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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Materiāl; Materĭale delicti; Materialismus; Materialist; Materialität; Materialĭter; Materialprüfung

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Material - Materialprüfung.

Materiāl (lat.), die zu einer Arbeit nötigen Stoffe und Hilfsmittel (Kriegs-, Bau-, Schreibmaterial); in der Technik die Substanz (Rohstoff), aus welcher eine andre hergestellt wird; auch Stoff (Notizen, vorhandene Litteratur) zu einer Schrift.

Materĭale delicti (lat.), s. Thatbestand.

Materialismus (lat.) wird sowohl in theoretischem als in praktischem Sinn gebraucht. In ersterm bezeichnet M. denjenigen metaphysischen Realismus (vgl. Metaphysik), welcher als letzte Grundlage der gesamten Erscheinungswelt die "Materie" (s. d.), sei es als kontinuierliche körperliche Masse (monistischer M.), sei es als Aggregat diskreter, durch leere Zwischenräume getrennter Körperteilchen (Korpuskel, Moleküle, Atome: atomistischer M.), betrachtet. Durch die materielle Beschaffenheit der realen Grundlage aller Erscheinungen ist der M. vom Spiritualismus und Dualismus, durch den Realismus vom Nihilismus und Idealismus, durch den Umstand, daß diese (materielle) Grundlage der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen selbst als solche (Materie, Atom) nicht sinnlich wahrgenommen wird, vom Positivismus und Empirismus (dem die sinnlichen Erscheinungen [Bewegungen ohne Bewegtes] für das letzte gelten) verschieden. Folgerichtig schließt der M. die Ewigkeit und Ungeschaffenheit seiner realen letzten Grundlage (Materie, Atome) ein und die qualitative Unterschiedenheit der geistigen (psychischen) von den körperlichen (physischen) Phänomenen (also auch die Existenz eines abgesonderten Seelenwesens) aus (Geist als Phänomen der Materie, Gehirnphänomen). Psychologie verwandelt sich in Physiologie und die gesetzliche Weltordnung in die ausschließliche Herrschaft der (physikalischen, chemischen und biologischen) Naturgesetze, mit welcher nicht nur die zwecksetzende und durchführende Thätigkeit einer von außen in den Gang der Naturordnung eingreifenden (transcendenten) oder den Dingen selbst innewohnenden (immanenten) Intelligenz (Teleologie), sondern nicht weniger die Freiheit und Selbständigkeit des menschlichen Willens (transcendentale Freiheit) unvereinbar ist. - Im praktischen Sinn bezeichnet M. diejenige moralische Denkungsart, welche den Wert (Unwert) des menschlichen Wollens und Handelns, dessen Erlaubtheit oder Unerlaubtheit, Sittlichkeit oder Unsittlichkeit lediglich von den Folgen desselben für den Wollenden und Handelnden in diesem Leben abhängig macht. Letzterer Umstand unterscheidet die "materialistische" von der "materialen" Ethik, welche zwar gleichfalls den Wert des Wollens und Thuns von den Folgen (statt, wie die "formale" Ethik [z. B. Kants], von der "gesetzlichen" oder [wie Herbart] von der "wohlgefälligen" Form) desselben abhängig macht, dieselben jedoch nicht auf dieses (irdische) Leben beschränkt, sondern (wie die indische, christliche, mohammedanische Ethik) ausdrücklich auf ein künftiges (Lohn und Strafe im Jenseits, das für den M. nicht existiert) Leben nach dem Tod ausdehnt. Der praktische M. ist daher nicht nur aus dem Grund verwerflich, weil er sich nicht durch die Vorstellung des unbedingten Werts oder Unwerts der Handlungsweise, sondern durch die Vorstellung der vorteilhaften oder nachteiligen Folgen derselben für die eigne Person (Hoffnung auf Belohnung, Furcht vor Strafe), und noch ganz besonders darum, weil er sich nur durch die Rücksichtnahme auf die materiellen Folgen (Vermehrung oder