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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Klavier

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Klavier (Geschichtliches, Klavierspiel).

"Instrumente" (so nannte man lange Zeit allgemein alle die verschiedenen Arten von Klavieren gemeinsam) zu erweitern, indem man für Gis und As, Dis und Es etc. besondere Tasten einfügte. Zu allgemein nerer Bedeutung sind dieselben nicht gelangt, haben aber schnell die Idee der gleichschwebenden Temperatur angeregt. Andre, zum Teil viel spätere Verbesserungsversuche sind die verschiedenen Arten der Bogenklaviere, Lautenklavicimbal, der Theorbenflügel, die Verbindung abgestimmter Glöckchen mit dem K. etc. In allgemeinen Gebrauch kamen dagegen die Flügel mit doppelter Klaviatur nach Art der Orgeln, welche für jede Klaviatur einen besondern Bezug hatten; in der Regel stand das Obermanual eine Oktave höher (vgl. das oben über Virginal Gesagte), und beide Klaviaturen konnten so verkoppelt werden, daß die untere die obere mitregierte. Die Verstärkung durch die Oktaven verlieh dann dem Instrument größere Stärke des Tons. Vorübergehend gelangten zu hohem Ansehen die Clavecins en peau de buffle von Pascal Taskin (Paris 1768), welche neben der Bekielung auch Tangenten aus Büffelleder hatten; das "Jeu de buffle" konnte separat oder in Verbindung mit den Kielen zur Anwendung kommen. Auch J. C. ^[Johann Christoph] Österlein in Berlin baute um 1773 Klaviere mit ledernen Tangenten. Berühmte Klavierbauer der ältern Zeit waren die Ruckers in Antwerpen im 16.-17. Jahrh.

Die eigentliche Glanzperiode des Klaviers beginnt jedoch erst mit der Erfindung des Hammerklaviers oder, wie es anfänglich nur hieß, "Piano e forte" (Pianoforte, Fortepiano). Der Name bezeichnet den Kern der Sache. Immer hatte man es als einen argen Mangel des Kielflügels empfunden, daß er der Tonschattierung unfähig war; der Ton war kurz und spitz und immer von einerlei Stärke, zur Zusammenhaltung des Orchesters ausreichend, wobei es nur galt, scharf zu markieren (der Kapellmeister dirigierte nicht, sondern spielte am K. mit, als Maestro al cembalo), aber für solistische Vorträge mangelhaft genug. Auf der andern Seite war das zarte Klavichord der Fortentwickelung zu stärkern Accenten unfähig, ein neues Prinzip der Tongebung mußte gefunden werden und wurde gefunden. Das Klavicimbal mußte noch einmal zum Cymbal (Hackbrett) werden, um als Pianoforte neu zu erstehen. Ohne Zweifel gab die vorübergehende Sensation, welche das durch Pantaleon Hebenstreit verbesserte Hackbrett erregte (1705), den Anstoß zur Einführung des Hammeranschlags in die Klaviere. Fast gleichzeitig sind verschiedene Versuche der hochwichtigen Erfindung gemacht worden, und man hat vielfach darüber gestritten, wem die Ehre des ersten Gedankens gebührt; jetzt steht wohl unwiderleglich fest, daß Bartolommeo Cristofori (s. d.), Instrumentmacher zu Florenz, der erste Erfinder war. Seine Hammermechanik ist durch Marchese Scipione Maffei angezeigt, beschrieben und durch Zeichnung anschaulich gemacht im "Giornale dei letterati d'Italia" von 1711; sie enthält alle wesentlichen Bestandteile der Mechanik unsrer heutigen Flügel: belederte Hämmerchen auf einer besondern Leiste, Auslösung vermittelst einer Feder, welche den Hammer nach dem Anschlag zurückschnellt, Fänger (gekreuzte Seidenschnüre, später die heute üblichen Leistchen) und besondere Dämpfer für jede Taste. Ungleich primitiver und unvollkommener waren die Entwürfe von Marius in Paris (1716) und Ch. G. Schröter in Nordhausen (1763 veröffentlicht; Schröter behauptet aber, die Erfindung 1717 gemacht zu haben). Als selbständiger Erfinder hat neben Cristofori, dessen Instrumente über Italien nicht hinauskamen, überhaupt nur geringes Aufsehen machten, Gottfried Silbermann zu gelten, der berühmte sächsische Orgelbauer (gest. 1753); seine ersten Pianofortes fanden zwar noch nicht den vollen Beifall J. S. Bachs, doch gelang es ihm, dessen Anforderungen zuletzt völlig Genüge zu thun. Silbermanns Instrumente fanden großen Anklang und haben viel beigetragen, die Erfindung endgültig zur Anerkennung zu bringen. Seine Mechanik war im wesentlichen identisch mit der Cristoforis, d. h. letzten Endes mit der heute sogen. englischen. Die "deutsche" oder "Wiener" Mechanik (s. oben) ist die Erfindung Joh. Andr. Steins in Augsburg, der ein Schüler Silbermanns war. Die Instrumente Steins, wie nachher die seines Schwiegersohns Streicher in Wien, waren sehr geschätzt, und die Konstruktion derselben wurde bald die in Deutschland überwiegend angewandte. Da die englischen Pianofortebauer, besonders Broadwood, die Cristofori-Silbermannsche Mechanik weiter im Detail vervollkommten, erhielt dieselbe den Namen "englische". Eine bedeutende neue Erfindung im Pianofortebau machte 1823 Sebastian Erard, nämlich die doppelte Auslösung (double échappement), welche es ermöglicht, den Hammer noch einmal gegen die Saiten zu treiben, ohne die Taste vorher ganz loszulassen (Repetitionsmechanik).

