Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Klavier

816

Klavier (Geschichtliches).

schließlich alle mit einem Plektron oder mit den Fingern gespielten Saiteninstrumente ansehen, d. h. sein Ursprung verliert sich dann in die ältesten Zeiten. Die Tradition führt das K. auf das Monochord zurück, jenes uralte, der theoretischen Bestimmung der Tonverhältnisse dienende Instrument, welches an einer einzigen Saite durch Verschiebung eines Stegs die Saitenlängenverhältnisse der Töne der Skala demonstrierte. Auf die Idee der Klaviatur führte zuerst die Orgel (s. d.). Die Übertragung derselben auf das Monochord als ein System in ihren Abständen geregelter Stege, welche einzeln durch Niederdruck der zugehörigen Tasten sich soweit hoben, daß die Saite fest auf ihnen auflag, war nicht gerade ein naheliegender Gedanke; das Organistrum (s. Drehleier) beweist aber, daß man spätestens im 8.-9. Jahrh., d. h. in der Zeit ihn faßte, wo die Orgel anfing, sich als Lehrinstrument in den kirchlichen Sängerschulen einzubürgern. Das Aufkommen der mehrstimmigen Musik gab ohne Zweifel den Anstoß zum nächsten Schritte der weitern Entwickelung. Die antike Lehre von den konsonanten Intervallen gewann jetzt eine neue Bedeutung; es genügte nicht mehr, die Konsonanz aufeinander folgender Töne zu zeigen, der neue Begriff der Konsonanz war der des ungestörten Miteinander; dazu reichte eine Saite nicht mehr aus. Anfangs mag man dazu übergegangen sein, zwei Saiten statt einer einzuführen; die Zahl der Saiten stieg später erheblich, aber dieselben waren sämtlich im Einklang gestimmt, woraus es sich erklärt, daß das erste aus dem Monochord hervorgegangene und nicht mehr nur für theoretische Zwecke, sondern für die Praxis berechnete Instrument, das Klavichord, auch noch als Monochord bezeichnet ward.

Das Klavichord hatte, nach der Abbildung bei Virdung zu schließen, noch im Anfang des 16. Jahrh. viel weniger Saiten als Tasten; die primitiven hölzernen Stege des Organistrums (und ältern Monochords) hatten sich zu Metallzungen (Tangenten) fortentwickelt, welche, auf den hintern Tastenenden befestigt, durch diese gehoben wurden und nicht nur als Stege die Saiten teilten, sondern sie auch zugleich zum Tönen brachten, wozu es beim alten Monochord erst noch des Reißens mit einem Plektron oder dem Finger bedurft hatte. Die Saiten liefen quer wie beim heutigen Tafelklavier, der klingende Teil derselben war der vom Spieler aus rechts gelegene; die Dämpfung des links liegenden Teils geschah vermutlich mit der linken Hand, oder man flocht schon damals Tuchstreifen ein. Ein vollstimmiges Spiel, das beide Hände erfordert hätte, war bei diesen primitiven Instrumenten schon darum unmöglich, weil mehrere Tasten dieselbe Saite regierten. Der Tonumfang war anfänglich wohl der des Guidonischen Monochords, d. h. von G-e'' ohne andre Obertasten als b und b'; doch finden wir bereits um 1500 die Klaviatur voll entwickelt mit zwölf Halbtönen und im Umfang von über drei Oktaven. Füße hatten diese Instrumente noch nicht, sondern sie wurden wie ein Kasten auf den Tisch gestellt.

