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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Miniatur

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Miniatur.

Wien), eine lateinische Bibel von 540 in der Bibliotheca Laurentiana zu Florenz und eine fast 10 m lange, aus 15 Blättern zusammengeklebte Pergamentrolle mit Darstellungen der Thaten des Josua aus dem 7. Jahrh. in der vatikanischen Bibliothek zu Rom (s. Tafel "Ornamente II", Fig. 38 u. 39). Die spätern Arbeiten der byzantinischen Zeit sind oft schon sehr handwerksmäßig.

Eine eigentümliche, mit der historischen Entwickelung der Miniaturen im allgemeinen fast gar nicht im Zusammenhang stehende, aber vermutlich auf orientalischen Elementen beruhende Ornamentik bildete sich im 7. und 8. Jahrh. ganz selbständig in Irland aus. Die irischen Mönche blieben streng bei bedeutungslosen, eigentümlich geschwungenen Linien und behandelten in einzelnen Fällen selbst Tiere und Menschen rein ornamental. Diese Linienzüge sind oft mit erstaunlicher Sicherheit und großer Geschicklichkeit ausgeführt und reich mit lebhaften Farben geschmückt (s. Tafel "Ornamente II", Fig. 36 u. 37). Von Irland aus verbreitete sich diese Art durch die wandernden Mönche auch nach England und dem Festland, besonders nach der Schweiz und Norditalien, wo einzelne Mönche, z. B. in St. Gallen und Bobbio, später sehr berühmt gewordene Klöster gründeten. Bücher mit solchen irischen (oder angelsächsischen) Miniaturen befinden sich in mehreren größern Bibliotheken Englands, im Trinity College zu Dublin, in der Bibliothek zu St. Gallen, in der Dombibliothek zu Trier, in der Ambrosianischen Bibliothek zu Mailand etc. Im 8. Jahrh. rief der Bildungsdrang Kaiser Karls d. Gr. neues Leben hervor. Die byzantinische und die irische Kunst waren keiner weitern Entwickelung mehr fähig; aber sie waren der fruchtbare Boden, aus welchem eine neue Kunst erwuchs. Aus unbeholfenen Anfängen entwickelte sich in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden eine neue Art von M., welche am Ende des 14. Jahrh. zur höchsten Blüte gelangte. In der karolingischen Zeit setzte man die Initialen gern aus Tiergestalten zusammen (aus Fischen z. B. in Manuskripten zu Laon und Stuttgart). Die ersten wirklichen Bilder wurden nach byzantinischen Vorbildern gefertigt. Als das älteste Beispiel dieser Art gelten das sogen. Sakramentarium von Gellone und ein Evangelistarium von Godescul von 781, beide in Paris. Daran schließt sich eine Vulgata in Bamberg mit ziemlich rohen Darstellungen aus der Schöpfungsgeschichte. Seit dem 9. Jahrh. beginnt man in den Bildern die im Text erzählten Vorgänge darzustellen, anfangs in kleinen Bildchen innerhalb des Rahmens der Initialen, dann auch in größern Darstellungen. Besonders bemerkenswert ist die Wessobrunner Handschrift in München von 814, welche die Legende von der Auffindung des heiligen Kreuzes und das berühmte Gebet enthält. Dieser Handschrift sehr nahe stehen das Evangeliarium Kaiser Lothars von 840 und die Bibel Karls des Kahlen, beide in Paris. Nach dem Erlöschen des karolingischen Geschlechts geht die Pflege der Miniaturmalerei nach Deutschland über. Als das älteste Beispiel dieser deutschen Schule gilt die Evangelienharmonie des Mönchs Otfried von Weißenburg im Elsaß, zwischen 865 und 889 geschrieben, jetzt in Wien. Daran schließen sich mehrere Handschriften in St. Gallen und ein Missale in Bamberg. Zur Zeit des Kaisers Otto II., der mit einer griechischen Prinzessin verheiratet war, bemühte man sich wieder, die byzantinische Malerei nachzuahmen. Mehrere Manuskripte, Geschenke des Kaisers an