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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Lähme; Lähmung

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Lähme - Lähmung.

Coeurbuben in der französischen Karte beigelegt wurde.

2) Philippe de, franz. Mathematiker, geb. 1640 zu Paris, ward 1678 in die Akademie aufgenommen und starb 1719. Er machte sich zuerst bekannt durch eine Reihe damals tüchtiger, jetzt längst überholter Arbeiten über Kegelschnitte, Mechanik, Hydrostatik u. a. sowie durch seine mit Picard auf Colberts Anordnung herausgegebene Karte von Frankreich und seine mit Hinblick auf eine Wasserversorgung von Versailles ausgeführten Nivellements.

Lähme (Füllen-, Kälber-, Lämmer- und Ferkellähme, Gelenkkrankheit der Säuglinge, Gliederkrankheit), Bezeichnung verschiedener Leiden des Jugendalters der Haustiere, besonders der Füllen und Lämmer. Die wichtigste der der L. zugezählten Krankheiten bei Fohlen, Kälbern und Lämmern beruht in einer eiterigen, resp. eiterig-jauchigen Entzündung der Nabelvene und hierdurch erzeugten Blutvergiftung. Durch Vermittelung der Zirkulation entsteht an einem oder gleichzeitig an mehreren Gelenken eine Entzündung mit Anschwellung und zuweilen mit Absceßbildung. Zu diesen Leiden inklinieren besonders die edlen Rassen. Als äußere Ursache ist die Einwirkung von Fäulnisfermenten anzusehen. Die Krankheit ist nach ihrer Ausbildung gewöhnlich unheilbar. Nur wenn ein einzelnes Gelenk affiziert ist, läßt sich eine Behandlung mit einiger Aussicht versuchen. Die kranken Gelenke sind mit 2 Proz. Karbollösung in Wasser zu waschen und mit Watte zu bedecken. Den jungen Tieren ist die Muttermilch mit einer kleinen Flasche einzugeben und abwechselnd Heusamenthee oder Kamillenthee zu verabreichen. Prophylaktisch ist der Nabelstrang bei den neugebornen Fohlen 2-3 Tage hindurch täglich zweimal mit Jodoform und Kollodium zu bestreichen.

