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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kirchenrat; Kirchenraub; Kirchenrecht

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Kirchenrat - Kirchenrecht.

auf den Papst und durch das Eintreten des letztern für die Reichsregierung zu gunsten ihrer Militärvorlage gegenüber der Zentrumspartei zu Anfang des Jahrs 1887 noch mehr befestigt. Ihr Ergebnis war das preußische Gesetz vom 29. April 1887, welches die kirchenpolitische Gesetzgebung im Interesse des Friedens mit der Kurie weitern erheblichen Abänderungen unterzieht. Für die Bestellung des Verwesers eines Pfarramtes werden durch dies Gesetz Anzeigepflicht und Einspruchsrecht (s. oben) aufgehoben. Nur für die dauernde Übertragung eines Pfarramtes gilt fortan noch das Einspruchsrecht, von welchem jedoch nur dann Gebrauch gemacht werden soll, wenn der Anzustellende aus einem auf Thatsachen beruhenden Grund, welcher dem bürgerlichen oder staatsbürgerlichen Gebiet angehört, für die Stelle nicht geeignet ist. Die Abhaltung von Messen und die Spendung der Sakramente sind freigegeben. Endlich sind für den ganzen Umfang der preußischen Monarchie wiederum zugelassen diejenigen Orden und ordensähnlichen Kongregationen, welche sich der Aushilfe in der Seelsorge, der Übung der christlichen Nächstenliebe, dem Unterricht und der Erziehung der weiblichen Jugend in höhern Mädchenschulen und gleichartigen Erziehungsanstalten widmen, oder deren Mitglieder ein beschauliches Leben führen.

Vgl. Friedberg, Die Grenzen zwischen Staat und Kirche (Tübing. 1872, 3 Bde.); Hase, Des Kulturkampfs Ende (3. Aufl., Leipz. 1879); Jolly, Der Kirchenstreit in Preußen (Berl. 1882); v. Hammerstein, Kirche und Staat vom Standpunkt des Rechts (Freiburg 1883); Mejer, Zur Geschichte der römisch-deutschen Frage (Rost. u. Freib. 1871-83, 3 Bde.); Hinschius, Preußische Kirchengesetze (Berl. 1874-1887, 4 Bde.); Bar, Staat und katholische Kirche in Preußen (das. 1883); Majunke, Geschichte des Kulturkampfs in Preußen (Paderb. 1886-87, 2 Tle.); Wiermann, Geschichte des Kulturkampfs (2. Aufl., Leipz. 1886); Wendt, Darstellung der Kulturkampfgesetze (Berl. 1887); Kries, Die preußische Kirchengesetzgebung (Danzig 1887); Hinschius, Staatskirchenrecht (in Marquardsens "Handbuch des öffentlichen Rechts", Freiburg 1887).

Kirchenrat, eine für die Verwaltung kirchlicher Angelegenheiten eingesetzte Behörde. Während nämlich die römische Kirche, in welcher prinzipiell die Behandlung geistlicher Angelegenheiten nur durch Kleriker erfolgt, lediglich aus Nützlichkeitsrücksichten Laien für die kirchliche Administration benutzt und ihre Thätigkeit auf Externa (äußere Angelegenheiten) beschränkt, hat die evangelische Kirche auch die nicht ordinierten Glieder der Gemeinde in die kirchliche Verwaltung hineingezogen. Die Kirchenvorstände, auch Kirchenväter genannt, sind die gesetzlichen Vertreter der Kirchengemeinde. Dagegen ist Oberkirchenrat der Titel für die evangelische oberste Kirchenbehörde. So waren in Preußen bis 1852 die Provinzialkonsistorien der evangelischen Abteilung des Kultusministeriums unterstellt. Jetzt ist für die alten Provinzen der evangelische Oberkirchenrat die oberste kirchliche Behörde; er ist kollegialisch organisiert und unmittelbar dem König unterstellt. Unter ihm stehen die Provinzialkonsistorien, welche in den neuen Provinzen dem Kultusminister untergeordnet sind. In Österreich dagegen steht der evangelische Oberkirchenrat unter dem Ministerium für Kultus und Unterricht. Auch in Württemberg, Baden, Oldenburg, Meiningen etc. ist Oberkirchenrat die Bezeichnung für die oberste Kirchenbehörde des Landes. K., Oberkirchenrat, Geheimer K. sind endlich auch Titel für angesehene Geistliche, Kirchenrechtslehrer oder Konsistorialmitglieder.

