Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Luther'
ner reformatorischen Wirksamkeit lieferte. Schon jetzt predigte er nicht bloß in der Klosterkirche, sondern
auch in der städtischen Pfarrkirche in dieser Richtung, die er zugleich während der Abwesenheit seines Gönners
Staupitz, der ihn zu seinem Stellvertreter ernannt hatte, seinem Orden mitzuteilen suchte, daher der letztere
auch im Streit mit Tezel alsbald auf seine Seite trat.
Es war der von Tezel (s. d.) auf die Spitze getriebene Mißbrauch des Ablasses (s. d.),
welcher L. auf das Kampffeld rief. Während der Ablaßkrämer in unmittelbarer Nähe Wittenbergs, in Jüterbog,
seine Bude aufgeschlagen hatte, feierte man 1. Nov. 1517 die Kirchweihe der Schloßkirche zu Wittenberg. Es
war Sitte, solche Tage auch durch Publikationen zu verherrlichen, die an der Kirchthür angeschlagen wurden.
So that am Vorabend des Festes L. Der einfache Inhalt seiner 95 Thesen läuft hinaus auf die Unterscheidung des
Begriffs der Buße im biblischen Sinn als eines innern, sittlichen Vorganges von dem kirchlichen System der
Leistungen und Garantien. Der Erfolg der Thesen überraschte ihn selbst. "Dieselben liefen schier in 14 Tagen
durch ganz Deutschland, denn alle Welt klagte über den Ablaß." Schon mit Beginn des Jahrs 1518 ruft der Zensor
aller im römischen Gebiet erscheinenden Bücher, Silvester Prierias, die unbedingte Autorität des Papstes gegen
Luthers Sätze ins Feld. Jetzt richtete sich L. auf die bisher ungeahnte Eventualität ein, zum Ketzer gestempelt
zu werden. Am 26. April verteidigte er in Heidelberg, wohin ihn ein Augustinerkonvent geführt hatte, die
Hauptsätze des Augustinismus. Im August erfolgte die Citation nach Rom. Statt dessen kam es aber nur 13.-15. Okt.
zu einem Gespräch mit dem päpstlichen Legaten Cajetan (s. d.) in Augsburg, wobei L. den von
ihm geforderten einfachen Widerruf verweigerte, dafür aber sich berief "vom übel berichteten Papst auf den
besser zu berichtenden". Eine Appellation an ein Konzil folgte im November von Wittenberg aus nach. Gleichwohl
vermochte ihn im Januar 1519 der päpstliche Kammerherr Karl v. Miltitz in Altenburg zu einer Art von Waffenstillstand
zu bewegen. Diesen hat zuerst der päpstliche Theolog Johannes Eck (s. d.) gebrochen, welcher
schon seit einem Jahr in einer litterarischen Fehde mit Karlstadt (s. d.) begriffen war. So wurde nun vom 27. Juni bis 16. Juli zu Leipzig disputiert, zwischen Eck und Karlstadt
über die Lehre vom freien Willen, zwischen Eck und L. über den Primat des Papstes, und erst aus
diesem scholastischen Streit ist der volle Gegensatz der kirchlichen Prinzipien erwachsen. L. nahm in Leipzig die
ihm von Eck aufgedrängte Solidarität mit der Sache von Johann Huß wenigstens teilweise an und
behauptete, daß selbst ein großes Konzil wie das Konstanzer irren könne. Damit war der Bruch mit dem katholischen
Kirchenwesen im Grundsatz erfolgt; kühn schritt nun L. fort zur Lehre vom Priestertum aller Gläubigen, von der
christlichen Freiheit, vom Rechte der christlichen Subjektivität. Eine ungemein fruchtbare schriftstellerische
Thätigkeit hatte er schon im Jahr zuvor begonnen und setzte sie unermüdlich fort. Unter den neuen Forderungen
erscheint jetzt auch das Abendmahl unter beiderlei Gestalt für die Laien. Daß die Kirche notwendig ein irdisches
Haupt haben müsse, ward in der Schrift "Von dem Papsttum zu Rom" 1520 geleugnet, während L. gleichzeitig auch mit
so entschiedenen Feinden Roms wie Hatten in Verbindung trat. Da erschien die päpstliche Bannbulle vom 16. Juni.
