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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Jesuiten

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Jesuiten (Organisation des Ordens, inneres Ordensleben).

Probehaus (domus probationis) beaufsichtigt und leitet. Zwanzig Tage lang dauert die Gastzeit, binnen welcher man den Fremdling (Indifferenten) vorläufig beobachtet und durch bestimmte vom Prüfer (Examinator) gestellte Fragen zu erforschen trachtet. Für den Zugelassenen, der vor allem körperlich gesund und geistig befähigt sein muß, beginnt nun die Probezeit (Noviziat). Die von 4 Uhr morgens bis 9 Uhr abends genau bestimmte Tagesordnung der Novizen umfaßt eine ertötende Monotonie von düstern Andachtsübungen, niedern Dienstleistungen, phantastischer Lektüre und herber Selbstqual, ganz dazu gemacht, alle gesunde Eigenart zu brechen und die geistige Verschrobenheit zu vollenden, die den jungen Mann ins Novizenhaus geführt hat. Nach zweijähriger Probezeit tritt der Novize mit feierlichem Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams als Koadjutor der Gesellschaft bei, deren Zwecke er von nun an thätig fördert, ohne noch die innersten Triebfedern des großen Maschinenwerkes selbst zu kennen. Seine Gelübde binden ihn, nicht aber den Orden, welcher einen Mißliebigen ohne weiteres entlassen darf. Es gibt geistliche Koadjutoren (Mithelfer, coadjutores formati, spirituales), welche den Jugendunterricht besorgen oder auch im Beichtstuhl und auf der Kanzel wirken, und weltliche Koadjutoren (coadjutores saeculares), welche als Verwalter, Diener, Köche, Handarbeiter für die physischen Bedürfnisse des Ordens sorgen und ohne bestimmte Erlaubnis nicht einmal lesen und schreiben lernen dürfen. Nur wer als Scholastikus in einem Ordenskollegium fünf Jahre lang sich mit allgemein wissenschaftlichen Fächern beschäftigt, dieselben dann weitere fünf Jahre lang als Lehrer vorgetragen, hierauf ungefähr ebenso lange Theologie studiert und schließlich noch ein Jahr auf Wiederholung der Noviziatsübungen verwendet hat, empfängt die Priesterweihe und findet entweder Verwendung als geistlicher Koadjutor oder Aufnahme in die Zahl der Professen von vier Gelübden. Diese allein verwalten die höchsten Ämter, wählen aus ihrer Mitte den Großmeister und erscheinen auf den, freilich selten genug, in Rom abgehaltenen Generalkapiteln. Hinsichtlich des Vermögens galt früher der Unterschied, daß die Profeßhäuser von milden Gaben lebten, die Kollegien und Novizenhäuser aber gemeinschaftliche Einkünfte erwerben durften.

Inneres Ordensleben.