Die Kunst des Klavierspiels hat eine förmliche Geschichte, die zwar einerseits mit der Entwickelung des Instruments, anderseits mit dem Aufblühen der Instrumentalmusik überhaupt zusammenhängt, aber doch, besonders in neuerer Zeit, auch unabhängig von jenen ihren eignen Weg genommen hat. Man kann die erste Periode des Klavierspiels etwa bis zu Seb. Bach (exkl.) rechnen, die Zeit umfassend, in welcher ein eigentlicher Unterschied zwischen Klavierstil und Orgelstil nicht existiert (Repräsentanten: Diruta, Penna, Frescobaldi, Pasquini, Froberger); seine Hauptrolle spielt in dieser Zeit das K. als Begleitinstrument zur Ausführung des Continuo (Generalbaß). Die zweite Periode bringt den graziösen, leicht tändelnden, dem Klangcharakter des damaligen Klaviers angemessenen Stil des Scarlatti, Couperin, welcher zwar durch J. S. Bach selbst weiter entwickelt wurde, aber, wie es diesem Riesengeist natürlich war, heraustretend aus dem Rahmen seiner Zeit zugleich abschließend für die vorausgegangenen und vorbildlich für nachfolgende Epochen. Auch Händel, der neben Bach in diese Zeit gehört, bildet doch ebenso wie dieser kein Übergangsglied in der Kette, die vielmehr mit Rameau, Ph. Em. Bach und minder bedeutenden Zeitgenossen Anschluß an die Neuklassiker Haydn, Mozart und Beethoven gewinnt. In die Periode der Klassiker gehören: J. W. ^[Johann Wilhelm] Häßler, I. ^[Ignaz] Pleyel, J. ^[Joseph] Wölfl, D. Steibelt, M. Clementi, J. ^[John] Field, J. L. ^[Johann Ladislaus] Dussek, J. B. ^[Johann Baptist] Cramer, Berger, Döhler, teilweise sich schon nach der Seite des virtuosen oder brillanten Stils abzweigend, der in der Folge in J. N. ^[Johann Nepomuk] Hummel, K. M. v. Weber, K. Czerny, Kalkbrenner, H. Herz, Hünten, I. ^[Ignaz] Moscheles, Franz Liszt, Ad. Henselt, Sigism. Thalberg, Anton Rubinstein seine Hauptverteter ^[richtig: Hauptvertreter] findet, während, mit ihnen parallel gehend, die romantische Schule auch dem Klaviersatz ihre Eigenart aufprägte: Mendelssohn, Schumann, Chopin, St. Heller, Kirchner, Brahms, Raff, Reinecke, Hiller, Grieg, Saint-Saëns, Tschaikowsky. Von Virtuosen sind noch ganz besonders hervorzuheben: K. Tausig, H. v. Bülow und Frau Klara Schumann, von jüngern: K. Heymann, Eug. d'Albert, Sophie Meuter, Annette Essipow.