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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Juden

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Juden (in England und Deutschland während des Mittelalters).

beraubt und auszogen, vieler Verbrechen angeklagt, welche sie nie begangen hatten, wurden die J. aus Paris und Umgegend 1181 durch königlichen Befehl ausgewiesen und die in der Landschaft Bray 1191 ins Elend getrieben. Auch aus den Baronien wurden sie verjagt, wenn sie nichts mehr an Schätzen herzugeben hatten. Geldnot veranlaßte den König zu ihrer Zurückberufung und zu milderer Behandlung. Doch waren sie auf einen bestimmten Wohnort beschränkt und wurden Leibeigne ihres Schutzherrn. Nachdem jüdische Zeloten das Verbrennen der Schriften des Maimonides (s. d.) in Paris und Montpellier veranlaßt hatten (1233), wurden Religionsdisputationen am französischen Hof abgehalten (1240), 24 Wagen voll talmudischer Schriften zu Paris verbrannt (1242), unter Ludwig dem Heiligen die J. verfolgt (1250-1270) und 1306 von Philipp IV., dem Schönen, an 100,000 Seelen aus ganz Frankreich vertrieben. Ludwig X. gestattete ihre Rückkehr (1315), aber nur unter den härtesten Bedingungen. Leidvoll und kurz war ihr neuer Aufenthalt, denn 1320 wurden sie während der Ausschweifungen fanatischer Haufen von Bauern und Hirten (Pastoureaux oder Pastorels) und wieder 1321, weil sie die Aussätzigen zur Brunnenvergiftung verleitet haben sollten, schwer heimgesucht und endlich 1394 von Karl VI. für immer des Landes verwiesen. In einzelnen Landesteilen (in dem päpstlichen Bezirk Venaisinn mit den Städten Avignon und Carpentras) blieben J.; den Vertriebenen gewährten Deutschland, Italien und Polen eine unsichere Zufluchtsstätte. Ludwig XII. vertrieb 1501 die J. aus der Provence.

Wenig besser war das Los der J. in den damals zu England gehörenden französischen Landstrichen (Normandie, Bretagne, Anjou, Touraine, Maine, Guienne, Poitou und Gascogne) und in England selbst. Hier hatte Eduard der Bekenner 1041 die J. und ihr Vermögen für Eigentum der Krone erklärt; Wilhelm der Eroberer hatte abgefallene J. zur Rückkehr zum Judentum gezwungen, um seine Einkünfte nicht durch die Kirche geschmälert zu sehen. Sie wurden den Königen immer unentbehrlicher, dem Volk aber verhaßt, weil sie sich des Wohlstandes, ja oft des Reichtums erfreuten. Am Krönungstag Richards Löwenherz (3. Sept. 1189) begannen die ersten Ausbrüche des Hasses. Das Volk fiel zuerst über die mit ihren Huldigungsgeschenken aus Veranlassung des Erzbischofs von Canterbury zurückgewiesenen, dann über alle J. Londons plündernd und mordend her. Richard zog die Mörder zur Verantwortung. Als er mit den Kreuzrittern, die auch in England den Krieg für den Glauben mit den J. begannen, das Land verlassen hatte, traf die jüdischen Gemeinden in Norwich, York und andern Städten das gleiche Schicksal wie die J. zu London. Johann ohne Land (1199-1216) begünstigte sie anfangs zur Aufbesserung seiner Finanzen, beraubte aber sodann die reichsten, wobei ihm die Ritter Hilfe leisteten. Unter der Regentschaft Heinrichs III. (1216-72) waren sie von der Regierung geschützt und mußten zur Wahrnehmung des Schutzes zwei Streifen Leinwand oder Pergament vor der Brust tragen; später nahm Heinrich ihnen aber den dritten Teil ihres Vermögens. Fortgesetzte Erpressungen veranlaßten die J., um Gestattung des Abzugs aus England nachzusuchen; durch die verlockendsten Versprechungen ließen sie sich zurückhalten, bis 1290 Eduard I. sie nach vielen Quälereien und Gelderpressungen verbannte.

