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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Marokko

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Marokko (Geschichte).

Mächte getrieben. Nach dem Tod Achmeds, des mächtigsten der Scherifs, um 1603, entstand ein Bruderkrieg unter seinen Söhnen, bis der älteste derselben, Mulei Zidan, König von Fes, auch die Herrschaft von M. wiedererlangte. Unter ihm kamen die 1610 aus Spanien vertriebenen Mauren nach M. Mit Mulei Arschid kam 1669 eine Seitenlinie der Scherifs, die Dynastie der Aliden oder Hoseini, auf den Thron. M. führte von jetzt ab den Titel eines Königtums. Mulei Arschids Nachfolger (1672), sein Bruder Mulei Ismail, erwarb sich den Ruf eines der grausamsten Tyrannen. Gegen 5000 Menschen richtete er eigenhändig hin, zum Teil unter den ausgesuchtesten Martern. Nach seinem Tod 1727 kam es zwischen seinen Söhnen Achmed Deby und Mulei Abdallah wegen der Thronfolge zum Krieg, welcher 1730 mit dem Sieg des erstern endigte. Ihm folgte 1757 sein Sohn Mulei Sidi Mohammed, dessen Regierung sich durch Milde und das Bestreben, europäischer Kultur Eingang zu verschaffen, auszeichnete. Das Reich erstreckte sich bis Timbuktu. Nach seinem Tod (1789) entstanden neue Kriege zwischen seinen Söhnen, bis sich endlich Mulei Yezid behauptete, dem 1794 sein jüngerer Bruder, Mulei Soliman, in der Regierung folgte. Derselbe schaffte die Christensklaven ab, schritt gegen die Seeräuberei ein und trat mit den europäischen Mächten, namentlich mit Frankreich, in diplomatischen Verkehr. 1810 fiel Sidi Hescham von M. ab. Auf Mulei Soliman folgte 1822 der älteste Sohn seines Bruders Mulei Hescham, Mulei Abd ur Rahmân. Dieser trat die Regierung unter wenig günstigen Umständen an. Im Innern herrschten Aufstände gegen die weltliche Herrschaft des Sultans, religiöser Fanatismus und Haß gegen die Fremden. Handel und Verkehr lagen danieder. Die Besitznahme Algiers durch die Franzosen verwickelte M. in Konflikte mit Frankreich; die fanatisch mosleminische Bevölkerung gewährte Abd el Kader nicht nur Zuflucht und Schutz, sondern zwang auch den Sultan 1844, demselben 15,000 Mann zu Hilfe zu schicken, welche die Franzosen im Juni unversehens angriffen, aber zurückgeschlagen wurden. Nach Ablehnung des französischen Ultimatums bombardierte die französische Flotte unter dem Prinzen von Joinville im August Tanger und Mogador, und 14. Aug. kam es zwischen den Franzosen unter Bugeaud und dem großen marokkanischen Heer unter Sidi Mohammed, einem Sohn des Sultans, beim Fluß Isly zur Schlacht, in welcher die Marokkaner geschlagen wurden und ihr ganzes Lager in die Hände der Sieger fiel. Auf Veranlassung Englands bot endlich der Sultan von M. Frankreich den Frieden an, der am 10. Sept. in Tanger zu stande kam. Als Abd el Kader 1845 die algerischen Stämme nach M. übersiedeln und durch sie dies Land von neuem zum Kriege gegen Frankreich nötigen wollte, rief M. die Hilfe Frankreichs gegen ihn an, worauf dieses 1847 durch eine nachdrückliche Intervention in M. dem Sultan zur Unterwerfung seiner Unterthanen verhalf und Abd el Kader 22. Dez. zur Ergebung zwang. Doch erneuerten sich die Konflikte mit Frankreich und andern Mächten fortwährend, da die Regierung, selbst wenn sie einmal den guten Willen hatte, mit jenen Frieden zu halten, der Macht ermangelte, ihre Unterthanen im Zaum zu halten und an Räubereien und Mißhandlungen der Fremden zu hindern, zumal die Regierungstruppen fast unaufhörlich mit dem Eintreiben der Abgaben beschäftigt sind. Im August 1856 wollte die Bemannung der preußischen Korvette Danzig unter dem Befehl des Prinzen Adalbert an der Rifküste in M. ans Land steigen, wurde aber von den wilden, meist von Seeräuberei lebenden Bewohnern derselben aus einem Hinterhalt mit Gewehrschüssen empfangen und mußte sich mit einem Verlust von 7 Mann Toten und 18 Verwundeten zurückziehen. Nachdem Abd ur Rahmân 1858 noch eine bedeutende Empörung unterdrückt hatte, starb er im August 1859 und hatte seinen ältesten Sohn, Sidi Mohammed, zum Nachfolger. Nur durch blutige Kämpfe vermochte sich dieser gegen seine vielen Nebenbuhler auf dem Thron zu behaupten. Diese Unruhen sich zu nutze machend, unternahmen die Rifbewohner im September Einfälle in die spanischen Besitzungen auf Nordafrika, wurden aber mit Verlust zurückgeschlagen. Spanien verlangte nun von der marokkanischen Regierung als Genugthuung für eine Reihe von Unbilden und als Garantie für die Sicherheit seiner afrikanischen Besitzungen die Abtretung eines Gebiets. Die eingeleiteten Unterhandlungen blieben ohne Resultat, und es erklärte daher Spanien 22. Okt. 1859 an M. den Krieg. General O'Donnell erhielt den Oberbefehl über die aus 35-40,000 Mann Fußvolk, 2000 Mann Kavallerie und 150 Geschützen bestehende spanische Heeresmacht, ward zwar anfangs (Dezember) von den Kabylen und Mauren der Ebene, ungefähr 60,000 Mann Reiterei, heftig angegriffen, drang aber bald siegreich vor. Nach vielen kleinen, aber sehr blutigen Gefechten besetzten die Spanier 4. Febr. 1860 die Stadt Tetuan, und nach einer 23. März westlich von derselben erlittenen entscheidenden Niederlage baten die Marokkaner um Waffenstillstand, der, zumal auch im Innern Marokkos Unruhen ausbrachen, bald zum Frieden führte. Derselbe ward 25. April in Tetuan von O'Donnell und Mulei Abbas unterzeichnet und bestimmte, daß M. an Spanien eine Entschädigung von 20 Mill. Piaster zahlen und bis zur Erlegung dieser Summe die Stadt Tetuan den Spaniern überlassen mußte. Diesem Frieden folgte 20. Nov. 1861 ein Handelsvertrag. 1873 starb Sidi Mohammed, und ihm folgte 25. Sept. sein Sohn Mulei Hassan, der durch wiederholte große Gesandtschaften freundschaftliche Beziehungen mit den europäischen Mächten anknüpfte, dadurch aber Unruhen in seinem Reich erregte, ohne daß doch dem Aussaugungssystem der Beamten gesteuert und Reformen angebahnt worden wären. Das Schutzrecht der europäischen Mächte in M. wurde 1880 auf einer Konferenz zu Madrid geregelt.

