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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kordilleren

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Kordilleren (die südamerikanischen K.).

Region des ewigen Schnees sich erhebend, während die östliche Kette, die Cordillera Real oder Königskordillere, zackige Kämme mit einer Menge spitziger und zerrissener Piks zeigt, die ebenfalls, wie der Illimani (6400 m) und der Sorata (6544 m), in die Region des ewigen Schnees hineinragen. Zwischen beiden Kordillerenästen liegt das große Hochplateau von Bolivia (s. d.) in 3800-4000 m Mittelhöhe, ein, mit Ausnahme des östlichen Teils, abflußloses Hochbecken, in dessen Innerm sich die Gewässer in dem Titicaca- und Aullagassee (s. d.) sowie in Salzsümpfen sammeln. Im O. schließt sich an die Cordillera Real das von ostwestlich streichenden Abzweigungen der Andes gebildete bolivianische Gebirgsland an. Vom Titicacasee an nehmen die beiden Hauptketten und die zwischen ihnen liegenden, durch Querjoche voneinander getrennten Hochebenen eine nordwestliche Richtung an. Die westliche Kette behält ihre Geschlossenheit bei, während die östliche von einer Reihe von Querthälern des Marañon und seiner Zuflüsse durchbrochen wird. An dem Gebirgsknoten von Loja wendet sich das System wieder in die ursprüngliche Meridianrichtung; es beginnt die 2600-2800 m hohe, kaum 35 km breite Hochebene von Ecuador, welche durch Querjoche in drei Abteilungen geteilt ist und auf den umrandenden Ketten im N. von der gewaltigen Doppelreihe der Vulkane von Ecuador beherrscht wird, unter denen auf der Ostkette der Cotopaxi (5943 m) und Antisana (5746 m) die bedeutendsten sind, während sich auf der Westkette der Iliniza und der 6310 m hohe Chimborazo erheben. Am Gebirgsknoten von Pasto beginnen die K. von Kolumbien, welche in drei Ketten zerfallen, die nicht mehr hoch gelegene Plateaus umschließen, sondern durch tief eingeschnittene Flußthäler geschieden sind und das Quellgebiet des Magdalenenflusses umfassen. Die östliche Kette ist die Kordillere von Cundinamarca, die sich über die noch einmal bis 4580 m aufragende Sierra Nevada von Merida bis zu den Küstengebirgen von Venezuela hinzieht. Die mittlere Kette (mit dem Pik von Tolima, 5584 m) ist die höchste und erreicht unter 5° nördl. Br. die Grenze des ewigen Schnees; die westliche Kette, die Kordillere von Choco, deren mittlere Höhe nicht über 1500 m beträgt, bildet den Übergang zu den Gebirgen von Mittelamerika. Ein Zweig dieser Kette verläuft bis auf die Landenge von Panama, sinkt aber hier zu einem Hügelzug herab und ist im Quellgebiet des Atrato durch eine tiefe Schlucht von der eigentlichen Kordillere von Choco getrennt. Man hat deshalb auch wohl diesen Ausläufer der westlichen Kette der K. von Kolumbien als Isthmuskordillere von Darien und Panama den Andes als selbständiges Glied des Kordillerensystems von Amerika an die Seite gestellt. Von jener Schlucht, in welcher das Quellgebiet des Atrato mit demjenigen des dem Stillen Ozean zufließenden San Juan in offener Verbindung steht, zieht sich diese Isthmuskordillere mit einer mittlern Kammhöhe von kaum 500-600 m in weitem Bogen bis zu der Senke bei Panama und bedingt durch ihren Verlauf, zuerst nach N., dann nach NW. und endlich nach W., die auffallende Abänderung der Küstenrichtung des Kontinents.

