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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kunstgestänge; Kunstgewerbe

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Kunstgestänge - Kunstgewerbe.

schichtlicher Grundlage. Die einzelnen Epochen der K. schließen sich an die der allgemeinen Weltgeschichte an. Man unterscheidet drei große Abschnitte: Altertum, Mittelalter und Neuzeit, deren jeder in verschiedene Perioden oder in Gruppen nach geographischen Gesichtspunkten geteilt wird. Die Geschichte der Kunst im Altertum, welche sich im wesentlichen auf Architektur, Bildhauerkunst und Kunstgewerbe (Kleinplastik) beschränkt, wird so behandelt, daß die einzelnen Länder in der Reihe, in welcher sie in die Geschichte treten, für sich betrachtet werden (Ägypten, Assyrien und Babylonien, Persien, Griechenland, Etrurien und Rom). Zwischen der Kunst dieser Länder des orientalischen und klassischen Altertums bestehen mannigfache Berührungspunkte, während die jüngere altindische Kunst noch als eine vereinzelte Erscheinung angesehen wird. Die K. des Mittelalters beginnt mit einer Darstellung der altchristlichen Kunst, an welche sich der Zeit nach die byzantinische, dann die romanische und bis zum Schluß des Mittelalters die gotische Kunst anschließen. Der romanische und der gotische Stil erstreckte sich auf alle Kulturländer Europas. Eine für sich bestehende Kunst des Mittelalters ist die des Islam oder die maurische Kunst (Ägypten, Sizilien, Spanien, Türkei, Persien und Indien), mit welcher die orientalisch-christliche Kunst in Rußland, Georgien und Armenien im Zusammenhang steht. Zu Ende des Mittelalters treten zu den drei Hauptzweigen der Kunst noch Holzschnitt und Kupferstich (die graphischen Künste) hinzu. Die K. der Neuzeit wird gewöhnlich in die der Renaissance, des Barock- und Rokokostils und in die moderne Kunst im eigentlichen Sinn, d. h. die des 19. Jahrh., geschieden; doch gelten diese Unterscheidungen nur für Deutschland. In Frankreich und England werden die einzelnen Epochen oder Stilperioden der neuern K. seit dem Anfang des 16. Jahrh. nach den Herrschern benannt. Unabhängig von der Kunst in Europa hat sich diejenige in Indien, Persien, Japan und China entwickelt. Der Schwerpunkt der Kunstübung in den drei letztern Ländern liegt jedoch im Kunstgewerbe. Vgl. außer den Artikeln: Baukunst, Bildhauerkunst, Malerei etc. auch die unsern kunstgeschichtlichen Tafeln (Bd. 2) beigegebenen Tabellen. Die Litteratur der K. s. bei Kunstwissenschaft.

Kunstgestänge, s. Kunst, S. 305.

