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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Jug; Juge; Jugend; Jugendschriften

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Jug - Jugendschriften.

Jug, Fluß im russ. Gouvernement Wologda, entspringt in einem sumpfigen Wald im Kreis Nikolsk, fließt in nördlicher Richtung und vereinigt sich bei Welikij Ustjug mit der Suchona zur Dwina (s. d.). Es ist ein reißender Strom von sehr geschlängeltem Lauf in einem verwilderten Bett, 463 km lang und bis 160 m breit. Die Schiffahrt auf ihm ist unbedeutend (1882: 32 Fahrzeuge, welche Waren im Wert von 503,868 Rubel transportierten).

Juge (franz. spr. schühsch'), Richter; J. de paix, Friedensrichter; J. consulaire (früher: J. et consul), Handelsrichter, Mitglied eines Handelsgerichts.

Jugend, s. Alter; dort auch näheres über das jugendliche Alter in rechtlicher Beziehung, jugendliche Arbeiter im Sinn der Fabrikgesetzgebung (s. d.), jugendliche Verbrecher etc.

Jugendschriften, Schriften, welche bestimmt sind, der Jugend zur anregenden Unterhaltung außerhalb des eigentlichen Unterrichts zu dienen. Da selbstverständlich auch die freie Lektüre der Jugend dem allgemeinen Gesichtspunkt der Erziehung untergeordnet sein muß, berührt sich die Jugendlitteratur nach der einen Seite hin mit derjenigen der Schul- und Lehrbücher. Das unterscheidende Merkmal liegt in der Bestimmung der J. für die Unterhaltung der Jugend in ihren Freistunden. Den Übergang zwischen beiden Arten bildet das Lesebuch (s. d.), das, zunächst Schulzwecken dienend, doch, richtig eingerichtet und verständig behandelt, den Schülern lieb werden und auch außer den Schulstunden manche Stunde verkürzen wird. Anderseits ist die Jugend ein Teil der Nation und soll für das nationale wie für das kirchliche Leben erzogen werden. Eine besondere Jugendlitteratur hat daher nur so weit Berechtigung, wie die Nationallitteratur nicht schon selbst das für die junge Welt Geeignete darbietet. Mit der allgemeinen Nationallitteratur berührt sich daher diejenige der J. in dem Kreis der volkstümlichen Litteratur und namentlich der volkstümlichen Dichtung. Immerhin behandelt aber auch dieser seit Herder in seinem hohen Wert erkannte Teil des Schrifttums vielfach Lebensverhältnisse und Lebensfragen, die dem Verständnis des unmündigen Alters fern liegen oder demselben ohne Gefahr für dessen sittliche Erziehung noch nicht vorgeführt werden können. Hieraus geht hervor, daß J. für die erwachsene Jugend, das Jünglings- und Jungfrauenalter, im allgemeinen keine Berechtigung mehr haben; denn diesem Alter geziemt schon die, wenn auch nur nach und nach sich ausbreitende, Teilnahme an der Nationallitteratur. Wohl aber ist innerhalb der Jugendlitteratur eine gewisse Abstufung nach dem Alter und namentlich der Unterschied zwischen eigentlichen Kinderschriften (etwa bis zum 10. oder 11. Lebensjahr) und Schriften für die reifere Jugend berechtigt, weil durch die natürliche Stufenfolge der kindlichen Entwickelung bedingt, wenn auch dieser Unterschied stets ein fließender bleiben wird. In der folgenden Übersicht der Geschichte und des gegenwärtigen Zustandes der Jugendlitteratur sind jedoch beide Arten zusammengefaßt.

