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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kolonialsystem; Kolonialvereine; Kolonialwaren; Kolonien

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Kolonialsystem - Kolonien.

standteil des Hauptstaats sind, wie z. B. Algerien staatsrechtlich zu Frankreich gehört, ohne deshalb seinen kolonialen Charakter verloren zu haben. Andre Kolonien stehen doch wenigstens unter der Souveränität der Regierung des Mutterlandes, während in noch andern Ländern die Regierung des Mutterlandes nur eine Schutzherrschaft ausübt und lediglich eine Schutzgewalt über ihre Staatsangehörigen in Anspruch nimmt, die sich in dem fremden Land aufhalten. Doch kann diese Schutzherrschaft eine so weitgehende sein, daß die Schutzgebiete in der That als Kolonien aufzufassen sind. 3) K. werden auch die Rechtsgrundsätze genannt, nach welcher sich die Beziehungen der verschiedenen Mächte untereinander in Ansehung ihres Kolonialbesitzes bestimmen. Diese sind völkerrechtlicher Natur (internationales K.). Soll der Kolonialbesitz des einen von der Regierung des andern Landes respektiert werden, so genügt es nicht, daß die Besitzergreifung eines herrenlosen, d. h. von einer der internationalen Rechtsgemeinschaft nicht angehörigen, unzivilisierten Völkerschaft bewohnten, Landes lediglich formell, z. B. durch Flaggenheißen, erfolgt; es ist vielmehr eine thatsächliche Herrschaftsausübung über das zu okkupierende Territorium erforderlich. In diesem Sinn hat auch die Congoakte vom 26. Febr. 1885 (Art. 34 f.) die Verpflichtung der Signatarmächte anerkannt, in den von ihnen an den Küsten des afrikanischen Kontinents besetzten Gebieten das Vorhandensein einer Obrigkeit zu sichern, welche hinreicht, um erworbene Rechte zu schützen. Außerdem wird in dieser für künftige koloniale Erwerbungen maßgebenden Akte die Verpflichtung anerkannt, bei Übernahme einer neuen Schutzherrschaft oder bei neuen Besitzergreifungen den Signatarmächten davon Anzeige zu machen, um dieselben in den Stand zu setzen, gegebenen Falls ihre Reklamationen geltend zu machen.

Das K. ist infolge der deutschen kolonialpolitischen Bestrebungen in neuerer Zeit nicht nur mehrfach zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht, sondern auch gesetzgeberisch in Deutschland behandelt worden. Die deutsche Reichsverfassung (Art. 4, Abs. 1) weist nämlich die Bestimmungen über Kolonisation der Gesetzgebung und der Beaufsichtigung des Reichs zu. In den west- und südwestafrikanischen Schutzgebieten ist auch bereits der Anfang einer staatlichen Organisation gemacht, während in Ostafrika und Neuguinea der Deutschen Ostafrikanischen Gesellschaft, resp. der Neuguineakompanie die Verwaltungseinrichtung überlassen ist. Nach dem deutschen Reichsgesetz vom 17. April 1886, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, übt der Kaiser in den letztern die Schutzgewalt im Namen des Reichs aus. Kolonialminister ist der Reichskanzler. Ein Syndikat von Hamburger Firmen fungiert als Kolonialrat. Nach dem angezogenen Gesetz sollen sich das für die deutschen Kolonien maßgebende bürgerliche Recht, Strafrecht, Gerichtsverfahren und Gerichtsverfassung nach dem Reichsgesetz vom 10. Juli 1879 über die Konsulargerichtsbarkeit bestimmen (s. Konsul). An die Stelle des Konsuls tritt der vom Reichskanzler zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigte Beamte. Kaiserliche Verordnungen können indessen Abweichungen von jenem Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit begründen. Das Reichsgesetz vom 4. Mai 1870, betreffend die Eheschließung und Personenstandsbeurkundung von Reichsangehörigen im Ausland, kann durch kaiserliche Verordnung auch auf Nichtreichsangehörige ausgedehnt werden, wie dies für die Schutzgebiete von Camerun und Togo durch Verordnung vom 21. April 1886 geschah. Eine weitere Verordnung vom 5. Juni 1886 regelt die Rechtsverhältnisse in dem Schutzgebiet der Neuguineakompanie, während eine Verordnung vom 13. Sept. 1886 die Rechtsverhältnisse in dem Schutzgebiet der Marshall-, Brown- und Providenceinseln zum Gegenstand hat. Vgl. Stengel, Die staats- und völkerrechtliche Stellung der deutschen Kolonien (Berl. 1886); Lentner, Das internationale K. (Wien 1886); Pann, Das Recht der deutschen Schutzherrlichkeit (das. 1887); Joel, Das Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete (in Hirths "Annalen des Deutschen Reichs", Münch. 1887, S. 191 ff.); Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts (im "Archiv für öffentliches Recht", Bd. 2, S. 1 ff., Freiburg 1887).

