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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Joseph

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Joseph (deutsche Kaiser: Joseph II.).

rigkeiten den deutschen Kirchenfürsten gegenüber entstanden, deren Rechte in den österreichischen Erbländern aufgehoben worden waren. Insbesondere wurden auf diese Weise die Bischöfe von Passau, Salzburg und Bamberg zu entschiedener Opposition gegen J. gedrängt, welche sich schließlich in dem Fürstenbund Ausdruck verschaffte. Den letztern hatten die kleinern Reichsfürsten zuerst gegen die Verfassungsverletzungen Josephs geschlossen; als aber J. das Projekt der Gewinnung Bayerns durch Austausch gegen Belgien 1785 wieder aufnahm, trat Friedrich II. dem Fürstenbund bei und versetzte dadurch der österreichischen Politik in Deutschland eine unheilbare Wunde. Das kirchliche Territorialsystem aber, welches J. gegründet hatte, vermochten die deutschen Bischöfe nicht zu erschüttern. Zu den neuen Diözesaneinteilungen in Österreich gewann J. schließlich die Einwilligung der römischen Kurie, indem er den Besuch des Papstes schon 1783 unerwartet in Rom erwidert hatte und nun dafür sorgte, daß der Bruch mit Rom nicht allzu tief und nachhaltig werde. Die vornehmste Sorge Josephs richtete sich nunmehr auf die Heranbildung eines staatstreuen Klerus, wie denn das Unterrichtswesen überhaupt eine den Staatszwecken ausschließlich dienende Richtung erhielt. Die Reformen auf diesem Gebiet wurden durch Gottfried van Swieten ins Leben geführt, welcher sich für Verbreitung des Wissens und Könnens große Verdienste erwarb, aber auch in Bezug auf die höhern Aufgaben des Unterrichts und der Wissenschaft einem trocknen Utilitarismus huldigte.

Am wohlthätigsten wirkten ohne Zweifel die Maßnahmen Josephs auf dem Gebiet der sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Verhältnisse, und man hat die treffende Bemerkung gemacht, daß J. den österreichischen Erbländern eine Revolution erspart habe. Er legte den Grund zu einem bessern und gerechtern Steuersystem, das nur deshalb Widerspruch erregte, weil es den Adelsvorrechten entgegentrat und alle ständischen Privilegien beseitigte. Die gänzliche Aufhebung der Leibeigenschaft war aber das dauerndste Resultat der Josephinischen Gesetzgebung. In Bezug auf Josephs Reformen im Justizwesen zeigte sich der unruhige Geist und der stets wachsende Widerspruch der Verordnungen besonders nachteilig. So wurde die Todesstrafe erst aufgehoben und in solche Strafen verwandelt, welche, wie Schiffziehen und Gassenkehren, die öffentliche Meinung gegen sich hatten; bald aber führte eine neue Ordonnanz die Todesstrafe wieder ein. Ganz ähnliche Schwankungen zeigten Josephs Verordnungen über die Bücherzensur und Preßfreiheit. Mangel an jeglicher Voraussicht bei Erteilung solcher Gesetze und zufälliger Verdruß bei Aufhebung oder Modifikation derselben charakterisieren auch hier die Thätigkeit des absolut schaltenden Monarchen.

