Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Krankenkassen

155

Krankenkassen (Krankenversicherungsgesetz vom 15. Juni 1883).

stimmt sind, lehnen sich an die bereits bestehenden Fabrikkassen an. Neu geschaffen sind nur die Orts- und Baukrankenkassen sowie die Gemeindekrankenversicherung. Während die Errichtung von Baukrankenkassen nur für besondere Fälle vorgesehen ist (für Arbeiter, die, wie bei Eisenbahn-, Kanal-, Wegebauten etc., vorübergehend an einem Ort zusammengezogen sind), bilden die Ortskassen mit den Betriebskassen die eigentlichen Träger des ganzen auf örtlicher Organisation beruhenden Systems. Die Gemeindekrankenversicherung hat einen rein subsidiären Charakter. Sie ist für alle Versicherungspflichtigen bestimmt, welche keiner der organisierten Kassen angehören. Eine solche besteht in jeder Gemeinde, so daß jedem Pflichtigen auch die Möglichkeit gegeben ist, sich zu versichern. Arbeiter, welche nicht versicherungspflichtig sind, sowie Dienstboten sind berechtigt, in die Gemeindekrankenkasse einzutreten. Mehrere Gemeinden können eine gemeinsame Gemeindekrankenversicherung bilden. Die Ortskrankenkassen sind korporative Verbände, welche möglichst nur Genossen von gleichem Beruf umfassen sollen. Doch können, wenn die Gewerksgenossen in einem Bezirk nicht zahlreich genug sind, einer Ortskasse auch mehrere oder gar alle Gewerbszweige zugewiesen werden. Anderseits können auch für mehrere Gemeinden, für den Bezirk eines größern Kommunalverbandes oder Teile eines solchen gemeinsame Ortskrankenkassen gegründet werden. Die Gründung einer Ortskrankenkasse ist an die Bedingung geknüpft, daß die Zahl der zu Versichernden mindestens 100 beträgt, und die Kasse muß geschlossen werden, wenn die Zahl der Mitglieder dauernd unter 50 sinkt. Für die Errichtung einer Betriebskrankenkasse genügt, daß 50 Mitglieder dauernd vorhanden sind, und die Zahl der letztern darf sogar eine noch geringere sein bei Betrieben mit besonderer Krankheitsgefahr oder bei ausreichender Sicherstellung der Kassenleistungen. Für die Baukrankenkassen schreibt das Gesetz keine Minimalzahl der Mitglieder vor. Wer einer freien Hilfskasse, Knappschaftskasse oder Innungskrankenkasse angehört, hat damit seiner Versicherungspflicht genügt. Alle andern, welche einem Gewerbszweig angehören, für den eine Ortskrankenkasse errichtet wurde, haben dieser beizutreten, soweit sie nicht bereits einer der vorgenannten Kassen beigetreten sind. Das Gleiche gilt für Betriebs- und Baukrankenkassen; deren Mitglieder sind überdies von dem Zwang befreit, der Ortskrankenkasse beizutreten. Alle übrigen nimmt die Gemeindekrankenversicherung auf. Entscheidend für die Kasse, welcher der einzelne zugewiesen wird, ist der Ort der Beschäftigung. Mitglied wird jeder mit dem Eintritt in die Beschäftigung, ohne daß es einer Beitrittserklärung bedarf. An- und Abmeldung der Versicherungspflichtigen liegt dem Arbeitgeber ob.

Für die Unterstützung ist durch das Gesetz ein Minimalmaß festgesetzt. Bei der Gemeindekrankenversicherung besteht dasselbe in freier ärztlicher Behandlung, Arznei sowie Brillen, Bruchbändern und ähnlichen Heilmitteln, außerdem im Fall der Erwerbsunfähigkeit in einem Krankengeld, welches der Hälfte des gewöhnlichen ortsüblichen Tagelohns gleichkommen soll. Die Unterstützung kann auch durch freie Kur und Verpflegung in einem Krankenhaus gewährt werden, und in diesem Fall haben die Angehörigen des Erkrankten Anspruch auf die Hälfte des Krankengeldes. Bei den andern Kassen ist das Minimalmaß ein erhöhtes, indem das Krankengeld nach dem durchschnittlichen Tagelohn der Versicherten berechnet wird. Diese Kassen müssen auch Wöchnerinnen auf drei Wochen Unterstützung gewähren und beim Tod eines Mitglieds ein Sterbegeld im 20fachen Betrag des ortsüblichen Tagelohns zahlen. Eine freie Hilfskasse hingegen braucht nur die gleiche Unterstützung wie die Gemeindekrankenversicherung, bez. ein Krankengeld von drei Vierteln des ortsüblichen Tagelohns zu gewähren.