Verminderung des eignen physischen Wohlseins) bestimmen läßt. Der theoretische M., der als Ergebnis philosophischen Nachdenkens auftritt, kann sowenig als eine andre auf rein wissenschaftlichem Wege gewonnene Überzeugung einem andern als einem aus rein wissenschaftlichen Gründen abgeleiteten Tadel unterliegen. Derselbe ist die natürliche Folge des Vertrauens in die ausschließliche Geltung und Berechtigung der Erfahrung als Erkenntnisquelle, daher Epochen hervorragenden Aufschwungs der Erfahrungs- (insbesondere der Natur-) Wissenschaften (im 18. Jahrh. in Frankreich, in der Gegenwart in Deutschland) von einer entsprechenden Verbreitung des theoretischen M. begleitet zu sein pflegen. Da der theoretische M. durch seine Verneinung eines künftigen Lebens derjenigen Ethik, welche die Sittlichkeit durch die Aussicht auf Belohnung oder Bestrafung im Jenseits zu fördern sucht, den Boden entzieht, kann derselbe (aber er muß nicht) den praktischen M. im Gefolge haben. Da jedoch der sittliche Wert menschlichen Wollens nicht von den Folgen (weder in jenem noch in diesem Leben), sondern allein von der Erfüllung der Pflicht um der Pflicht willen abhängt, so müssen theoretischer M. und praktischer Idealismus einander nicht unbedingt ausschließen. - Was die Geschichte des theoretischen M. betrifft, so findet sich derselbe schon bei den Indern in dem atomistischen System der Waiseschika des Kânâdâ, in der Geschichte der griechischen Philosophie in den (gleichfalls) atomistischen Systemen des Leukippos und Demokritos, in dem durch Lukrez nach Rom verpflanzten Atomismus Epikurs und in der neuern Zeit bei dem Wiedererwecker desselben, Gassendi, bei dem Engländer Hobbes, bei den französischen Encyklopädisten (Diderot, Holbach, d'Alembert, Helvetius) und Ärzten (Cabanis), endlich nach dem Schiffbruch der Schellingschen Natur- und der spekulativen Philosophie bei deutschen Philosophen (Feuerbach, Strauß) und Naturforschern (Vogt, Moleschott). Die konsequentesten Darstellungen desselben haben im Altertum Lukrez, im 18. Jahrh. Holbachs (s. d.) "Système de la nature", die in der Gegenwart verbreitetste hat Louis Büchner ("Kraft und Stoff", Frankf. 1855; 15. Aufl., Leipz. 1883) geliefert. Der praktische M. ist als gemeine und niedrige Denkungsart zu allen Zeiten häufig gewesen und durch den oft und mit Recht beklagten ausschweifenden "Kultus der materiellen Interessen" nicht sowohl herbeigeführt, als dieser vielmehr umgekehrt durch denselben veranlaßt worden. Der theoretische M. ist von Theologen um seiner religiösen, von den Philosophen andrer Schulen hauptsächlich um seiner psychologischen Konsequenzen willen nicht immer wissenschaftlich kritisiert, der praktische M. von echten Moralphilosophen stets nach Gebühr verurteilt, dagegen von Weltleuten, Nationalökonomen und Interessenpolitikern oft höchst unverdienterweise gepriesen worden. Vgl. Lange, Geschichte des M. (neueste Ausg., Iserl. 1887); D. F. Strauß, Der alte und der neue Glaube (11. Aufl., Bonn 1881).

Materialist (lat.), Anhänger des Materialismus (s. d.); Detailhändler, Spezereihändler, welcher mit Materialwaren (s. d.) oder Spezereien handelt, auch s. v. w. Droguist (s. Droguen).

Materialität (lat.), Körperlichkeit, Stofflichkeit; das Bestehen aus bloßer Materie.

Materialĭter (lat.), dem Stoff nach, auf ihn bezüglich, Gegensatz von formaliter, der Form nach.

Materialprüfung, die Prüfung von Materialien verschiedener Art, bezweckt die Feststellung der Eigenschaften sowohl in qualitativer als quantitativer Beziehung, von welchen die Brauchbarkeit, Anwendbarkeit, Dauer und Haltbarkeit sowohl als der Gebrauchswert in gesundheitlicher und ökonomischer Hinsicht