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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Landwirtschaft

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Landwirtschaft (im Mittelalter und in der neuern Zeit).

Briten scheinen etwas weiter vorgeschritten gewesen zu sein; erstere hatten schon eine Mähmaschine und wendeten fleißig Mergel (Gips, Kalk?) an. Nach der verheerenden Völkerwanderung, welcher der Roggen (?) und die Hirse zu verdanken sind, war es, wenn auch nur mittelbar, doch wieder die römische Kultur, welche Besseres, selbst hier und da Glänzendes schuf. Die fleißig in den alten Schriftstellern studierenden Mönche wußten das Gelesene zu verwerten und anderwärts Gesehenes zu benutzen. Mit dem Christentum brachten sie die Kultur, durch Beispiel und Belehrung gewannen sie die bisher nur Jagd und Krieg liebende Bevölkerung für Ackerbau und Industrie. Diesem Umschwung der Verhältnisse leisteten nach vollendeter Eroberung die Franken, besonders Karl d. Gr., Vorschub; der L. sehr zugethan, wußte letzterer durch die Anlage zahlreicher königlicher Villen mit förmlichen Musterwirtschaften, durch scharfe Verordnungen und wohlthätige Gesetze Industrie und Handel zu heben, bis ins kleinste Detail alles selbst zu ordnen und alles im Auge zu behalten. Die Franken führten aber zugleich das Lehnswesen, die Sklaverei und Leibeigenschaft ein und legten damit den Grund zur Bedrückung der Bauern, die sich durch das ganze Mittelalter hinzieht. Anfangs schützten diese wohl die Klostermauern vor Unbill, später aber nur um den Preis der Aufgebung der Freiheit, und bald wetteiferte ein zu großem Reichtum gelangter üppiger Klerus mit dem Adel in der Ländergier und der Erfindung aller Arten von Dienstbarkeiten, mit welchen Feld und Hof der Fröner belastet wurden. Mangel an Arbeitskräften führte erst später zu humanerer Behandlung und der sinkende Ackerbau zur Heranziehung der betriebsamen Niederländer. Dieselben, als freie Kolonisten berufen, brachten mit ihrem schon damals hohen Betrieb auch ihr Freiheitsgefühl mit. Später waren es die Städte, welche auch dem Feldbau ein sicheres Asyl boten und all das Schöne und Gute, was sie durch ihre Handelsbeziehungen kennen lernten, einführten. Besonders sind es die Ackerbürger einzelner Städte, z. B. Erfurts, denen wir den Anfang einer intensiven L. zu danken haben. Der Handelsgewächsbau wurde von diesen "Ackerbürgern" naturgemäß zuerst und zwar im Lauf der Zeiten mit sehr großem Erfolg betrieben. In den städtischen und geistlichen Höfen baute man allmählich alle Arten feinen Obstes, Küchenkräuter, Gemüse und Heilkräuter, Mohn und andre Ölpflanzen, Hanf, Hülsenfrüchte, Gewürz- und Farbepflanzen, unter welchen der Hopfen und der Waid obenan standen. Die Zünfte wußten die Feldgeräte zu vervollkommnen; der gesamte Betrieb nahm festere Normen an: im Süden und in Mitteldeutschland die der Dreifelderwirtschaft mit Weidegang, im Norden die der Feldgraswirtschaft. Den bewundernswertesten Feldbau in jener Zeit hatte Spanien unter der Herrschaft der Mauren, doch ging dessen herrliche Entfaltung mit dem Sieg des Kreuzes über den Halbmond wieder unter; nie wieder haben jene Fluren gleichen Wohlstand, nie wieder solche Bebauer gesehen. Frankreich krankte an ähnlichen Zuständen wie Deutschland; auch hier dachte man an die L. zuletzt, und nur in der folgenden Periode, unter Heinrich IV., leuchtete Frankreich auf kurze Zeit andern Ländern voran. In den Niederlanden dagegen war und blieb die L. in richtiger Würdigung hoch gepflegt, mit ihr Manufaktur und Handel. Wie in Deutschland, so gaben die vlämischen Kolonisten auch in England den Anlaß zur später bewunderten und noch heute behaupteten Höhe des landwirtschaftlichen Betriebs.