Vgl. außer den ältern Werken von Ali Bei el Abassy (1816), Jackson (1811), Graberg de Hemsö (1838), Drummond-Hay (1841) u. a.: Renou, Description géographique de l'empire du Maroc (Par. 1846); L. Godard, Description et histoire du Maroc (das. 1860, 2 Bde.); Richardson, Travels in Marocco (Lond. 1859, 2 Bde.); Maltzan, Drei Jahre im Nordwesten von Afrika. Reisen in Algerien und M. (2. Aufl., Leipz. 1868, 4 Bde.); Rohlfs, Reise durch M. (2. Aufl., Brem. 1869); Derselbe, Mein erster Aufenthalt in M. (das. 1872); Leàred, Marocco and the moors (Lond. 1876); Derselbe, A visit to the court of M. (das. 1879); Pietsch, M., Briefe von der deutschen Gesandtschaftsreise nach Fes 1877 (Leipz. 1878); D. Hooker und J. ^[John] Ball, Journal of a tour in Marocco and the Great Atlas (Lond. 1879); v. Conring, M., das Land und die Leute (Berl. 1880); De Amicis, Marokko (deutsch, Wien 1883); Lenz, Timbuktu. Reise durch M. etc. (Leipz. 1884, 2 Bde.); Erckmann, Le Maroc moderne (Par. 1885); Mackenzie, Report on the condition of the empire of Marocco (Lond. 1886); Stutfield, El Maghreb (das. 1886); Horowitz, M., Land und Leute