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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Japan

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Japan (Rechtspflege, Heerwesen etc.; Geschichte).

gewesen. In dem Finanzjahr, welches 30. Juni 1884 endete, betrugen die gesamten Staatseinnahmen 73,943,258 Jen. Davon lieferte die Grundsteuer 58 Proz. oder 43,029,745 Jen und die Steuer auf Sake und verwandte Genußmittel 22 Proz. oder 16,768,135 Jen, und erst in dritter Linie kamen die Zolleinnahmen. Wenn man die enormen Kosten erwägt, welche nach Beseitigung des Feudalsystems die Mediatisierung der Daimios und Samurai, die Reorganisation des Heers, der Flotte und der Verwaltung in all ihren Zweigen, die Niederwerfung verschiedener Aufstände, Choleraepidemien und andre Landplagen der neuen Regierung verursachten, kann man wohl ermessen, daß dieselbe dem Bauer keine Erleichterung seiner Steuerlast bieten konnte. Dagegen hat sie ihm manche sonstige Vorteile gebracht, so: Schutz gegen die früher so verheerende Pockenkrankheit durch Impfzwang, Schulen für seine Kinder, Verkehrserleichterungen zum bessern Absatz seiner Produkte.

Die Rechtspflege und das Gerichtsverfahren fanden lange seitens der Fremden großen Tadel, indem sie sich vielfach durch Willkür und große Grausamkeit auszeichneten, bis in neuerer Zeit auch hierin Wandel geschaffen, den europäischen Anschauungen und Rechtsgrundsätzen Rechnung getragen und für eine bessere Vorbildung der Richter gesorgt wurde. Es gibt jetzt 243 verschiedene Gerichtshöfe, nämlich ein höchstes Oberappellationsgericht in Tokio, 4 Appellationsgerichte in Tokio, Osaka, Miyagi (Sendai) und Nagasaki, 23 Hauptämter mit 45 Abzweigungen und 170 Distriktsgerichte. Jedem der 3 Fu (Hauptstädte) und 44 Ken (Departements) steht ein Gouverneur oder Kenrei vor.

Die Polizeimacht besteht aus 20,358 Mann und 2252 Sergeanten. Dieselbe hat sich bei mehreren frühern Aufständen stets zuverlässig und als bedeutende Stütze der Regierung bewiesen.

Das Heerwesen wurde nach dem deutsch-französischen Krieg durch französische Offiziere, die man bereits früher engagiert hatte, organisiert, die Flotte erhielt ihre Gestaltung nach englischem Muster. Der Militärdienst ist nicht mehr Vorrecht der Samurai, sondern Pflicht aller, die das Los trifft. Im J. 1880 bestand die stehende Armee aus 37,412 Mann Infanterie und 2907 Kavallerie. Die Flotte besaß 24 Kriegs- und 5 Transportschiffe. Die beiden kaiserlichen und Landeswappen des gegenwärtig regierenden Kaisers, die heraldisch nicht beschrieben werden können, veranschaulichen obenstehende Abbildungen. Ersteres ist dem Chrysanthemum indicum, das zweite dem Blatt und der Blüte des in J. heimischen Baums Paulownia imperialis nachgebildet. Die Flagge zeigt inmitten des weißen Flaggentuchs eine rote Scheibe, die Sonne vorstellend (s. Tafel "Flaggen I").

Geschichte.