Trotz des Widerstandes, welchen J. in den Erbländern fand, würden indes seine Gesetze nachhaltiger gewirkt haben, wenn das Ansehen seiner Regierung nicht durch seine äußere Politik völlig erschüttert worden wäre. Bei persönlicher Bewunderung Friedrichs II. war er doch zu sehr in den österreichischen Traditionen befangen, als daß er nicht die lebhafteste Eifersucht gegen das wachsende Ansehen Preußens empfunden hätte, und diese Eifersucht ward erwidert, indem der Preußenkönig dem Lieblingsplan Josephs II., Bayern zu erwerben, entgegentrat und so dieses für Österreichs Stellung in Deutschland epochemachende Projekt durchkreuzte. Indem J. Anlehnung an fremde Staaten, bald an Frankreich, bald an Rußland, suchte, mißglückten ihm die nächsten Unternehmungen. Als er die alten Verträge über die Scheldeschiffahrt mit den Holländern lösen wollte, mußte er als römischer Kaiser die Beleidigung seiner Flagge durch das stolze kleine Nachbarvolk hinnehmen und froh sein, daß Frankreich einen Ausgleich vermittelte. Der abenteuerliche Plan, das griechische Reich wiederherzustellen, und die russische Allianz führten zu dem Türkenkrieg von 1788, dessen unglücklicher Verlauf alle schlummernden Kräfte des Widerstandes in den Erbländern entfesselte. In Belgien war es schon 1787 zu blutigen Auftritten gekommen. Während der Kaiser mit Katharina II. von Rußland im Chersones die weitreichendsten Pläne entwarf, zeigte sich sein Regiment in den Erbländern von seiner schwächsten Seite. Nachdem er die Statthalter der Niederlande, den Herzog Albert von Sachsen-Teschen und dessen Gemahlin, die Erzherzogin Marie Christine, wegen der Nachgiebigkeit, die sie den niederländischen Ständen gegenüber bewiesen, abberufen, wollte er durch Kabinettsaufträge über die Köpfe seiner Minister hinweg sein verlornes Ansehen militärisch wiederherstellen und befahl seinem General Murray den rücksichtslosesten Gebrauch der Waffen und Einführung des Martialgesetzes. Aber auch hier fand J. nur wenig Gehorsam, und nachdem er endlich einen fügsamen General zu diesem Zwecke gefunden, hatte er nicht die hinreichende militärische Macht, um die Revolution zu ersticken. Ganz ähnlich hatten sich die Dinge in Ungarn entwickelt. Die einfache Negation des historischen Rechts in diesem Land hatte erst einen passiven, bald in den Komitaten einen faktischen Widerstand erzeugt, der seit 1789 durch die französischen Revolutionsvorgänge sichtlich beeinflußt und befördert wurde. Als gegen Ende desselben Jahrs J. neue Forderungen in betreff der Rekrutenstellung und Getreidelieferung stellte, wurde er von den Komitatsbehörden barsch an den Reichstag verwiesen, der freilich seinerseits schwerlich geneigt gewesen wäre, mit dem ungekrönten König zu verhandeln. Am 28. Jan. 1790 unterzeichnete J. jenes merkwürdige Dokument, durch welches er für Ungarn mit wenigen Ausnahmen alle Neuerungen widerrief und den Verfassungsstand vom Jahr 1780 wiederherstellte. Um Belgien zu pazifizieren, mußte er sich zu dem noch demütigendern Schritt bequemen, die Hilfe und Vermittelung des Papstes Pius VI. anzurufen. Gleichzeitig hatten auch die böhmischen und tirolischen Stände sich zu regen begonnen und preßten dem todkranken Kaiser das Geständnis ab: "Ich will ihnen ja alles geben, was sie verlangen; nur mögen sie mich ruhig ins Grab steigen lassen". J. starb 20. Febr. 1790, 49 Jahre alt, an einem Lungenleiden, welches infolge der Strapazen der beiden Türkenfeldzüge rasch zugenommen hatte.

Man sagte (wohl mehr eine nachträgliche Erfindung), er habe sich als Grabschrift setzen wollen: "Hier liegt ein Fürst, dessen Absichten rein waren, der aber alle seine Entwürfe scheitern sah". Indessen darf man die Wirksamkeit Josephs auch bei der kühlsten Beurteilung und schärfsten Kritik nicht unterschätzen, da aus dem Zusammenbruch seines Regierungssystems die wesentlichsten Prinzipien lebensfähig sich behaupteten. Im großen und ganzen hat er den österreichischen Regierungen und selbst dem österreichischen Volkscharakter in jeder politischen Beziehung seinen Stempel aufgedrückt, der "Josephinische Geist" ist noch heute im Mittelstand Deutsch-Österreichs lebendig. Wenn auch seine kirchlichen Ansichten von seinen Nachfolgern nicht geteilt wurden,