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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Müller

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Müller (Geschichtschreiber, Altertumsforscher).

ter Auflage 1806; dann Bd. 1-5, das. 1826). In Mainz wirkte M. eifrig für die Idee des Fürstenbundes durch die Abhandlungen: "Zweierlei Freiheit" ("Deutsches Museum" 1786), "Darstellung des deutschen Fürstenbundes" (Leipz. 1787) und "Erwartungen Deutschlands vom Fürstenbund". 1787 wurde er vom Kurfürsten mit einer Mission nach Rom betraut, um dort für Dalbergs Wahl zum Koadjutor zu wirken. 1788 zum Geheimen Legationsrat, dann zum Geheimen Konferenzrat, endlich zum Wirklichen Geheimen Staatsrat ernannt, wurde er 1791 vom Kaiser als Johannes, Edler von M. zu Sylvelden, zum Reichsritter erhoben. Nach der Einnahme von Mainz durch die Franzosen im Oktober 1792 siedelte er nach Wien über, wo er zu Anfang des Jahrs 1793 als Wirklicher Hofrat bei der Geheimen Hof- und Staatskanzlei angestellt wurde. In österreichischem Interesse verfaßte er hier 1795 die Flugschriften: "Die Übereilungen und der Reichsfriede", "Die Gefahren der Zeit", "Mantua und die Ausbeute von Borgoforte" und "Das sicherste Mittel zum Frieden", Meisterstücke politischer Beredsamkeit. Als Protestant jedoch ohne Aussicht auf höhere Stellen im Staatsdienst, ja vielfach angefeindet und durch betrügerische kaufmännische Machinationen um den größten Teil seines Vermögens gebracht, befand er sich in Wien in wenig glücklicher Lage und begab sich daher 1804 nach Berlin, wo er zum ordentlichen Mitglied der Akademie und zum Historiographen des hohenzollerischen Hauses mit dem Titel eines Geheimen Kriegsrats ernannt wurde. Jetzt sollte eine Hauptaufgabe seiner geschichtlichen Forschung die Lebensbeschreibung des Großen Königs werden. Außer den dieselbe betreffenden Abhandlungen, welche er für die Akademie abfaßte, schrieb M. damals die Essays: "Über den Untergang der Freiheit der alten Völker" und "Über die Zeitrechnungen der Vorwelt"; daneben beteiligte er sich an der Herausgabe der Werke Herders (mit Heyne, J. G. ^[Johann Georg] Müller, W. G. und Karoline v. Herder) und lieferte für dieselbe eine historische Abhandlung über den "Cid" und wertvolle Anmerkungen zu "Persepolis". Er blieb 1806 in Berlin, auch als die Franzosen hier einrückten. Napoleon I. berief ihn zu einer Unterredung und nahm ihn (nach Müllers eignem Ausdruck) durch "sein Genie und seine unbefangene Güte" völlig gefangen. M. trat daher auch auf Wunsch des Kaisers, der ihn nach Fontainebleau berief, als Staatssekretär in das Ministerium des neuen Königreichs Westfalen; 20. Dez. 1807 traf er in Kassel ein. Auf sein dringendes Ersuchen entband ihn ein Dekret König Jérômes bereits 21. Jan. 1808 des Staatssekretariats und übertrug ihm das Amt eines Generaldirektors des öffentlichen Unterrichtswesens. Auch die nunmehr ihm obliegende Thätigkeit befriedigte M. nicht. Die tiefe Entsittlichung des ihn umgebenden französischen Treibens, die Unmöglichkeit, der Ausführung seiner wissenschaftlichen Pläne nach Wunsch zu leben, die Zerrüttung seiner Vermögensverhältnisse, dazu die allmählich ihm physisch fühlbar werdenden Folgen geistiger Überanstrengung erfüllten sein Gemüt mit Gram und Verdüsterung. Er starb 29. Mai 1809 in Kassel. Seine dortige Grabstätte ward 1852 durch den König Ludwig von Bayern mit einem Denkmal geschmückt, welches die Inschrift trägt: "Was Thukydides Hellas, Tacitus Rom, das war M. seinem Vaterland". Auch in seiner Vaterstadt wurde ihm 1851 ein von Öchslin gefertigtes Monument errichtet. Begabt mit wunderbar rascher Auffassungsgabe, hatte sich M., mit dem leichten Erfassen des Stoffes gründlichste Durchdringung desselben verbindend, eine unermeßliche Fülle geschichtlichen Wissens zu eigen gemacht. Um eine Geschichte der Welt zu schreiben, hatte er seit 1781 nicht weniger als 1833 Quellenschriftsteller bis auf die Reformation auf 17,000 eng geschriebenen Folioseiten exzerpiert. Die Gabe, anschaulich zu schildern, deutlich und plastisch zu gruppieren, war ihm in hohem Maß eigen. Doch leidet sein Stil mitunter an Manieriertheit. Die harten Urteile über M., namentlich über seinen allerdings bedauerlichen Anschluß an Napoleon, sind ungegerecht ^[richtig: ungerecht]. M. war für eine über den Nationen stehende Humanität begeistert und hielt Napoleon irrtümlich für ein Werkzeug derselben, wie ja auch andre Zeitgenossen. Verheiratet war er nie, innige Liebe verband ihn unter allen seinen Freunden am meisten mit seinem Bruder Johann Georg M. (geb. 1759 zu Schaffhausen, gestorben als Oberschulherr und Professor daselbst 1819). Müllers Werke erschienen gesammelt zuerst in 27 Bänden (Tübing. 1800-1817), dann, herausgegeben von seinem eben genannten Bruder, in 40 Bänden (Stuttg. 1831-35). Seine "Schweizergeschichte", das Werk, in welchem des Historikers M. große Eigenschaften sich am glänzendsten entfalten, wurde fortgesetzt von R. Glutz-Blotzheim (Bd. 5, 2. Abt., Zürich 1816), dann von J. J. ^[Johann Jakob] Hottinger (Bd. 6 u. 7, das. 1825-29); ferner von J. ^[richtig: L. für Louis] Vulliemin (Bd. 8-10, das. 1842-45) und von C. Monnard (Bd. 11-15, das. 1847-53). Über Müllers Leben vgl. außer den Briefen Müllers an Bonstetten (hrsg. 1809) die "Briefe Müllers an seinen ältesten Freund" (hrsg. von Füßli, Zür. 1812); Wachler, J. v. M., eine Gedächtnisrede (Marb. 1809); v. Woltmann, J. v. M., mit Müllers Briefen an Woltmann (Berl. 1811); Heeren, J. v. M., der Historiker (Leipz. 1820); Döring, Leben J. v. Müllers (Zeitz 1835); Monnard, Biographie de Jean de Muller (Par. 1839); Thiersch, Über J. v. M. (Augsb. 1881).