Von Italien und Frankreich aus mögen J. schon in sehr früher Zeit Deutschland und zwar meist dessen südliche und mittlere Gegenden aufgesucht haben, denn in Köln lassen sie sich schon im 4., in Mainz im 8., in Magdeburg, Merseburg und Regensburg im 10., in Worms (vielleicht die älteste jüdische Gemeinde Deutschlands), Trier, Speier im 11. Jahrh. nachweisen; sie bildeten in Böhmen, Mähren, Schlesien, Österreich zahlreiche Gemeinden, während sie im mittlern und nördlichen Deutschland vom 13. Jahrh. an nur vereinzelt vorkommen. Über ihre Geschichte bis zu den Kreuzzügen sind wir wenig unterrichtet; sie scheinen aber von Bischöfen und kaiserlichen Beamten wie andre Bürger aufgenommen und behandelt worden zu sein und zum Kaiser in keinem Abhängigkeitsverhältnis gestanden zu haben. Die Privilegien, welche der Bischof Rüdiger Huozmann von Speier den speierischen J. erteilte (1080) und Kaiser Heinrich IV. auf Ansuchen der J. bestätigte und erweiterte (1090), gaben ihnen Handelsfreiheit für das ganze Reich, eigne Gerichtsbarkeit, das Recht, Grundstücke zu erwerben, christliche Dienstboten zu halten, den Eid nach jüdischem Gesetz zu leisten, schützten sie vor Anwendung der Gottesgerichte u. dgl. Ähnliche Privilegien sind wohl auch den J. andrer Städte erteilt, jedenfalls aber nicht allen J. im Reich ausgestellt und bestätigt worden. Erst nach den Schreckenszeiten der Kreuzzüge (s. unten) nahmen sie die Kaiser, zuerst Heinrich IV. im Landfrieden von 1103, dann Konrad III. während des zweiten Kreuzzugs, in Schutz. Aus diesem Schutz entwickelte sich die sogen. Kammerknechtschaft für alle J. des Reichs. Sie sollten als Servi camerae (Kammerknechte, besser "Abhängige der Kammer") den kaiserlichen Schutz genießen und dafür Abgaben an die Kammer entrichten. Bald trat die Erhebung der Abgaben in den Vordergrund, die J. wurden für ihre Herren eine vorzügliche Quelle zur Aufbesserung der Einkünfte, und von einem ausreichenden Schutz gegen plündernde, mordende Ritter und Volkshaufen war keine Rede mehr. Seit der Mitte des 14. Jahrh. kam der Grundsatz zur Anwendung, daß Leben wie Vermögen den J. nur precario, "bittweise", gehöre und der Kaiser befugt sei, es jederzeit zu nehmen. Sie mußten bei der Krönung eines neuen Kaisers sich jedesmal diesen Schutz erneuern lassen und dafür eine außerordentliche Abgabe (Krönungssteuer) zahlen, welche zuerst unter Friedrich I. von den J. in Goslar (1155), vom 15. Jahrh. an allgemein erhoben wurde. Der Kaiser konnte dieses Schutzrecht als königliches Regal auf andre (Landesherren, Bischöfe, Städte) übertragen, damit belehnen oder es verpfänden, auch erlauben, "J. zu halten". Dadurch wurden sie mit der Zeit landesherrliche oder städtische Kammerknechte und in ihrer Freizügigkeit beschränkt. Zu der bedeutenden, nicht überall gleichen Steuer für den Schutz, der in besondern "Schutzbriefen" verbürgt war, kamen noch andre Abgaben, wie der güldene Opferpfennig von Ludwig dem Bayern (1342), und außerordentliche Geldlasten in Finanznöten der Kaiser. In den unsichern Zeiten des Mittelalters konnten J. bei ihren Reisen sich von ihrem Schutzherrn gegen eine Steuer ein sicheres Geleit erwerben ("Geleitszoll"). Dieser Zoll ward ohne jede Gegenleistung bis Ende des 18. Jahrh. als "Leibzoll" erhoben und bestand hier und da noch zu Anfang dieses Jahrhunderts. Auch das städtische Bürgerrecht ging den J. ab. Sie durften keine Ämter bekleiden und wurden nicht zur städtischen Vertretung herangezogen. Durch den Ausschluß aus den kaufmännischen Genossenschaften und den Innungen der Gewerbe zwang man die J., welche vor den Kreuzzügen noch