranlaßt, nach einem größern Erfolg zu streben, der seinen Widersachern den Mund schlösse, und ließ sich verleiten, auf der nach London zur Regelung der ägyptischen Angelegenheiten berufenen Konferenz auf die Seite Englands zu treten, in der Hoffnung, daß dieses I. bei der Unterwerfung des Sudân zuziehen und ihm einen Teil jener Länder einräumen werde. Zu diesem Zweck besetzten italienische Truppen 1884 den wichtigen Hafen Massaua (s. d.). Aber 1885 gab England wegen seiner Verwickelungen mit Rußland den Plan, den Sudân wieder zu unterwerfen, auf und zog seine Truppen nach Ägypten zurück. Damit war die Hoffnung Mancinis auf Eroberungen im Sudân vereitelt, und zugleich erwies sich der Negus Johannes von Abessinien den italienischen Annäherungsversuchen gegenüber mißtrauisch und unzugänglich. Die Lage der italienischen Truppen in dem ungesunden Massaua war eine höchst mißliche, und die kostspielige Besetzung schien ganz verfehlt. Mancini wurde daher wegen seiner falschen Berechnung in der Kammer heftig angegriffen und nahm im Juni 1885 seine Entlassung. An seine Stelle trat der bisherige Botschafter in Wien, Graf Robilant.

Indes auch wegen andrer Fragen war die ministerielle Mehrheit der Kammer ins Wanken geraten. Zunächst war die von der Regierung vorgeschlagene Übertragung des Betriebes der Eisenbahnen an zwei Privatgesellschaften erst nach langen Verhandlungen mit Mühe durchgesetzt worden. Dann hatte der Gesetzentwurf über die gleichmäßige Verteilung der Grundsteuer, welche im Süden eine geringere war als im Norden, die Deputierten Süditaliens entfremdet. Dennoch wurde auch das Kataster- und Grundsteuergesetz 5. Febr. 1886 noch angenommen. Als aber der Finanzminister Magliani bei der Beratung des Budgets für 1885/86 im Januar 1886 zugestehen mußte, daß dasselbe einen Fehlbetrag von 20 Mill. aufweise, richtete die Opposition der Pentarchie ihren Hauptangriff gegen die Finanzpolitik der Regierung, und nach heftigen Debatten wurde die von der Regierung gebilligte Tagesordnung 5. März nur mit 242 gegen 227 Stimmen angenommen. Mit so geringer Mehrheit mochte Depretis nicht weiterregieren, und da ein andres Kabinett überhaupt auf keine Mehrheit rechnen konnte, so wurde die Kammer im April aufgelöst und für den 23. Mai Neuwahlen ausgeschrieben. Dieselben ergaben für Depretis eine Mehrheit von über 60 Stim-^[folgende Seite]