Die Japaner erhielten ihre Schriftsprache wie den Buddhismus aus China über Korea und zwar im 6. Jahrh. n. Chr. Ihr ältestes Buch ist das Kojiki (d. h. Notizen über alte Dinge), welches 711-712 n. Chr. erschien. Von seinen drei Bänden enthält der erste eine Kosmogonie und Mythologie vom alten J. und seinen Bewohnern, während die beiden andern die Geschichte des Herrscherhauses von 660 v. Chr. bis 628 n. Chr. bringen. Die Geschichte Japans reicht sonach bis in das 7. Jahrh. v. Chr. zurück, an Sagen über die ältere Zeit ist die Litteratur reich. Um 660 v. Chr. gründete Jimmu Tennô (posthumer Name, von welchem das erste Wort "Kriegsgeist", das zweite "Himmelskönig" bedeutet) die noch jetzt herrschende Dynastie. Er brach von dem südlichsten Teil der Insel Kiushiu mit Kriegern und Schiffen nordostwärts auf und nahm die nördlich gelegene Insel Hondo in mehrjährigen Anstrengungen bis zum 30.° nördl. Br. ein. Seine Nachkommen beherrschten und mehrten das Reich, insbesondere wird Yamato Dake, Sohn des zwölften Mikado, als Held und Eroberer des Kuwanto (Ebene von Jedo) gefeiert. Nachdem so der Grund zu einem einheitlichen Reiche geschaffen war, entwickelte sich auch einiger Verkehr mit dem Festland, besonders mit Korea und selbst mit China. In der Meinung, Unruhen auf der Insel Kiushiu seien von Korea geschürt, unternahm Okinaga Tarashi Hime, Witwe des 15. Herrschers, einen Eroberungszug übers Meer; die Koreaner wurden besiegt, der südliche Teil ihres Landes wurde J. zinsbar, und von hier aus strömte nun chinesische Bildung nach J. hinüber. Die japanischen Annalen setzen dieses Ereignis in das Jahr 202 n. Chr., doch ist diese Angabe, wie viele andre aus der alten japanischen Zeit, unzuverlässig. Nach ihrer Rückkehr aus Korea gebar Okinaga einen Sohn, der ihr als Ojin Tennô in der Regierung folgte und später als Hachiman (der japanische Mars) verehrt wurde. Die Beziehungen zu Korea wurden schon wegen der Möglichkeit, über dieses Land aus China sich mit Bildungsmitteln zu versehen, eifrig gepflegt und selbst mit Waffengewalt aufrecht erhalten; Mitte des 6. Jahrh. drang der Buddhismus ein. Die Buddhapriester verstanden den landesüblichen Kami- oder Ahnendienst (die Schintoreligion) mit ihrer Lehre in Verbindung zu bringen und trotz mancher Gegner den Hof für sich zu gewinnen. Mit der Kaiserin Suiko Tennô (593-628) kam der Buddhismus zur unbestrittenen Herrschaft; sie befahl 594 die Erbauung von Buddhatempeln und ordnete das Mönchswesen (624). Der 50. Herrscher, Kammu Tennô (782-807), gründete Kioto, woselbst alle seine Nachfolger bis zum Jahr 1868 residierten, führte gesetzliche Zustände ein, förderte Landwirtschaft und Verkehr, aber auch die Festsetzung und Entwickelung der Tendaisekte der Buddhisten, welche später so oft die politischen Wirren im Land schürte und sich ihrer zu ihren Zwecken bediente. Durch die Einführung chinesischen Zeremoniells und sonstiger Einrichtungen verweichlichte die Herrscherfamilie, verlor die koreanischen Besitzungen, übergab die Leitung der Armee und Verwaltung Günstlingen und legte damit den Grund zu vielhundertjährigen innern Wirren, welche erst endgültig beseitigt wurden, als die Tokugawa-Shogune mit ihrem Begründer Iyeyasu nach der Schlacht bei Sekigahara im J. 1600 zur dauernden weltlichen Herrschaft gelangten. Der Mikado stand als Landesherr nicht mehr, wie in älterer Zeit, an der Spitze seines Heers und der Verwaltung. Mehr und mehr entwickelte sich eine erbliche Soldatenklasse auf der einen und ein erbliches Beamtentum auf der andern Seite. Die Führerschaft der Militärklasse oder Samurai übten die Buke, der Militäradel, während an der Spitze des

^[Abb.: Kaiserliches Wappen. Landeswappen von Japan.]