verschiedene Klöster, jetzt in Gotha, Paris, Trier, Hildesheim, sind Belege dafür. Besonders charakteristisch für diese Art sind die Bücher, welche Kaiser Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde für das Domstift Bamberg anfertigen ließen (jetzt meist in München). Von der byzantinischen Miniaturmalerei wurde auch die russische beeinflußt (s. Tafel "Ornamente II", Fig. 18 u. 19). In der Mitte des 12. Jahrh. beginnt dann die Bildung eines selbständigen germanischen Stils. Von jetzt an gibt auch nicht mehr die Heilige Schrift allein den Malern Stoff zu ihren Darstellungen, sondern poetische Erzählungen, Heldengedichte, Tiersagen und Minnelieder eröffnen den Künstlern eine ganz neue Welt, und wie die Dichter jener Zeit, so stellen auch die Maler Gebilde des strengsten Ernstes und des heitersten Lebensgenusses, Darstellungen aus dem unmittelbaren Leben der Gegenwart und Spiele der üppigsten Phantasie dicht nebeneinander. Die Kunst ist jetzt auch nicht mehr ausschließliches Eigentum der Geistlichen. Der byzantinische Typus macht einem echt deutschen Platz. Charakteristisch sind sehr starke Umrißlinien. Reich und schön entwickeln sich die Initialen, deren Motive der Pflanzen- und Tierwelt entlehnt werden, oft auch in unmittelbarer Beziehung zum Text stehen. Eine der wichtigsten Handschriften dieser Zeit ist der zwischen 1159 und 1175 geschriebene "Hortus deliciarum" der Herrad von Landsberg, Äbtissin des Klosters auf dem Ottilienberg im Elsaß (bei dem Brande der Bibliothek in Straßburg 1870 untergegangen). Ferner gehören dahin ein Evangeliarium in Karlsruhe, die "Eneide" Heinrichs von Veldeke in Berlin, das Leben der Maria von Werinher von Tegernsee in Berlin, ein Evangeliarium von 1194 in Wolfenbüttel, ein Psalterium (zwischen 1193 und 1216) in Stuttgart, ein Evangeliarium vom Ende des 12. Jahrh. in Trier u. a. In der ersten Periode der Gotik bestehen die Miniaturen meist nur in Federzeichnungen, welche mit ungebrochenen Farben ausgefüllt sind. Das Streben nach Zierlichkeit und Anmut führte zu eigentümlich gewundenen Stellungen und Verdrehungen des menschlichen Körpers. Im Ornament sind die gotischen Formen vorherrschend. In diese Zeit gehören: eine Handschrift des "Parzival" von Wolfram von Eschenbach in München, der Weingartner Minnesingerkodex in Stuttgart, eine Handschrift des "Wilhelm von Orange" von Wolfram von Eschenbach von 1334 in Kassel und von französischen Arbeiten der Psalter Ludwigs IX. aus dem 13. Jahrh. in Paris. In der zweiten Periode des gotischen Stils tritt an die Stelle der kolorierten Federzeichnung die selbständige Malerei mit dem Pinsel. Die Formen sind jetzt richtiger aufgefaßt und mit dem Streben nach plastischer Wirkung dargestellt. Hände und Köpfe sind sorgsamer nach der Natur beobachtet, letztere haben oft einen sehr anziehenden Ausdruck der Innigkeit und Milde. Die Figuren, welche von geringer Kenntnis des menschlichen Körpers zeugen, und deren Proportionen fehlerhaft sind, leiden an übertriebener Magerkeit. Die Falten sind fließend, die hellsten Stellen der Kleider etc. werden oft durch feine Goldschraffierung bezeichnet; den Hintergrund bilden nicht selten Architekturen oder Landschaften (s. Tafel "Ornamente II", Fig. 40-46). In dieser Zeit ließen besonders die französischen und burgundischen Fürsten der Kalligraphie und Buchmalerei ihre Pflege angedeihen; Werke aus dieser Periode sind nicht selten. Beispiele sind: eine Übersetzung des Livius um 1350 in Paris, "Le livre des merveilles du monde" (Reisen des Marco Polo) ebendaselbst, das Gebetbuch der Margareta von Bayern im Britischen Museum, das Jagdbuch des Grafen