Eine neue Zeit begann mit der Entdeckung der Seewege nach Amerika und Indien und mit der Erfindung der Buchdruckerkunst. Als die litterarischen Schätze der Klöster allen zugänglich wurden, entstand bald auch eine deutsche landwirtschaftliche Litteratur. Bessere Rechtszustände schufen Freude am eignen Thun. Mit Aufhebung der Klöster war der Grund zu bürgerlichen Gütern, mit Stiftung von Schulen der zu besserer Erziehung gelegt. Zu Anfang des 17. Jahrh. zeigte die L. einen sehr erfreulichen Aufschwung. Bestellt mit neu eingeführten Futterpflanzen und mit größerer Sorgfalt gedüngt (Kompost, Asche, Schlamm, Erde, Kalk, Mergel etc.), konnten die Felder bessere Ernten liefern; Buchweizen, Mengfrucht, Raps, Safran und manche Gartengewächse wurden eingeführt, die Viehzucht gab eine bessere Rente (Tuchmacher, Gerber), der Wiesenbau ward rationeller, die Verwaltung der Güter nach Vorschrift geregelt. Der Dreißigjährige Krieg aber hemmte diese ganze Entwickelung wieder auf ein Jahrhundert. Nicht besser war es in den Niederlanden bis zur Befreiung vom spanischen Joch, nicht besser in England, wo die innern Kämpfe erst mit der vollständigen Vertreibung der Stuarts ihren Abschluß fanden. Dann aber entwickelte sich die L. daselbst wunderbar, begünstigt durch die unter Elisabeth und Cromwell sicher begründete Schiffahrt. Richard Welston führte die Rübe und den Klee ein, Tabak und Kartoffeln wurden verbreitet, Jethro Tull erfand die Reihenkultur und Pferdehackwirtschaft; das ganze Feldsystem änderte sich, und als dann später noch Bakewell durch seine erstaunlichen Leistungen den Grund zur jetzt so bewunderten Viehzucht legte, waren, Hand in Hand mit einer einsichtsvollen Gesetzgebung, der freien Entwickelung des Volkes und der thätigen Teilnahme der Aristokratie an allen Verbesserungen der L., die Grundlagen der heutigen Höhenstufe gelegt.

In Deutschland entwickelte sich die L. nach dem unheilvollen Krieg nur langsam. Der erste Anstoß zum Bessern ging von den kleinern und größern Fürsten aus; die Länder bedurften der Anspannung aller Kräfte, die wachsenden Bedürfnisse dauernder Einnahmequellen. Mit Gründung geordneter Kameralverwaltungen kamen Aufmunterung, Beispiel, Belehrung, Gesetz und Verordnung, freilich auch oft verkehrt genug angebracht, der L. zu Hilfe. Wir danken ihnen vor allen das Aufleben der Litteratur und die Errichtung von Lehrstühlen der Kameralwissenschaften an den Universitäten, zuerst in Halle, wo Thomasius (ca. 1727) die L. lehrte und die Schule der Kameralisten gründete. Diese behandelten die L. als "angewandte Kameralwissenschaft" und drängten sie dadurch zwar in einseitige Richtung, förderten sie aber doch insofern, als sie ihr auch in echt wissenschaftlichen und aristokratischen Kreisen Geltung verschafften, die künftigen Beamten vertraut damit machten und die Aufmerksamkeit der Kabinette fortwährend für sie zu fesseln wußten. Freilich erhoben sie sich nur wenig über die römischen Vorbilder; doch hatten sie Anregung und Ermunterung genug gegeben, so daß bald die Schule der Empiriker (Leopoldt, Eckhardt, Hagedorn, Reichhardt) ihnen gegenübertrat, welche die L. auf Grund der vaterländischen Zustände aufzubauen strebte. Als dann noch mit dem ersten Werk über Agrikulturchemie (Wallerius' "Fundamenta agriculturae") die Anwendung der Naturwissenschaften auf die L. gegeben war, gewann diese bald eine andre Gestaltung, zumal als ihr mit dem Sturz des so verderblichen Merkantilsystems durch die von Quesnay (gest. 1747) gestiftete physiokratische