Gleichzeitig hatte aber auch L. die gesamte Tragweite der neuen
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Ideen, die ihn erfüllten, entwickelt und alle Folgerungen aus dem neuen Prinzip öffentlich vorgetragen in den
schon im Sommer erschienenen großen reformatorischen Schriften: "An den christlichen Adel deutscher Nation, von
des christlichen Standes Besserung" und "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche". Dazu kam jetzt noch
der Traktat "Von der Freiheit eines Christenmenschen" als Gegengabe auf die Bannbulle, welche er 10. Dez. nebst
den päpstlichen Dekretalen einem vor dem Elsterthor zu Wittenberg angezündeten Feuer übergab. Von jenen drei
Hauptschriften (hrsg. von Lemme: "Luthers drei große Reformationsschriften", Gotha 1875) aber ruft die erste
die Christenheit zum Kampf wider die Anmaßungen des Papstes und des Standes, welcher allein für den geistlichen
gehalten sein will; die zweite zerstört die geistlichen Bande, womit jener Stand mit seinen Gnadenmitteln die
Seelen knechtet; die dritte geht auf die letzten Grundfragen der Religion ein und weist in dem unmittelbaren
Verhältnis, in welchem der an Christus Gläubige zu Gott steht, den tiefsten Grund der Ruhe und Seligkeit nach.
Eine Schrift: "Wider die Bulle des Endchrists", schließt die schriftstellerische Wirksamkeit für dieses
Entscheidungsjahr ab, und eine ausführliche Widerlegung der Bulle leitet die Ereignisse von 1521 ein: die Vorladung
vor Kaiser und Reich, die Abreise von Wittenberg 2. April, Ankunft in Worms 16. April, sein zweimaliges Erscheinen
vor dem Reichstag, 17. und 18. April, endigend mit mutiger Ablehnung des geforderten Widerrufs. "Gott helf' mir!"
rief er noch im Reichstag; "ich bin hindurch!", als er wieder in der Herberge ankam. Am 26. April verließ er
Worms; 4. Mai wurde er auf Veranstalten seines bisherigen Beschützers, des Kurfürsten Friedrich des Weisen von
Sachsen, von verkappten Reitern überfallen und auf die Wartburg geführt, wo er, für die Welt nicht mehr
existierend, als "Junker Georg" bis 3. März 1522 lebte. Die Reichsacht war 26. Mai 1521 über ihn ausgesprochen
worden. Er aber überraschte von seinem unbekannten "Patmos" aus die Welt mit neuen Flugschriften, belehrte über
das Wesen der Beichte, eiferte gegen Privatmessen, geistliche und Klostergelübde, schrieb seine "Deutsche Postille"
und begann im Dezember 1521 die deutsche Bibelübersetzung. Einstweilen war in Wittenberg Karlstadt
als praktischer Reformator aufgetreten; wie er gegen das Cölibat, so eiferten reformfreundliche Ordensgenossen
Luthers, nachdem sie das Augustinerkloster verlassen hatten, Gabriel Didymus an der Spitze, gegen das Meßopfer.
Der Dezember brachte mit andern Neuerungen auch das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, ganz zuletzt aber auch die
Zwickauer Propheten; Karlstadt wurde zuerst mit fortgerissen, Melanchthon, seit August 1518
Luthers Kollege, schwankte; dem Kurfürsten wuchsen die Dinge über den Kopf. Im Februar 1522 kam es zum Bildersturm.
Da brach L., jeglichem Radikalismus feind, eigenmächtig von der Wartburg auf, traf 7. März in Wittenberg ein und
beschwor den Sturm, acht Tage lang predigend, von der Kanzel aus. Seitdem war er unbedingt Herr der Lage, die
Fanatiker räumten das Feld. Neuerdings wurde die Sache der Reformation durch die Erhebung Sickingens und der
Reichsritterschaft gefährdet, die, obwohl sie in ihrer eignen Sache das Schwert zogen, sich doch den Schein gaben,
als wollten sie "dem Evangelio eine Öffnung machen". L. hatte sich aber dem ihm sonst befreundeten Sickingen, der
1523 den Tod fand, nicht angeschlossen. Er entwickelte jetzt jene mit der innern Freiheit begin-
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 1023.