Kunstgewerbe (Kunstindustrie) nennt man die Verbindung der Kunst mit dem Gewerbe. Man versteht unter Erzeugnissen des Kunstgewerbes diejenigen, welche ihrem Wesen nach für einen praktischen Zweck bestimmt sind, deren Formen jedoch durch die Kunst so veredelt sind, daß sie zugleich als Kunstwerke betrachtet werden müssen. Die Geistesrichtung, welcher das K. seine Entstehung verdankt, findet sich als Gemeingut aller Kulturepochen schon in den rohesten Anfängen menschlicher Thätigkeit. Die Bronzegeräte prähistorischer Zeit, die Flechtarbeiten wilder Stämme, die Thongeräte und Nähereien bäuerlicher Distrikte gehören in den Kreis des Kunstgewerbes und geben häufig dem überreizten und vom rechten Weg abgedrängten Geschmack die richtigen Fingerzeige. Das K. ist daher keineswegs nur an kostbares Material gebunden, es erzeugt aus verhältnismäßig wertlosem Material Werte, welche sich denen der freien Kunstwerke annähern. Im Mittelalter bestand kein Unterschied zwischen Handwerkern und Künstlern. Was wir jetzt Künstler nennen, war nur ein höher entwickelter Handwerker. In der Renaissanceperiode begann die Wandlung der Verhältnisse, indem die eigentlichen Künstler sich aus der Handwerkerzunft heraushoben und eine höhere Stellung neben den Gelehrten und andern Geistesgrößen des Volkes erhielten. Im 16. Jahrh. waren aber die Beziehungen zwischen Kunst und Handwerk noch sehr lebendig. Dürer und Holbein zeichneten für dasselbe; von den Schülern Dürers waren die meisten, die sogen. Kleinmeister, durch Entwürfe, in Kupferstich ausgeführt (Ornamentstiche), für das Handwerk thätig. Erst im 17. Jahrh. wurde die Trennung stärker. Der eigentliche Maler und Bildhauer hatte mit dem K. nichts mehr zu thun. Die Architekten und berufsmäßige Ornamentzeichner übernahmen die Führung. Das Handwerk war zwar seiner Spitzen beraubt, aber es verlor darum doch nicht die künstlerische Neigung. Im Altertum, im Mittelalter, im Zeitalter der Renaissance und des Rokoko und selbst zur Zeit des ersten französischen Kaiserreichs war jeder bessere Handwerker bestrebt, die Erzeugnisse seines Gewerbes künstlerisch auszubilden. Das Bestreben der Veredelung, auch der gewöhnlichen Dinge, durch die Kunst ging erst verloren, seitdem die Großindustrie mit ihren Maschinen den Handwerkern den größten Teil der Arbeit abnahm. Auf allen Gebieten strebte man fortan nur nach Billigkeit ohne Rücksicht auf den Geschmack, und infolgedessen verloren alle Fabrikate das künstlerische Gepräge. Solches war besonders in Deutschland der Fall, während man in England die Solidität und in Frankreich die Eleganz der Form nie ganz aus dem Auge verlor. Als 1851 die erste allgemeine Industrieausstellung in London veranstaltet wurde, stellte es sich heraus, daß die Erzeugnisse der Franzosen als die reizvollsten beim Publikum den meisten Beifall fanden, und daß infolgedessen die Industrie für das Land eine unerschöpfliche Quelle des Wohlstandes war, weil sie den Weltmarkt beherrschte. Die Engländer verstanden sofort die Wichtigkeit der Frage, sie erkannten die Einseitigkeit ihres auf Massenproduktion gerichteten Fabrikwesens und sahen ein, daß die französischen Fabrikate ihre Herrschaft ganz besonders der Vernachlässigung in den übrigen Ländern verdankten, während sie doch vielfach den nationalen Bedürfnissen der einzelnen Länder nicht entsprachen, ja dieselben geflissentlich mit den dazu gehörigen Industrien in den Hintergrund drückten. Die Engländer beschlossen daher, einen Wettkampf auf dem Gebiet des Kunstgewerbes mit den Franzosen aufzunehmen. Sie begründeten das Department of science and art und das South Kensington-Museum, welches sich in großartigster Weise entwickelte und einige ganz neue Industriezweige ins Leben rief, welche jetzt zu hoher Blüte gelangt sind. Auch wurden an verschiedenen Orten Kunstschulen gegründet, in welchen besonders der Zeichenunterricht, als die Grundlage kunstgewerblicher Thätigkeit, gepflegt wurde. Bereits 1867 auf der Pariser Ausstellung stand die englische Kunsttöpferei ebenbürtig neben der französischen und beherrscht seitdem gemeinsam mit ihr den Weltmarkt. Das englische Glas ist zu derselben Vollendung gelangt. Weit wichtiger noch ist die nationale Selbständigkeit, welche die englische Möbelindustrie und Zimmerausstattung zu erringen beginnt, und welche sich auf der Pariser Weltausstellung von 1878 zuerst dem Ausland bemerklich gemacht hat. Mit Anlehnung an die mittelalterlich-gotischen Formen, einem kräftigen Naturstudium und geistreicher Benutzung orientalischer, speziell chinesisch-japanischer, Motive ist dort eine Dekorationsweise entstanden, welche mit den französischen Formen fast nichts mehr gemeinsam hat und welche sich jetzt auf den Bau des Hauses,