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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kriegsrecht; Kriegsregeln; Kriegssanitätsordnung; Kriegssanitätswesen

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Kriegsrecht - Kriegssanitätswesen.

und die Verantwortlichkeit für den zu fassenden Entschluß zu teilen. Dem Kommandanten einer belagerten Festung ist ein K. beigeordnet, den zu hören er gesetzlich verpflichtet ist. In Österreich bestand lange ein ständiger Hofkriegsrat (s. d.).

Kriegsrecht (Kriegsvölkerrecht, Jus belli, Droit de la guerre), die völkerrechtlichen Grundsätze und Formen der modernen Kriegführung. Gewisse Rechtsanschauungen hatten sich in dieser Hinsicht allerdings auch schon im Altertum Geltung verschafft, doch setzte das antike K. der ungebundenen Willkür zur Zeit des Unfriedens nur wenig Schranken. Der Einfluß des Christentums und des Rittertums im Mittelalter verschaffte humanern Sitten und Gebräuchen mehr und mehr Geltung. In der neuern Zeit war es aber namentlich die Wissenschaft, welche durch Entwickelung und Ausbau des Völkerrechts die Härten des Kriegs zu mildern suchte. Namentlich in Ansehung der nicht zur aktiven Armee gehörigen Unterthanen und ihres Privateigentums brach sich eine humanere Anschauung Bahn. Im Landkrieg wenigstens wird jetzt das Privateigentum grundsätzlich und allgemein respektiert. Bahnbrechend waren in dieser Hinsicht die wissenschaftlichen Arbeiten, welche Hugo Grotius in der ersten Hälfte des 17. Jahrh. veröffentlichte. Es ist Thatsache, daß die Wissenschaft auf die humanere Gestaltung des Kriegsgebrauchs von dem erheblichsten Einfluß gewesen ist. Auch für die Kriegsgesetze der zivilisierten Staaten und die Kriegsartikel derselben war die moderne Rechtsanschauung, welche jede Zerstörung im Krieg, die um ihrer selbst willen geschieht, für völkerrechtswidrig und das Motiv der Rache gegen den überwundenen Feind auch im Krieg für unsittlich hält, bestimmend. Auch Staatsverträge und internationale Abmachungen sind auf diesem Gebiet zu verzeichnen, wie z. B. die Vereinbarungen auf dem Pariser Kongreß 1856. Die Petersburger Konvention vom 29. Nov. 1868 untersagt die Verwendung von Explosivgeschossen aus Handfeuerwaffen. Auch der Brüsseler Konferenz von 1874, namentlich aber der Genfer Konvention (s. d.) ist zu gedenken, welche nunmehr alle Staaten Europas und einige außereuropäische umfaßt und die Neutralisation verwundeter und erkrankter Soldaten sowie aller zu ihrer Pflege und Heilung bestimmten Personen und Anstalten bezweckt. Neuerdings hat das Institut für Völkerrecht (l'Institut de droit international), ein Verein von Publizisten, Staatsmännern und Völkerrechtslehrern, eine förmliche Zusammenstellung der Lehren des modernen Kriegsrechts (Landkrieg) in Form eines Gesetzbuchs (Manuel) unternommen; allerdings nur eine Privatarbeit, aber von hoher wissenschaftlicher Autorität und ebendeshalb auch für die völkerrechtliche Praxis bedeutungsvoll. Im einzelnen sind namentlich die kriegsrechtlichen Grundsätze über Beute, Kriegserklärung, Kriegsgefangene, Neutralität und Postliminium von Wichtigkeit. Dazu kommen für den Seekrieg die Normen und Gebräuche bezüglich der Blockade, des Durchsuchungsrechts, der Kaperei, der Konterbande und der Prise (s. die betreffenden Artikel). Vgl. außer den Lehrbüchern des Völkerrechts: "Lois de la guerre sur terre. Manuel publié par l'Institut de droit international" (Brüssel 1880); Grotius, Recht des Kriegs und des Friedens (deutsch von Kirchmann, Berl. 1869); Bluntschli, Modernes K. (2. Aufl., Nördling. 1874); Gentile, Diritto di guerra (Livorno 1877); Twiß, Rights and duties of nations in time of war (3. Aufl., Lond. 1884); Nys, Droit de la guerre et les précurseurs de Grotius (Brüssel 1883).