Kirchenraub (Kirchendiebstahl, Crimen sacrilegii), im ältern Strafrecht das Stehlen geweihter Dinge (res sacrae), das Stehlen von geweihter Stätte und das Stehlen geweihter Dinge von geweihter Stätte, wurde, weil man darin eine Beleidigung der Gottheit selbst erblickte, strengstens bestraft. Die moderne Gesetzgebung berücksichtigt als erschwerendes Moment das verletzte religiöse Gefühl andrer und behandelt den K. als besonders strafbaren Fall des Diebstahls (s. d.).

Kirchenrecht (lat. Jus ecclesiasticum), Inbegriff der Rechtsnormen, welche für die Rechtsverhältnisse der Kirche (s. d.) als solcher und für diejenigen des Einzelnen als Mitglied dieser Gemeinschaft maßgebend sind. Je nachdem es sich dabei um das in den Satzungen einer bestimmten Kirche und in den Gesetzen eines bestimmten Staats enthaltene oder um das aus Begriff und Wesen der Kirche im allgemeinen sich ergebende K. handelt, spricht man von positivem im Gegensatz zu dem natürlichen K. Ferner pflegt man zwischen allgemeinem und besonderm K. zu unterscheiden, je nachdem dasselbe für die Gesamtheit der Kirche oder nur für einzelne Kirchengemeinden Geltung hat. Quellen des positiven Kirchenrechts sind Gewohnheitsrecht, geistliche und weltliche Gesetze und Verordnungen, für das katholische K. die Tradition, die Bestimmungen der Kirchenväter, die Beschlüsse der Päpste und der Konzile und die Konkordate. Dazu kommen die Verfassungen und die Kirchenordnungen der einzelnen Staaten. Die vorreformatorische Kirche, die nach der Art, wie sie die weltlichen Regierungen beherrschte, über die Exekutivmittel des Staats nicht weniger als dieser selbst gebot, konnte die Erzeugung und Ausbildung ihres Rechts, des sogen. kanonischen, im wesentlichen in derselben Weise, in welcher der weltliche Staat sich eine Rechtsordnung bildet, selbst vermitteln. Auch die heutige römisch-katholische Kirche beansprucht noch für ihre Rechtsbildung die gleiche Selbständigkeit, wird aber darin von den weltlichen Obrigkeiten nicht mehr anerkannt (s. Kirchenpolitik). Die protestantischen Kirchen dagegen erheben einen solchen Anspruch nicht, und die auf landeskirchlichen Gesichtspunkten beruhenden Teile des heutigen protestantischen Kirchenrechts sind entstanden, indem die evangelischen Landesobrigkeiten sich verpflichtet erachteten, die vorreformatorisch-kanonische Rechtsordnung für ihre Landeskirche in einer Reihe von Punkten landesgesetzlich umzubilden. Sie sind dem übrigen im Territorium gültigen Landesrecht juristisch gleichartig. - In uneigentlichem Sinne nennt man auch solche christlich-ethische Normen des kirchlichen Zusammenlebens kirchenrechtliche, die vom Staat nicht als Recht anerkannt, aber von den Kirchen mit gesellschaftlichen Mitteln dadurch aufrecht erhalten werden, daß, wer sie nicht beobachtet, diszipliniert und eventuell ausgeschlossen wird. - Das K. als juristische Disziplin hat die Aufgabe, die kirchliche Rechtsordnung zu überliefern und in ihrem innern Zusammenhang aufzuweisen. Nach wissenschaftlicher Sitte zieht es außerdem auch diejenigen Rechtsverhältnisse in den Kreis seiner Betrachtung und Darstellung, in welchen die Religionsgesellschaften als Gesamtheiten untereinander und dem Staat gegenüber sich befinden. Es kommt bei ihnen, genauer betrachtet, auf lauter Beziehungen der Kirche zum Staat an, welche, soweit die Kirche nach vorreformatorischer oder nach der von der römisch-katholischen Kirche offiziell noch