Nicht viel später als das Klavichord hat sich das Klavicimbal (Clavicembalo) entwickelt. Virdung meint, daß dasselbe aus dem Psalterium (einer Art dreieckiger kleiner Harfe) hervorgegangen. Der Name Klavicimbal deutet aber darauf hin, daß man es als ein Cymbal (Hackbrett) mit Klaviatur ansah; der Kasten des Instruments war viereckig, der Saitenbezug wies aber die dreieckige Form auf wie bei allen unsern heutigen Klavieren. Der Hauptunterschied zwischen Klavichord und Klavicimbal war, daß letzteres für jede Taste eine besondere auf den betreffenden Ton gestimmte Saite hatte, also keines teilenden Stegs (Bundes) mehr bedurfte; das Klavicimbal, wie wir es bei Virdung zuerst abgebildet finden, ist also das älteste "bundfreie" K. Dasselbe erheischte natürlich eine ganz andre Art des Anschlags; statt der Tangenten des Klavichords führte man hölzerne Stäbchen (Döckchen) ein, die am obern Ende kleine, zugespitzte Stückchen harten Federkiels (Rabenkiel) trugen, mittels deren sie die Saiten rissen. Das "Bekielen" war eine Arbeit, welche jeder Cembalist verstehen mußte, da Reparaturen sehr oft nötig wurden. Klavichord und Klavicimbal hielten sich nebeneinander, bis zu Ende des vorigen und im Anfang unsers Jahrhunderts das Hammerklavier sie gänzlich verdrängte; sie entwickelten sich aber schon im 16. Jahrh. zu größern Dimensionen. Das Klavichord behielt durchaus seine viereckige Form, wurde aber bald auf eigne Füße gestellt und erhielt einen ähnlichen Saitenbezug wie das Klavicimbal, d. h. nach der Höhe hin kürzere und dünnere Saiten. Auch reduzierte man die gemeinsame Benutzung der Saiten durch mehrere Tasten immer mehr; doch scheinen bundfreie Klavichorde erst zu Anfang des 18. Jahrh. gebaut worden zu sein. Eine Klaviermusik wie die J. S. Bachs wäre freilich auf nicht bundfreien Klavieren unausführbar.

In Deutschland nannte man das Klavichord kurzweg Klavier; synonyme Bezeichnungen sind Monocordo, Manicordo. Als Lehr- und Studieninstrument wurde das Klavichord besonders in Deutschland entschieden vorgezogen, weil es einigermaßen der Tonschattierung fähig war, während der Ton des Klavicimbals immer kurz abgerissen, hart und trocken war. Ein nur auf dem Klavichord möglicher Effekt war die Bebung, hervorgebracht durch ein leises Wiegen des Fingers auf der Taste, welche ein sanftes Reiben der Saite durch die Tangente bewirkte. Mannigfaltiger entwickelte sich das Klavicimbal. Die kleinen in Tafelform hießen Spinett (franz. Épinette, wie 1876 Gaspari nachgewiesen, nach dem venezianischen Klavierbauer Giovanni Spinetti, um 1500), Buonaccordo, Virginal (dieser Name kommt schon bei Virdung [1511] vor, hat daher keinerlei Beziehung auf die "jungfräuliche" Königin Elisabeth von England; sollte damit nicht ein Instrument mit geringem Umfang nach der Tiefe bezeichnet worden sein, dessen Mittellage daher etwa eine Oktave höher stand als die der großen Klaviere, entsprechend dem Jungfernregal der Orgel?) etc.; die größern, in Gestalt eines an den spitzen Ecken abgekanteten rechtwinkeligen Dreiecks gebauten (wie unsre heutigen Flügel) behielten den alten Namen Clavicembalo (oder kurz Cembalo, auch korrumpiert oder mit Rücksicht auf den Tonumfang nach der Tiefe Gravicembalo, franz. Clavecin) oder wurden Harpichord (Arplcordo, engl. Harpsichord), deutsch auch Flügel, Kielflügel, Steertstück und Schweinskopf genannt. Auch unser heutiges Pianino hatte schon zu Anfang des 16. Jahrh. einen Vorläufer in dem Klavicitherium, einem Klavicimbal mit vertikal laufenden (Darm-) Saiten (hinter der Klaviatur ein aufrecht stehender dreieckiger Kasten); das Klavicitherium hielt sich noch im 17. Jahrh., ihm ähnlich gestaltet war das spätere, zu Anfang dieses Jahrhunderts nicht seltene Giraffenklavier.

Das ausgehende 16. Jahrh. brachte mit seinen Wiederbelebungsversuchen des chromatischen und enharmonischen Tongeschlechts der Griechen mehrfache Versuche, die Tastatur und den Bezug der