Kolonialsystem, s. Kolonien, S. 956.

Kolonialvereine, s. Kolonien, S. 958.

Kolonialwaren, die rohen Produkte der wärmern Länder, namentlich Kaffee, Zucker, Thee, Reis, Gewürze, Farb- und Möbelhölzer, Arzneimittel und Baumwolle.

Kolonien (hierzu zwei Karten: "Vergleichende Darstellung des Kolonialbesitzes der europäischen Staaten" und "Übersicht der deutschen K."), im allgemeinen zusammenhängende Ansiedelungen, besonders solche, deren Angehörige (Kolonisten, v. lat. colonus, "Feldbauer, Ansiedler"), sei es auf Grund staatlichen Schutzes durch das Mutterland oder sei es durch eigne freie Bethätigung ihrer sozialen Lebenskraft, ihre Stammeseigentümlichkeiten, Sitten, Gebräuche etc. bewahren. Hierdurch unterscheidet sich die Koloniengründung von der Auswanderung (s. d.); die letztere kann mit der erstern verbunden sein, indem die Auswandernden in fremden Ländern K. gründen und durch ihren Zustrom kräftigen, doch können auch die Auswanderer unabhängig voneinander in fremde Staatsgemeinschaft eintreten und hier, wie z. B. viele Deutsche in Rußland, Ungarn, Amerika, ihre nationalen Eigentümlichkeiten oder doch aus Mangel an festem Zusammenhalten die Kraft, dieselben geltend zu machen, vollständig einbüßen (vgl. auch den Abschnitt über Auswanderung im Art. "Deutschland", S. 810, und die Ergänzung dazu im "Korrespondenzblatt" zum 6. Band). Dagegen ist es nicht gerade notwendig, daß die K. in festen Beziehungen zum Mutterland oder gar unter dessen Leitung bleiben. So bildeten die Hugenotten K. in Deutschland, die Salzburger in Preußen, man hat ferner deutsche K. in Rußland und andern Ländern. Die Kolonisten traten vollständig in den Verband des fremden Staats ein, in welchen sie einwanderten, ja oft auf Grund der Anregung und Förderung durch diesen Staat selbst.

[Innere Kolonisation.] Eine Auswanderung kommt gar nicht vor bei der innern Kolonisation, bei welcher sich Einheimische auf noch nicht bebautem, wüstem oder zu rodendem Boden im Inland niederlassen und hier neue Gemeinden bilden (Wald-, Moorkolonien). Dieses Ziel hatte die frühere Politik vorzüglich im Auge, indem sie zur Besiedelung des Landes Fremde zur Einwanderung anreizte. Die heutige Politik ist, gestützt auf sozialpolitische und politische Beweggründe, mehr darauf gerichtet, große Güter in mittlere und kleine Besitzungen zu zerlegen. Auf Grund mehrfacher Verhandlungen im Abgeordnetenhaus und im Landesökonomiekollegium wurden auch in Preußen einige Domänen zerschlagen und verkauft, ohne daß jedoch der erhoffte Erfolg erzielt wurde. Ähnlicher Art sind die Bestrebungen der 1887 in Berlin gegründeten "Gesellschaft für innere Kolonisation",