In einem andern Sinn versteht man unter K. die auf das Heerwesen überhaupt bezüglichen Gesetzesvorschriften (s. Militärgesetzgebung), und endlich wird der Ausdruck K. auch gleichbedeutend mit Kriegsgericht gebraucht (s. Militärgerichtswesen).

Kriegsregeln, s. v. w. Kriegsgebrauch.

Kriegssanitätsordnung für das deutsche Heer vom 10. Jan. 1878, hebt die Instruktion über das Sanitätswesen der Armee im Feld vom 29. April 1869 auf und regelt neu sowohl das Sanitätswesen als den Gesundheitsdienst für die Armee im Feld. - In Bayern ist in direktem Anschluß an diese K. unterm 10. Febr. 1879 eine K. für das bayrische Heer erlassen worden, deren Inhalt bezüglich der Bestimmungen über den Sanitätsdienst mit der preußischen K. übereinstimmt.

Kriegssanitätswesen, der Inbegriff aller Einrichtungen und Vorkehrungen zur Erhaltung eines guten Gesundheitszustandes (Gesundheitsdienst) sowie die Pflege verwundeter und erkrankter Krieger (Krankendienst, Kriegskrankenpflege).

I. Der Gesundheitsdienst bezweckt die Erhaltung eines guten Gesundheitszustandes unter den Truppen durch Beobachtung einer zweckmäßigen, den Umständen angepaßten und möglichst geregelten Lebensweise sowie durch Verhütung und Abwehr solcher Krankheiten, welche durch das Kriegsleben und die Anhäufung großer Menschenmassen hervorgerufen werden. Wenn auch den neuzeitlichen Fortschritten in der Heilkunde, im besondern in der Chirurgie, die Erhaltung vieler Menschenleben zu danken ist, die früher verloren gegangen wären, so ist doch vorzugsweise der Mangel an Einrichtungen für die Gesundheitspflege Ursache gewesen, weshalb in frühern Kriegen viel mehr Menschen im Lazarett als auf den Schlachtfeldern starben. Von den 4½ Mill. Soldaten, welche den Heeren Frankreichs von 1792 bis 1815 zugingen, starben 2½ Mill. in den Lazaretten, 150,000 auf den Schlachtfeldern. Frankreich schickte nach der Krim 309,268 Mann, davon wurden 436,144 Mann in den Lazaretten verpflegt; im Durchschnitt war also jeder Mann einmal, der zweite Mann aber zweimal im Lazarett; vor dem Feind oder an den Wunden starben 20,000, an Krankheiten 77,000. Von der 283,000 Mann starken österreichischen Armee starben im Feldzug 1859: 40,000 an Krankheiten; die französische Armee hatte gleichzeitig 13,500 Verwundete und 112,500 Lazarettkranke. Günstiger war bereits das Verhältnis der 1866 in der preußischen Armee an Wunden und Krankheiten Verstorbenen, es betrug 1:1,5, während unter dem Verlust der Italiener 1866 von 53,100 Mann nur 2600 Verwundete sich befanden. Was dem gegenüber durch Gesundheits- und Krankheitspflege erreichbar ist, beweist der Feldzug 1870/71; die deutschen Armeen hatten 14,648 Tote durch Krankheit und 28,327 durch Verwundung! Die Kriegssanitätsordnung für das deutsche Heer vom 10. Jan. 1878 enthält dem entsprechende Vorschriften über die Gesundheitspflege auf Märschen (Sonnenstich, Hitzschlag), in Biwaks und Kantonnements, namentlich über Verhütungsmaßregeln zur Weiterverbreitung von Krankheiten (Desinfektion etc.).

II. Der Krankendienst bei der Armee im Feld (Kriegskrankenpflege, geregelt durch die Kriegssanitätsordnung vom 10. Jan. 1878) wird ausgeübt vom militärischen Sanitätspersonal oder durch freiwillige Krankenpflege. Der Chef des Feldsanitätswesens im Großen Hauptquartier leitet den Sanitätsdienst im Heer, ihm ist das gesamte Sanitätspersonal in den Lazaretten und bei den