Das ganze Andessystem bedeckt einen Flächenraum von etwa 1,817,000 qkm (33,000 QM.). Die größte Längenausdehnung dieses Gebirgszugs beträgt mit allen Krümmungen 7300 km, die größte Breite desselben (an der Wasserscheide zwischen dem Rio Madeira und Pilcomayo zwischen 19 und 20° nördl. Br.) 920 km, die geringste bekannte Breite im südlichen Chile zwischen der Corcovadobai und der patagonischen Steppe 178 km, die mittlere Breite 500 km und die mittlere Kammhöhe gegen 3000-3500 m. Tiefere Einsattelungen, welche einen leichtern Verkehr zwischen den Ebenen des Ostens und der pazifischen Küste ermöglichen, besitzt das Andessystem nur im äußersten Norden und im S., wo unter 40° südl. Br. noch ein Paß von kaum 800 m von Valdivia allerdings nach den noch fast öden Landschaften Patagoniens hinüberführt. Wenig nördlicher aber besitzen die Pässe bereits Höhen von nahezu 4000 m (Paß von Cumbre, 3221 m), und in den K. von Bolivia und Peru gibt es keinen einzigen Paß von unter 4000 m, während sich solche bis über 4700 m erheben. Trotzdem hat man begonnen, über solche Höhen durch Eisenbahnen Verkehrswege zu eröffnen, die alle andern Gebirgsbahnen der Welt an Großartigkeit und Kühnheit der Anlage weit hinter sich lassen. Während unsre Brennerbahn in 1367 m kulminiert, übersteigt die Arequipa-Punobahn in Südperu eine Paßhöhe von 4580 m, die berühmte Oroyabahn weiter im N. sogar eine solche von 4769 m Höhe, also fast der Höhe des Montblanc. - Das Charakteristische dieses Gebirgssystems sind die ungeheure Meridianausdehnung bei verhältnismäßig geringer Breite, die Teilung in Parallelketten, welche durch großartige Knoten zusammengeschürzt werden, um wieder auseinander zu laufen, die Mannigfaltigkeit der eingeschlossenen Hochländer, der steile Abfall nach W., die seltenen und höchst beschwerlichen Pässe, die engen Schluchten (quebradas) mit ihren bis zur kleinsten Krümmung und Windung aneinander passenden Wänden, die Seil- oder Hängebrücken, die, über Abgründe gespannt, bei jedem Luftzug wiegenartig hin- und herschwanken, der Reichtum an edlen Metallen, die Verteilung der zahlreichen Vulkane, die in drei Gruppen getrennt auftreten, welche der Richtungsachse der Kette folgen. Auf die Gruppe von Neugranada und Quito mit 20 meist thätigen Vulkanen folgt nach einem vulkanlosen Zwischenraum von 1750 km die Vulkanreihe von Peru und Bolivia mit 15 Vulkanen, nach einer neuen Lücke von 1010 km die Gruppe von Chile mit 33 Vulkanen. Im ganzen kennt man 68 Vulkane, von denen etwa die Hälfte noch thätig ist (vgl. Amerika, geologische Übersicht). Von Gletschern zeigen die Gipfel in den tropischen Gegenden nur geringe Andeutungen (so z. B. am Illimani). Erst unter 35° südl. Br. findet sich am Descabezado von Máule in Chile ein Eisfeld, und von da weiter nach S. werden die Gletscher, die ganz denen der Alpen gleichen, immer häufiger; unter 46° 45' erreichen sie bereits das Meer. Den landschaftlichen Charakter der K. schildert Pöppig also: "Grausenhafte Einöde, völlige Nacktheit der unermeßlichen Felswände, ein riesiger Maßstab, spärliche Vegetation der schluchtenähnlichen Thäler, fortdauernde Zerstörung und Herabrollen der in endloser Gleichförmigkeit und Kahlheit sich ausdehnenden Bergwände und eine furchtbare Wildnis, welche nirgends durch freundlichere Szenen unterbrochen wird, sind die ersten und auffallendsten Züge in dem ungewöhnlichen Bilde. Die K. erscheinen in der Ferne und Nähe stets als eine ungeteilte Wand, über die nur in seltenen Fällen einzelne Spitzen ragen. Ihre einzelnen Gruppen liegen als unermeßliche, aber gleichförmige Massen da, an denen sich ein besonderer Ausdruck der Trägheit und Starrheit bemerklich macht. Aber gerade der Umstand, daß die Natur es zu verachten schien, hier durch Kontraste den Ausdruck des Großartigen hervorzubringen oder zu erhöhen, veranlaßt es, daß die K. einem jeden mehr imponie-^[folgende Seite]