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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Lehrgerüste

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Lehrgerüste.

der zweiten die (Äsopische) Fabel, der dritten das belehrende Gedicht (Vergils "Georgica", Horaz' "Brief über die Dichtkunst" u. a.) an. Das L. entspricht einer Stufe der Entwickelung der Völker, wo die Wissenschaft ihre selbständige Form noch nicht gefunden hat (die Sutras des Kapila bei den Indern, die philosophischen Lehrgedichte des Xenophanes, Parmenides, Empedokles u. a., die "Theogonie" des Hesiod bei den Griechen, die Fabeln des Bidpai und des Äsop, das Gedicht "Werke und Tage" des Hesiod). Die Beibehaltung desselben neben der Wissenschaft kündigt den Verfall der Poesie oder wenigstens deren Mangel bei den "Poeten" an, den auch die prunkvollste Rhetorik nicht zu verhüllen vermag. Dies zeigen in der Geschichte der römischen Poesie des Lukrez übrigens höchst geistvolle poetische Darstellung des Epikureischen Systems in dem Gedicht "De rerum natura", die "Georgica" des Vergil, die fast allen spätern didaktischen Dichtern zum Muster gedient haben, Ovids "Ars amandi" und des Horaz "Ars poetica". Unter den neuern Völkern ward das L. besonders bei den Franzosen gepflegt von Racine, Boileau, Dorat, Lacombe, Delille. Die namhaftesten englischen hierher gehörigen Dichter sind: Davies, Dyer, Akenside, Dryden, Pope, Young, Erasmus Darwin. Auch in Deutschland fand die didaktische Poesie schon früh eine günstige Aufnahme, da sie dem ernsten, kontemplativen Charakter der Nation besonders zusagte. Bereits zu Ende des 12. Jahrh. und namentlich im 13. kommen mehrere Gedichte mit bestimmter didaktischer Tendenz, wenngleich keine eigentlichen Lehrgedichte im engern Sinn, vor, unter welchen sich besonders Freidanks "Bescheidenheit" vorteilhaft auszeichnet. Auch die Zeit der Meistersänger war dieser Gattung günstig, noch mehr aber das 15. Jahrh., in welchem Sebastian Brant und Thomas Murner die didaktische Satire mit Talent und Erfolg behandelten. Noch mehr beschäftigte man sich mit der didaktischen Poesie im folgenden Jahrhundert, wo auch das eigentliche L., obwohl nur in unbedeutenden Versuchen, unter welchen die des Bartholomäus Ringwald als die gelungensten zu betrachten sind, zuerst auf deutschem Boden aufsproßte. In den Zeiten der schlesischen Schule bildeten es Opitz, Brockes u. a. nach antiken und französischen Mustern, späterhin Haller, Dusch, Gleim, Zachariä, Bodmer, Cronegk, Giseke, Lichtwer u. a. aus. Die bedeutendste Richtung erhielt die didaktische Poesie jedoch durch Lessing, Wieland, Tiedge, dessen "Urania" lange Zeit beim Publikum in hoher Gunst gestanden hat, Neubeck, dessen "Gesundbrunnen" A. W. Schlegel empfahl, und Schelling, welcher im L. die vollendete Ineinsbildung von Poesie und Philosophie und in seiner Naturphilosophie das wahre "Naturepos" sah. Seit der romantischen Schule nahm das Interesse an dem eigentlichen L. wieder ab, und erst in neuester Zeit gelang es Leopold Schefer mit seinem "Laienbrevier", Fr. v. Sallet mit seinem "Laienevangelium" und besonders Rückert mit seiner "Weisheit des Brahmanen", die allgemeine Aufmerksamkeit wieder zu fesseln.

Lehrgerüste, diejenigen Baugerüste, welche zur Unterstützung auszuführender Gewölbe von verschiedener Form und Stärke dienen. Je nach der Form der Gewölbe (s. d.) sind sie halbkreisförmig, segmentbogenförmig, spitzbogenförmig etc. und je nach der aufzunehmenden Last schwächer oder stärker konstruiert. Im Hochbau, worin sie gewöhnlich nur zur Unterstützung von Kellergewölben, Ganggewölben und einzelnen gewölbten Bogen dienen, werden sie meist nur aus einzelnen Bohlenbogen hergestellt, welche durch Latten oder Schalbord verbunden werden. Bei kompliziertern, z. B. Kreuzgewölben, werden außerdem Diagonalbogen eingeschaltet, an welche sich die geraden Lehrbogenrippen anschließen. Im Brückenbau, worin die schwersten Gewölbe zu unterstützen sind, unterscheidet man die stehenden L. (Fig. 1), welche auf senkrechten Pfosten ruhen und den zu überbrückenden Raum verschließen, die gesprengten L. (Fig. 2), welche aus Sprengwerken bestehen, und die L. mit Fachwerkträgern (Fig. 3), welche beiden letztern den zu überbrückenden Raum, z. B. des Land- oder Schiffahrtverkehrs wegen, freilassen. Jedes Lehrgerüst besteht aus dem das Gewölbe unmittelbar unterstützenden Obergerüst oder Lehrbogen, dessen Untergerüst und mehreren beweglichen, zwischen beiden eingeschalteten sogen. Ausrüstungsvorrichtungen (aa in Fig. 1, 2 und 3), z. B. Keilen, Schraubensätzen, exzentrischen Scheiben, entleerbaren Sandsäcken, welche zum Senken des Lehrbogens nach dem Schluß des Gewölbes dienen. Der Lehrbogen besteht wieder aus den seine Peripherie bildenden Kranzhölzern, welche unter sich durch eine mehr oder minder einfache, meist aus Streben, Hängesäulen und Zangen bestehende Versteifungskonstruktion verbunden sind. Die einzelnen Tragrippen des Lehrgerüstes werden je nach ihrer Entfernung durch starke Bohlen, durch leichtere oder schwerere Balken, welche die zwischen ihnen befindlichen Teile des Gewölbes zu unterstützen haben, verbunden. Sobald das Gewölbe

^[Abb.: Fig. 1. Stehendes Lehrgerüst.]

^[Abb.: Fig. 2. Gesprengtes Lehrgerüst.]

^[Abb.: Fig. 3. Lehrgerüst mit Fachwerkträgern.]