Mit Ausnahme der Knappschaftskassen und der freien Kassen können alle organisierten Kassen das Maß ihrer Leistungen erhöhen, z. B. Unterstützungen bis auf den Zeitraum eines Jahrs erstrecken (bei Wöchnerinnen nur auf sechs Wochen), dann ein Krankengeld bis zu drei Vierteln des Tagelohns, resp. des Arbeitsverdienstes gewähren etc. Die Gewährung von Invaliden-, Witwen- und Waisenunterstützungen ist dagegen ausdrücklich verboten. Die Beiträge sind bei der Gemeindekrankenversicherung, den Orts-, Betriebs-, Bau- und Innungskrankenkassen teils von den Arbeitern, teils von den Arbeitgebern (zu ⅓) aufzubringen. Doch kann die Heranziehung der Arbeitgeber bei ganz kleinen Betrieben ausgeschlossen werden. Ebenso besteht bei freien Kassen kein Beitrittszwang für Arbeitgeber.

Die Beiträge der Arbeiter bemessen sich beider Gemeindekrankenversicherung nach dem ortsüblichen Tagelohn, bei den Orts-, Betriebs- und Baukrankenkassen nach dem durchschnittlichen Tagelohn, resp. dem wirklichen Arbeitsverdienst (bei der Gemeindekrankenversicherung nicht mehr als 1½-2 Proz., bei den organisierten Kassen nicht mehr als 2-3 Proz.). Genügen die Beiträge nicht, um die Mindestleistungen zu decken, so hat bei der Gemeindekrankenkasse die Gemeinde, bei den Betriebs- und Baukrankenkassen der Betriebsunternehmer, resp. Bauherr das Weitere aus eignen Mitteln zuzuschießen. Dauernde Überschüsse müssen entweder zur Ermäßigung der Beiträge oder zur Erhöhung der Unterstützungsleistungen verwandt werden. Sind die Einnahmen unzulänglich, so müssen entweder die Beiträge erhöht, oder, sofern die Unterstützungsleistungen den Mindestbetrag überschritten, diese herabgesetzt werden. Die Kosten der Verwaltung tragen bei der Gemeindekrankenversicherung die Gemeinde, bei den Bau- und Betriebskassen der Betriebsunternehmer, bez. Bauherr, bei den Ortskrankenkassen die Versicherten selbst.

Die Beiträge der Arbeiter sind bei der Gemeindekrankenversicherung sowohl als bei den eigentlichen Kassen nicht von ihnen selbst, sondern von ihren Arbeitgebern zu bestimmten Terminen einzuzahlen. Dagegen erhalten diese das Recht, den Betrag derselben bei den regelmäßigen Lohnzahlungen in Abzug zu bringen. Rückständige Beiträge werden auch hier in derselben Weise eingetrieben wie Gemeindeabgaben. Zur Errichtung von Ortskrankenkassen sind die Gemeinden, von Betriebskrankenkassen die Betriebsunternehmer berechtigt. Es können aber auch die Gemeinden wie die Betriebsunternehmer zur Errichtung von solchen Kassen gezwungen werden. Zur Begründung von Baukrankenkassen sind die Bauherren, bez. die Bauunternehmer schlechthin verpflichtet, wenn ihre Anwendbarkeit feststeht.

Während die Gemeindekrankenversicherung keine Selbstverwaltung kennt, ist den Orts-, Betriebs- und Baukrankenkassen eine solche in vollem Umfang zugestanden. Die Organe der letztern sind die Generalversammlung und der Vorstand. Die Generalversammlung bilden entweder sämtliche großjährige Kassenmitglieder oder deren Vertreter. Der Vorstand wird von der Generalversammlung gewählt. Die