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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Lehrgabe; Lehrgang; Lehrgedicht

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Lehrgabe - Lehrgedicht.

mutwillig geschürt werden dürfte. Aber das moderne Rechtsgefühl fordert, daß die L. als das eigentlich Gesunde angesehen und eine Beschränkung nur zugelassen werde, wo die Selbsterhaltung sie dem Staat gebietet. Zu dieser Auffassung drängte die auf protestantischer, namentlich reformierter, Seite immer allgemeiner anerkannte Parität mehrerer Bekenntnisse in einem und demselben Staat, welche seit Friedrich d. Gr., der Gründung der nordamerikanischen Union und der französischen Revolution in die Anerkennung allgemeiner Glaubensfreiheit (s. d.) überging, und das mächtige Anwachsen einer vom kirchlichen und selbst vom christlichen und religiösen Bekenntnis überhaupt mehr oder weniger unabhängigen weltlichen Wissenschaft. Obwohl auch nach der Reformation zunächst noch immer an ein bestimmtes Bekenntnis gebunden, errangen die Universitäten in Deutschland, Holland, der Schweiz etc. seit dem Aufkommen des neuern Staatsrechts und zumal seit Leibniz und Chr. Thomasius die Geltung von Freistätten der Wissenschaft. Dies geschah freilich nicht ohne große Schwankungen. Thomasius selbst mußte von Leipzig fliehen; von Halle verwies Friedrich Wilhelm I. den Philosophen Chr. Wolf, welchen sein großer Sohn von Marburg zurückrief. In Helmstädt wurde der freisinnige Erklärer des Alten Testaments, H. v. d. Hardt, zum Schweigen verurteilt. Mit vielen andern empfand Kant den Druck der Wöllnerschen Zwangsmaßregeln unter Friedrich Wilhelm II. Bekannt ist ferner der Fichte-Forbergsche Atheismusstreit, welcher den erstern, freilich nicht ohne Schuld seines herausfordernden Auftretens, von Jena nach Berlin vertrieb. Verhängnisvoll waren in unserm Jahrhundert auch für die L. die Karlsbader Beschlüsse (1819), denen in Frankreich das Verbot der geschichtlichen Vorträge Guizots und der philosophischen Cousins unter Karl X. zur Seite ging. Das Jahr 1848 sprengte die Fesseln, die noch kurz zuvor in Leipzig gegen Biedermanns staatsrechtliche, in Berlin gegen Prutz' litterargeschichtliche, in Tübingen gegen Vischers philosophische Vorträge straffer angezogen waren. Einzelne Nachklänge, wie die Entfernung des Theologen M. Baumgarten von seinem Rostocker Lehrstuhl, folgten noch nach 1850. - Schwieriger stellt sich die Frage nach der L. innerhalb einer einzelnen, auf ein bestimmtes Bekenntnis begründeten kirchlichen Gemeinschaft. Doch hat im Gebiet des Protestantismus mehr und mehr die Überzeugung sich Bahn gebrochen, daß die Ausschließung der freien Forschung, aus welcher die Reformation geboren ist, zur Heuchelei und zur geistigen Verarmung führen muß und demgemäß nur solche Lehrvorträge auszuschließen sind, welche die Bekenntnisgrundlagen antasten. Wann dies der Fall ist, darüber gebührt die Entscheidung der Kirche, d. h. der Gemeinde, selbst. Wäre diese schon früher durch Entwickelung des Synodalwesens in weitern Kreisen zu Worte gekommen, so hätte manches Ärgernis und manche Spaltung, wie die lutherische Separation von der preußischen Landeskirche im 4. und die Gründung der Freien Gemeinden unter Uhlich, Wislicenus, Rupp u. a. im 5. Jahrzehnt unsers Jahrhunderts, vielleicht vermieden werden können. Eigentümlich ist die Lage da, wo Staat und Kirche zusammenzuwirken haben, wie bei den theologischen Fakultäten staatlicher Universitäten, bei der Anstellung und Beurteilung von Geistlichen in Staatskirchen, welche von Amts wegen auch besondere staatliche Rechte und Pflichten haben, und in der konfessionellen Schule. Berühmte Streitfälle aus jenem Gebiet sind die Entfernung von D. F. Strauß aus dem theologischen Lehramt in Württemberg mit dem Nachspiel in Zürich und die von Br. Bauer in Preußen. Von den Geistlichen der Staatskirche muß und darf der Staat gewissenhafte Wahrung der staatlichen Interessen verlangen (vgl. die preußischen und deutschen Kirchengesetze der letzten Jahre). Daneben muß er der kirchlichen Forderung Rechnung tragen, daß die Grundlagen des Bekenntnisses nicht angetastet werden dürfen, zugleich aber darüber wachen, daß nicht eine Partei innerhalb der Kirche die Macht des Staats zur Durchführung ihrer herrschsüchtigen Pläne und zur Unterdrückung einer an sich gleichberechtigten Minorität mißbrauche. In diesem Sinn hielten sich die Staaten des Deutschen Reichs, der Schweiz u. a. verpflichtet, die sogen. altkatholischen Geistlichen und Lehrer, welche sich den vatikanischen Beschlüssen nicht unterworfen haben, im Genuß ihrer staatlich verbürgten Rechte zu schützen. Ein schwieriges Kapitel des öffentlichen Rechts wird das von der L. immer bleiben, und völliges Einvernehmen über ihre richtige Handhabung ist unter streitenden Parteien kaum denkbar. Im ganzen ist aber in Deutschland und namentlich auch in Preußen unter den Kultusministern Falk und v. Goßler an die Stelle des früher verbreiteten Mißtrauens die Überzeugung getreten, daß man es an leitender Stelle mit der Aufrechterhaltung einer vernünftigen L. ernst meint.