3) Peter Erasmus, dän. Theolog und nordischer Altertumsforscher, geb. 29. Mai 1776 zu Kopenhagen, studierte daselbst Theologie und erhielt, nachdem er Deutschland, Frankreich und England bereist hatte, 1801 die Professur der Theologie an der Universität seiner Vaterstadt. Er redigierte 26 Jahre lang die "Kjöbenhavnske lærde Efterretninger" (1801-1810) und deren Fortsetzung "Dansk Litteraturtidende" (1811-30). Im J. 1830 zum Bischof von Seeland und zum Ordensbischof ernannt, starb er 4. Sept. 1834. Von seinen theologischen Schriften sind seine "Moral" (Kopenh. 1808), "Christliche Apologetik" (1810), "Symbolik" (1817) und "Dogmatik" (1826) hervorzuheben. Als Altertumsforscher machte er sich bekannt unter andern durch folgende Schriften: "Antiquarisk Undersögelse over de ved Gallehus fundne Guldhorn" (Kopenh. 1806); "Om det islandske Sprogs Vigtighed" (das. 1813); "Über den Ursprung und Verfall der isländischen Historiographie" (das. 1813) und "Über die Authentie der Edda Snorros und die Echtheit der Asalehre" (das. 1811), beide deutsch von Sander; "Sagabibliothek" (das. 1816-19, 3 Bde.; 1. Bd. deutsch von Lachmann, Berl. 1816; 2. Bd. von Lange, Frankf. a. M. 1832), eine kritische Darstellung der gesamten Sagalitteratur; "Kritisk Undersögelse af Danmarks og Norges Sagnhistorie" (Kopenh. 1823-30, 2 Bde.); "Kritisk Undersögelse af Saxo's Historiens syv sidste Böger" und seine Ausgabe von "Saxonis Grammatici historia danica" (1. Bd., das. 1839; fortgesetzt von Velschow, das. 1839-58). Von Wert ist auch seine "Dansk Synonymik" (Kopenh. 1829, 2 Bde.; 3. umgearb. Aufl. von Dahl, 1872).