Lähmung (Paralysis), in der medizinischen Wissenschaft Bezeichnung der aufgehobenen Leistungsfähigkeit muskulöser oder nervöser Organe; die bloß herabgesetzte Leistungsfähigkeit bezeichnet man als Parese. Im gewöhnlichen Leben und bei den ältern Ärzten wird das Wort L. jedoch in einem viel weitern und unbestimmten Sinn gebraucht, nämlich für jede Art von aufgehobener oder verminderter Thätigkeit irgend eines Teils am lebenden Körper überhaupt. In diesem Sinn spricht man z. B. noch von einer Lungenlähmung, wenn die Lunge nicht mehr funktioniert, weil ihre krankhafterweise mit einer wässerigen Flüssigkeit erfüllten Luftbläschen keine Luft mehr aufnehmen, also nicht mehr zur Atmung dienen können, oder von einem gelähmten Arm, wenn dieser wegen Schmerzen oder Gelenksteifigkeit nicht bewegt werden kann, obschon seine Muskeln und Nerven an sich noch funktionsfähig sind. Halten wir uns an den engern wissenschaftlichen Begriff der L., so tritt diese entweder als Empfindungslosigkeit (Anaesthesia) oder als Bewegungslosigkeit (L. im engsten Sinn, Paralysis, Akinesia) auf. Von der Empfindungslosigkeit werden keineswegs die Gefühlsnerven allein betroffen, sondern auch der Sehnerv, der Gehörsnerv, die Geruchs- und Geschmacksnerven sind unter gewissen Verhältnissen gelähmt und büßen also das Vermögen ein, die spezifischen Empfindungen, welche sie für gewöhnlich zu vermitteln haben, uns zum Bewußtsein zu bringen. Die nächste Ursache der L. ist in sehr verschiedenen Umständen zu suchen. Entweder ist ein wirklicher Kraftmangel im Nervensystem, besonders im Gehirn und Rückenmark als in den Zentralorganen des letztern, vorhanden, oder die Leitung des vom Gehirn und Rückenmark ausgehenden Bewegungsimpulses in den Bewegungsnervenfäden ist behindert und aufgehoben, z. B. durch Druck einer Geschwulst auf den Nerv, durch mechanische Trennung des Zusammenhangs des Nervs, oder es fehlt der zum Zustandekommen mancher Muskelkontraktionen erforderliche Anstoß von gewissen Empfindungsnerven aus: die sogen. Reflexlähmung, oder endlich das Muskelgewebe selbst ist bei sonst normaler Beschaffenheit des Nervensystems durch krankhafte Vorgänge, welche in ihm stattfinden, zur Zusammenziehung unfähig geworden: die neuerdings sogen. myopathische L. im Gegensatz zu der vorhin angeführten neuropathischen L. Das Bild der L. gestaltet sich im konkreten Fall je nach dem davon ergriffenen Teil sehr verschieden; auch gestalten sich die Symptome der L. je nach dem Sitz der lähmenden Ursache im Gehirn (cerebrale L.) oder im Rückenmark (spinale L.) oder im Verlauf eines Nervenstammes (peripherische L.) im einzelnen Fall sehr verschieden. Manchmal kann der Kranke das gelähmte Glied willkürlich gar nicht bewegen; aber dasselbe bewegt sich lebhaft auf Reflexreize (z. B. bei der sogen. Schüttellähmung, Paralysis agitans) oder auf elektrische Reize, vorausgesetzt, daß das Muskelgewebe noch nicht sekundär entartet ist. Lähmungen, welche nur Eine Körperhälfte treffen, nennt man halbseitige Lähmungen (Hemiplegia); sie haben ihre Ursache meist in einer Störung des großen Gehirns. Andre Lähmungen betreffen nur die untere Körperhälfte (Querlähmung, Paraplegia) und haben ihren Ausgangspunkt gewöhnlich im Rückenmark. Selten ist der Arm oder das Bein rechterseits zugleich mit dem Bein oder Arm linkerseits gelähmt und umgekehrt (gekreuzte L., Paralysis cruciata). Lähmungen, welche plötzlich auftreten (meist halbseitige Lähmungen), bezeichnet man gewöhnlich als Schlagflüsse. Diejenigen Momente, welche L. verursachen können, sind sehr verschiedener Art: bald sind es krankhafte organische Veränderungen in der Substanz des Gehirns, des Rückenmarks oder der Nervenstämme, wie bei Entzündungen, Blutaustritten, Druck von Geschwülsten, Erweichung; bald sind es chemische, namentlich giftige, Einwirkungen auf die genannten Teile (z. B. die L. infolge von Pfeilgift, von Muskarin oder Bleivergiftung), bald auch unbekannte dynamische Störungen (Gemütserschütterungen etc.). Bei Geisteskranken tritt sehr häufig eine eigentümliche, den gesamten Körper nach und nach in ihren Bereich ziehende L. auf, zu welcher Blödsinn hinzutritt, und welche den Ausgang der Krankheit in Tod herbeiführt. Dies ist die sogen. Dementia paralytica, welche meist auf Hirnschwund und Verdickung der Hirnhäute beruht. Als essentielle Kinderlähmung bezeichnet man eine von Heine zuerst beobachtete Krankheit, welche vorzugsweise, wenngleich nicht immer, bei Kindern auftritt, unter hohem Fieber, Kopfschmerz, Delirien, einer akuten Infektionskrankheit ähnlich beginnt und zu einer dauernden schlaffen L. größerer oder kleinerer Muskelgruppen führt. Die Muskeln sind elektrisch nicht erregbar, sie verfallen einem raschen Schwunde, die Empfindung der ergriffenen Arme oder Beine bleibt erhalten. Anatomisch liegt diesen Erscheinungen eine herdweise auftretende Entzündung des Rückenmarks zu Grunde, welche die vordern grauen Hörner betrifft, welche die Bewegungsnerven beeinflussen; diese L. gehört demnach, wenigstens in den meisten Fällen, zu den Speziallähmungen. Die Ursachen der Krankheit sind unbekannt, über die Behandlung kann nur