Lehrgabe (Donum docendi) galt früher als eine besondere Anlage (Gnadengabe, Charisma, vgl. 1. Korinth. 12, 7 ff.), von deren Vorhandensein der Erfolg des Unterrichts und der Erziehung abhängig gedacht wurde. Wenn auch die neuere Pädagogik das Lehren als eine Kunst betrachtet, die nach wissenschaftlichen Regeln studiert und erlernt werden kann, so bleibt doch das in der ältern Ansicht unbestreitbar, daß mannigfaltige körperliche und seelische Voraussetzungen das Lehrgeschäft wesentlich mit bedingen.

Lehrgang, die Ordnung, in welcher der einem bestimmten Gebiet angehörige Unterrichtsstoff an den Schüler herangebracht wird. Es ist von hoher Bedeutung, den richtigen Stufengang für jeden Unterricht zu ermitteln, und der Lehrer muß zu diesem Zweck neben der Natur des Gegenstandes auch die Fassungskraft und die Eigentümlichkeit des Zöglings oder der Zöglinge berücksichtigen. Er wird finden, daß der praktische L., auf den es im Unterricht ankommt, keineswegs immer mit der theoretisch folgerichtigen (synthetischen oder systematischen) Ordnung zusammenfällt. Vgl. Methode. Auch Lehrbücher, z. B. Grammatiken, die statt der systematischen Ordnung eine auf das Bedürfnis des Unterrichts berechnete Abstufung zu Grunde legen, werden gern mit dem Titel L. oder "Praktischer L." bezeichnet.

Lehrgedicht (didaktische Poesie), angeblich eine besondere Gattung der Poesie, deren Berechtigung als solche mit Recht bestritten wird. Der wahre Zweck der Poesie kann nur diese selbst sein; soll das Wesen eines Gedichts und seine eigentliche Absicht in Belehrung liegen, so wird das Werk zu einem Erzeugnis der bloßen Reflexion, das von der Poesie nur die äußern Formen leiht. Das L. ist zu unterscheiden von dem lehrreichen Gedicht, welches didaktisch heißt, aber lyrisch ist, weil es aus Stimmung, nicht aus Reflexion entspringt und daher zwar lehrt, aber ohne es zu wollen. Das L. gehört daher nicht zur schönen, sondern, sofern es das Wahre sinnlich darstellt, zur symbolischen, sofern es das Gute versinnlicht, zur moralischen, sofern es ein lediglich Nützliches in schöne Form einkleidet, zur verschönernden Kunst. Der ersten Art gehört der Natur- und Geschichtsmythus,