Wenn auch der Begriff eines besondern Schrifttums für die Jugend vor Erfindung des Buchdrucks nicht wohl aufkommen konnte, so ist doch schon dem Altertum der Gedanke einer Aussonderung desjenigen aus der Dichtung und aus der Göttersage, was für die Knabenjahre geeignet sei, nicht fremd gewesen. Namentlich findet sich derselbe bei Platon im zweiten Buch "vom Staat" (Kap. 17, S. 377 ff.) ausführlich erörtert, wo der Philosoph mit demselben die nicht ganz abzuweisende, aber ebensowenig ohne großen Vorbehalt zuzulassende Hoffnung verbindet, daß bei angemessener Auswahl und Gestaltung des unterhaltenden Stoffes die Kinder spielend das Nötige lernen würden. Daß gewisse Zweige der Dichtung, wie z. B. die Äsopischen Fabeln, als vorzugsweises Eigentum der Jugend angesehen wurden, bezeugen vielfache Andeutungen der alten Schriftsteller und Dichter. Auch im Mittelalter gab es neben rein religiösen Katechismen Beispielsammlungen für die Jugend, die doch aber mehr auf gelegentlichen Gebrauch der Eltern, Lehrer und Paten als zur eignen Lektüre der Kinder berechnet waren. Diesen Standpunkt nimmt unter andern auch Luther ein, der sich der wundersamen Historien und Märchen seiner Kinderjahre um kein Gold entschlagen wollte und für Fabel und Weltgeschichte im Interesse der Jugend thätigen Eifer bewies, auch selbst den rechten Ton für die Kinderwelt, wo es ihm darauf ankam, meisterhaft traf. Gegen Ende des Reformationsjahrhunderts ist der "Froschmeuseler" des Magdeburger Schulrektors G. Rollenhagen (1595) ausdrücklich der zu Weisheit und Regimenten (Staatsämtern) erzogenen Jugend zur anmutigen, aber sehr nützlichen Lehre gewidmet, allein doch wohl mehr für herangewachsene Schüler oder Studenten gemeint. Die pädagogischen Realisten des 17. Jahrh. greifen den Begriff der J. öfters, so Comenius mit seinem berühmten "Orbis pictus" (1657); aber bei ihnen hat sich die Scheidung desselben von dem der Schulbücher noch nicht vollzogen. Aus dem Ende des Jahrhunderts ist der Zittauer Rektor Chr. Weise (1642-1708) wegen seiner Schulkomödien wie wegen seiner "Überflüssigen, reifen und notwendigen Gedanken der grünenden Jugend" zu nennen. Den eigentlichen Anfang der modernen Jugendlitteratur bezeichnen aber zwei ausländische Werke: Fénelons "Télémaque" (1690, erschien 1717) und Daniel Defoes "Robinson Crusoe" (1719), die in ihrer Heimat überaus anregend wirkten und sich bald über die ganze gebildete Welt verbreiteten. Anerkanntes Vorbild für J. wurde Defoes "Robinson" namentlich durch Rousseaus Empfehlung (im "Émile", 3. Buch). Aus diesen Anfängen entwickelte, wie in England und Frankreich, so auch in Deutschland das "pädagogische Jahrhundert" eine reiche Litteratur für die Jugend. Schon 1761 begründete Adelung in Leipzig ein Wochenblatt für Kinder. Aber in rechten Fluß kam die Bewegung erst in dem um Basedow sich sammelnden Kreis der Philanthropen. Von dessen unmittelbaren Mitarbeitern widmeten sich vorzugsweise J. H. ^[Joachim Heinrich] Campe (1746-1818) und Ch. G. Salzmann (1744-1811) der Jugendschriftstellerei. Des erstern J. füllen eine Sammlung von 37 Bänden, die vom 17. Band an Reisebeschreibungen, in Bd. 36 und 37 die Lehrschriften: "Väterlicher Rat für meine Tochter" und "Theophron, der erfahrene Ratgeber der Jugend" enthalten. Unter allen Campeschen J. haben sich wohl nur "Robinson der Jüngere" (109. Aufl., Braunschw. 1884) und "Geschichte der Entdeckung Amerikas" (26. Aufl. 1881) bis heute in den Händen der Jugend erhalten. Auch Salzmanns "Unterhaltungen für Kinder und Kinderfreunde" (Leipz. 1811, 4 Bde.) wie des gleichzeitigen und gleich gesinnten Ch. F. Weiße (1726-1804) "Kinderfreund" (Zeitschrift, das. 1773-84, 12 Bde.) und "Briefwechsel der Familie des Kinderfreundes" (Zeitschrift, das. 1784-95) haben ihre Zeit längst gehabt. Vor 100 Jahren galten sie jedoch als hochbedeutende Erscheinungen und riefen eine Hochflut von mehr oder minder gelungenen Nachahmungen