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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Klopstock

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Klopstock.

scheiden von dem relativen Wert und der Wichtigkeit, welche die Werke des Dichters in der Zeit ihres Erscheinens gehabt haben. K. darf weder zu den mustergültigen Dichtern noch zu denjenigen gerechnet werden, in deren Werken die bleibenden Elemente die zeitlichen überwiegen. Dagegen muß er entschieden als der Anfänger, Begründer, ja als der Schöpfer der zweiten Blütezeit deutscher Poesie bezeichnet und geehrt werden. Man kann ganz kurz den Unterschied der neuen mit K. beginnenden Poesie und der frühern in das Eine Wort "Genialität" fassen. Seit dem Auftreten Klopstocks ist es zum unumstößlichen Erfordernis für den Poeten geworden, daß ihm die dichterische Gabe etwas Angebornes, daß er ein Dichter "von Gottes Gnaden" sei, daß ihm das Schaffen in ursprünglicher Unmittelbarkeit tief aus dem innersten Seelenquell dringen müsse, nicht künstlich heraufgepumpt und durch das Röhrenwerk nüchterner Verstandsreflexion zu Tage geleitet. Erst durch K. ward es mit einem Male an einem überwältigenden Phänomen deutlich, wie nur der Poet die Menschenseele in allen ihren Tiefen zu bewegen und zu ergreifen vermöge, der selbst bis zur innersten Tiefe seiner Seele von seinem Stoff ergriffen, demselben mit seiner ganzen ungeteilten Persönlichkeit hingegeben sei; wie auch die äußere Gestalt, die Form, die Sprache, der Rhythmus, der Vers, wie durch unwiderstehliche Notwendigkeit hervorgetrieben, von innen nach außen herauswachsen müsse. Gegen die hohe Bedeutung dieser von K. hervorgebrachten Wirkung gehalten, schwinden die Wichtigkeit und der Wert seiner dichterischen Leistungen, wenn wir sie vom rein ästhetischen Gesichtspunkt aus beurteilen, unverhältnismäßig zusammen. Der Grundzug der Klopstockschen Dichtung ist der des äußersten Subjektivismus. Das individuellste Gefühl, die persönlichste Empfindung herrscht in sämtlichen Werken des Dichters und in den besten zumeist. Es ergibt sich hiernach von selbst, daß die Begabung Klopstocks in keinem dichterischen Gebiet so rein und glücklich zur Erscheinung kommen konnte wie in der Lyrik. K. war durchaus Lyriker; er war es selbst da, wo er es nicht sein wollte. Weitaus am wertvollsten bleiben darum unter seinen Gedichten die schon ihrer Art nach lyrischen und unter diesen wiederum die Oden. Seine geistlichen Lieder, auch die gelungensten, verlieren entschieden im Vergleich mit den besten unter jenen. Denn die unendliche Gefühlsinnigkeit, die überströmende Empfindung des Dichters mußte dann am freiesten und natürlichsten sich ausnehmen, wenn sie, durch äußerliche Schranken am wenigsten gehemmt, in gewaltigen Rhythmuswogen einherfluten durfte, und das eben vermochte sie am besten in der Hymnen- und Odenform. Klopstocks tiefe Abneigung gegen den Reim, welchen er "den bösen Geist mit plumpem Wörtergepolter" nannte, wurzelte in der Schrankenlosigkeit seines Empfindungslebens, und nicht minder läßt sich seine Vorliebe für die unklaren Nebelgebilde der nordischen Mythologie, die er in unsre Dichtung mit der Absicht, die antike zu verdrängen, einführte, auf jene Eigentümlichkeit seiner Natur zurückführen. Was den schönsten Oden Klopstocks ihren bleibenden Wert verleiht, ist ihre hohe Wahrhaftigkeit. Der Dichter war ganz bei seiner Sache; das Dichten war ihm kein äußerliches Geschäft, sondern ein heiliges, weihevolles Thun, und die Thränen innigster Entzückung füllten ihm die Augen, wenn er Herzbewegendes sang, zum Zeichen, daß sein eignes Herz von lebendigster Bewegung ergriffen war. Der "seraphische" Flug, den seine Seele nahm, war sprichwörtlich geworden. Was Klopstocks großes Epos angeht, so leidet es an allen den Mängeln, die eben in der Individualität des Dichters naturnotwendig begründet waren. Sein durchweg in Gefühlsergüssen thätiges schöpferisches Vermögen widerstrebte der Darstellung einer plastisch geschlossenen Gestaltenwelt. Der erzählende, also eigentlich epische Teil der "Messiade" ist daher auch unbedingt der schwächste; der Dichter ist vielmehr auch im "Messias" nur als Lyriker groß, und die "lyrisch-deskriptiven" Partien überwiegen denn auch immer mehr, je weiter das Gedicht fortschreitet. Von den übrigen Werken Klopstocks weiß gegenwärtig nur noch der Litterarhistoriker etwas, und sie gehören auch ganz eigentlich der Gattung der litterarischen Kuriositäten an. Nichts kann begreiflicher sein, als daß eine Natur wie die Klopstocks in der dramatischen Produktion durchweg unglücklich sein mußte, und Klopstocks sogen. Dramen haben denn auch kaum in der Zeit ihres Erscheinens Wohlgefallen erregt. Sie sind arm an Handlung, aller Charakteristik und dramatischen Entwickelung bar, aus lyrisch-sentimentalen Dialogen zusammengesetzt. Die "Deutsche Gelehrtenrepublik" stellt das Litteraturwesen unter dem Bild einer Druidenrepublik dar, die mit Ober- und Unterzünften, mit Meistern und Gesellen, mit wunderlichen Belohnungen und Bestrafungen ausgestattet ist; das seltsame Gemisch von allegorischer Spielerei und patriotischem Ernst läßt auch die guten Gedanken, die darin, wenn auch in dunkelster Sprache ausgedrückt, nicht fehlen, sowenig wie die tüchtige vaterländische Gesinnung zu einer Wirkung kommen, welche den allgemeinen Effekt des Sonderbaren aufhöbe. Endlich gehören auch die sprachwissenschaftlichen Versuche Klopstocks, unter andern seine Bemühungen um die deutsche Rechtschreibung, zu den Schrullen, an denen der große Mann in ungewöhnlichem Maß litt. In der Art, wie er ihnen Geltung zu verschaffen suchte, tritt ein gewisser despotischer Zug des Dichters hervor. Dieser Zug neben viel kleinlicher Eitelkeit, wovon nicht seltene Symptome im Leben Klopstocks anzutreffen sind, macht den wesentlichsten Teil der menschlich-dürftigen Elemente in des Dichters Persönlichkeit aus. Weit überwogen wurden diese aber durch die Reinheit seines Charakters, durch die Festigkeit und mannhaft-mutige Artung seiner Seele, durch die tiefe, wenn auch ebenfalls in subjektivistischer Form erscheinende Frömmigkeit seines Herzens, welche Eigenschaften dem Ruhm des Dichters auch den eines echt deutschen Mannes, eines edlen Menschen für alle Zeit hinzugefügt haben.