Das innere Ordensleben charakterisiert sich besonders nach den vier Seiten der häuslichen Zucht, des Gottesdienstes, des Unterrichts und des Missionswesens. Die Hausregel oder Tagesordnung strebt das Aufgehen aller individuellen Triebe und Kräfte im Gesamtinteresse an. Obenan steht die Pflicht, gegenüber den Befehlen der Obern dem eignen Willen zu entsagen. Niedrige, oft den Sinnen widerwärtige Geschäfte (officia abjecta) muß man so lange betreiben, bis die ursprüngliche Abneigung besiegt ist, für jeden Brief die Erlaubnis des Obern nachsuchen, alle Falten und Geheimnisse des Herzens, alle Fehler und Gebrechen nicht nur im Beichtstuhl enthüllen, sondern auch außerhalb desselben, wenn sie an einem Mitbruder entdeckt werden, ohne Säumnis einberichten, endlich zweimal des Tags sein Gewissen prüfen. Der kategorische Imperativ des blinden Gehorsams erreicht dadurch seinen Höhepunkt, daß der Vorgesetzte kraft der gegebenen Vollmacht im Namen Jesu Christi dem Untergebenen selbst eine Handlung aufgeben kann, welche dessen eignes sittliches Gefühl oder Urteil mißbilligt. Die Selbstüberwindung gegenüber den Banden des Bluts fordert Aufgeben der angebornen Naturgefühle; von Vater, Mutter, Verwandten spricht schon der Novize als von solchen, die er nicht mehr hat. Nicht weniger soll die Eifersüchtelei der Nationalität in dem Kreis der Brüderschaft verschwinden, daher Gespräche über politische Gegenstände verboten sind. Jedes Mitglied soll nach Kräften Engelsreinheit des Geistes und Leibes erstreben, Auge, Ohr und Zunge mit anhaltender Sorgfalt bewachen. Gang, Schritt, Gestikulation, Stimme, Haltung sind dem Jesuiten genau vorgeschrieben. Er wandelt im langen schwarzen Gewand und Mantel, mit einer schwarzen viereckigen Mütze oder dem flachbodigen Krempenhut angethan; sein Haupt darf er nicht frei bewegen, sondern muß es mit leichter Beugung nach vorn tragen; die Augen sollen den Boden suchen und nur den untern Teil des Gesichts des Angeredeten fixieren. Auch auf etwanigen Wanderungen soll der Jesuit sich unaufhörlich in den Ordenskreis hineindenken und in bestimmten Fristen vorgeschriebene Reisegebete wiederholen. Die Armut soll als eine eherne Ordensmauer (religionis murus) geliebt und in aller Reinheit geübt werden. Niemand soll irgendwie Eigentum haben, jedermann mit dem geringsten Hausgerät und Bedarf zufrieden und, im Fall Not oder Gebot es fordern, bereit sein, das Brot von Thür zu Thür zu erbetteln, auch nicht Lohn und Almosen nehmen für geistliche Handlungen, als Messe, Beichte, Predigt, Unterricht. So wenigstens lauten die Konstitutionen, die freilich durch päpstliche Eingriffe gerade auf diesem Punkt verhängnisvolle Änderungen erfuhren, in deren Folge der Jesuitenorden bald über unzählige Reichtümer gebot und in allen Ländern Handels- und Bankgeschäfte betrieb.

Gottesdienst, Predigt und Seelsorge sind streng an die Überlieferung der römisch-katholischen Kirchenlehre gebunden; doch verschmähten die jesuitischen Theologen nicht, wo es die Erreichung ihres Hauptzwecks, Bekämpfung des Protestantismus und seiner Dogmatik, galt, auch unter Anwendung von utilitarischen und eudämonistischen Reflexionen die Seelen möglichst zu gewöhnen, ihr Heil auf dem Weg der Beichte und der verdienstlichen Werke zu suchen. Während sie in der Verfolgung dieses Ziels die Lehren von der Gnade und Vorherbestimmung einer rein rationalistischen Kritik unterwarfen, huldigten sie auf andern Gebieten zugleich der krassesten Phantastik und trieben namentlich als fruchtbares Prinzip alles sinnlich-übersinnlichen Aberglaubens den Marienkultus auf die Spitze. Dieser letztere überwucherte bald in seiner rohesten, geschmacklosesten und anstößigsten Form den ganzen Gottesdienst. Ein stehendes Thema in ihren Predigten und Erbauungsbüchern wurde es, daß es schwer sei, durch Christus, dagegen leicht, durch Maria selig zu werden. Aber auch sonst fand aller Heiligen-, Bilder- und Reliquiendienst die eifrigste Unterstützung, Fortbildung und Verbreitung unter den J. Sie produzierten Wundergeschichten, Talismane und Fetische in Menge und suchten auf diesem Weg die Phantasie des Volkes zu beschäftigen und einzunehmen. Nichts wurde verabsäumt, um neben der schlagfertigen Frömmigkeit, welche jede Kapitulation mit dem Feind verschmähte, den religiösen Sinn an die Interessen des Ordens zu knüpfen. Für diesen bringt man im Beginn des Jahrs, Monats, der Woche ein besonderes Meßopfer dar; die Wohlthäter und Gönner finden in Gebeten und Messen dankbares Gedächtnis, kein wichtiges, der römisch-katholischen Kirche und Brüderschaft günstiges Ereignis bleibt ohne gottesdienstliche Feier. Das ganze Räderwerk der mannigfaltig abgestuften