Die Hauptausgaben von Klopstocks gesammelten Schriften sind folgende: Werke, Ausgabe in 7 Bänden (Leipz. 1798-1810), Ausgabe in 12 Bänden (das. 1798-1817); Sämtliche Werke in Einem Bande (das. 1839); Stereotypausgabe in 9 Bänden (der letzte enthält den Nachlaß von Meta K., das. 1839) und in 10 Bänden (das. 1844); Ergänzung der Sämtlichen Werke durch 3 Bände, Briefwechsel, Lebensgeschichtliches und andre Beiträge enthaltend (hrsg. von H. Schmidlin, Stuttg. 1839-40); "Poetische Schriften" (hrsg. von Back, das. 1876, 6 Bde., und von Boxberger, Berl. 1879, 6 Bde.). Eine Auswahl in 6 Bänden erschien Stuttgart 1869, in 4 Bänden das. 1886. Vgl. Cramer, K. in Fragmenten aus Briefen von Tellow an Elisa (Hamb. 1777, fortgesetzt 1778); Derselbe, K. Er und über ihn (Leipz. 1782-93, 5 Bde. nebst Beilagen); Klamer-Schmidt, K. und seine Freunde; Briefwechsel der Familie K. unter sich und mit Gleim, Schmidt, Fanny etc., aus Gleims brieflichem Nach-^[folgende Seite]