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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Musik

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Musik (17. u. 18. Jahrhundert).

den damals berühmtesten Komponisten Keiser, Mattheson, Telemann, ja sogar von Händel in M. gesetzt, teilweise auch von Seb. Bach (für seine "Johannes-Passion") benutzt worden ist, liegt hauptsächlich in der Gruppierung des Stoffes: den Szenen der biblischen Geschichte sind die Betrachtungen einer idealen Gemeinde gegenübergestellt, und zu diesen beiden Gruppen gesellt sich noch als dritte die wirkliche Gemeinde, vertreten durch den protestantischen Choral. Damit war die dichterische Form der Passion endgültig festgestellt, und indem diese Form durch Seb. Bachs (1685-1750) musikalischen Riesengeist belebt wurde, erhob sich die Passion zu einer künstlerischen Höhe, welche von keiner spätern Zeit wieder erreicht, geschweige übertroffen wurde. Der andre Zweig der geistlich-dramatischen M. aber, das Oratorium, gelangte um dieselbe Zeit durch Georg Friedr. Händel (1685-1759) zu der gleichen bis heute unübertroffenen Stufe der Vollendung: drei Jahre nach der ersten Aufführung der Bachschen "Matthäus-Passion" zu Leipzig (1729) trat Händel in London mit seinem ersten Werk dieser Gattung: "Esther", vor die Öffentlichkeit und dies mit solchem Erfolg, daß er sich einige Jahre später von der Oper, für die er bis dahin vorwiegend thätig gewesen, völlig zurückzog, um seine ganze Kraft dem Oratorium zu widmen.

Wenden wir uns nun zur Oper zurück, so sehen wir dieselbe schon zu Lebzeiten Monteverdes ihren Einfluß auch außerhalb Italiens geltend machen; zuerst in Deutschland, wo schon 1627 zu Torgau, bei Gelegenheit der Vermählung der Tochter des Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen, die erste Opernaufführung stattfand. Man hatte für diese Veranlassung die früher genannte "Euridice" von Rinuccini und Peri gewählt, welche von Opitz ins Deutsche übersetzt und, da Peris M. zu dieser Bearbeitung nicht mehr paßte, von Schütz mit neuer M. versehen war. Über den Erfolg dieses Versuchs ist indessen nichts bekannt geworden; er mußte auch schon deshalb ohne künstlerische Nachwirkung bleiben, weil die zunehmenden Wirren des Dreißigjährigen Kriegs die Pflege der Kunst in Deutschland überhaupt unmöglich machten. Unter weit günstigern Bedingungen hielt die Oper ihren Einzug in Frankreich, denn zu der Zeit, wo auf Veranlassung des Kardinals Mazarin die erste italienische Operntruppe in Paris erschien (1645), war die Epoche politischer und religiöser Unruhen längst abgeschlossen, und es hatten sich neben dem materiellen Wohlstand die künstlerischen Triebe der Nation frei entfalten können. Die Teilnahme, mit welcher hier die Oper aufgenommen wurde, war selbstverständlich eine lebhafte. Da jedoch der Geschmack des Publikums für dramatische Darstellungen durch Männer wie Corneille und Molière bereits in hohem Grad verfeinert war und die italienische Oper hinsichts des Textes demselben nicht zu genügen vermochte, so that sich bald das Bestreben kund, sie dem nationalen Kunstempfinden entsprechend um- und auszubilden. Allerdings hielten die tonangebenden Dichter, an ihrer Spitze Boileau, die französische Sprache für ungeeignet, sich im Drama mit der M. zu verbinden, doch ließen sich der Abbé Perrin und der damals angesehenste Komponist Frankreichs, Robert Cambert, dadurch nicht abschrecken, den Versuch zu wagen, und traten 1659 mit einem Singspiel: "Pastorale, première comédie française en musique", hervor, welches durch die ihm zu teil gewordene günstige Aufnahme die Vorurteile der Dichter gründlich widerlegte. Nun ruhte Perrin nicht eher, als bis er vom König ein Privilegium erhalten hatte, Opernakademien nach Art der italienischen zu veranstalten, und 1671 konnte das erste Pariser Opernhaus mit der von den beiden Genannten verfaßten "Pomona" eröffnet werden. Mittlerweile aber war dem jungen Unternehmen ein gefährlicher Gegner herangewachsen: der Florentiner Lully (1633-87), welcher erst als Violinist, dann als Komponist, endlich auch als Schauspieler sich mehr und mehr bei Ludwig XIV. in Gunst gesetzt hatte und, auf den Erfolg der "Pomona" eifersüchtig, schon im nächsten Jahr das Perrin erteilte Privilegium an sich zu bringen wußte. Damit wurde er der unumschränkte Beherrscher des gesamten französischen Opernwesens, und er war es auch, welcher der französischen sogen. großen Oper die bis auf die Gegenwart für sie charakteristisch gebliebene Form gab. Dabei ist zu bemerken, daß die Wirkung seiner Opern, die sich noch fast ein Jahrhundert nach seinem Tod bis zum Auftreten Glucks (1774) auf dem Repertoire erhielten, weniger seiner musikalischen Begabung zuzuschreiben ist als vielmehr seiner Fähigkeit, durch geschickte Benutzung aller künstlerischen Darstellungsmittel die Vorstellung zu verwirklichen, welche man sich in Frankreich vom antiken Drama gebildet hatte. Einen wesentlichen Anteil an Lullys Erfolgen hatte demnach auch sein Dichter Ph. Quinault, dessen Texte sich streng an das antike Muster anschließen und übrigens an poetischem Werte den gleichzeitigen Arbeiten der italienischen Operntextdichter weit überlegen sind. Die musikalische Richtung Lullys auf ausdrucksvolle Rhythmik und wortgetreue Deklamation verfolgte auch J. ^[Jean] Philippe Rameau (1683-1764), der einzige, dessen Werke sich während des erwähnten langen Zeitraums neben denen Lullys an der Großen Oper behaupten konnten. Dabei aber zeigte seine M. einen ungleich größern melodischen und harmonischen Reichtum, was sich schon dadurch erklärt, daß er mit seiner Thätigkeit als Opernkomponist eine nicht minder erfolgreiche als Organist und Theoretiker verband. In letzterer Eigenschaft wurde er der Begründer des noch heute gültigen Harmoniesystems, nach welchem der Dreiklang die Grundlage aller harmonischen Verbindungen bildet, und er war es auch, der mit seiner Schrift "Génération harmonique" (1737) die schon ein Jahrzehnt zuvor durch J. S. Bach in seinem "Wohltemperierten Klavier" praktisch demonstrierte gleichschwebende Temperatur, d. h. Einteilung der Oktave in zwölf gleichgroße Halbtöne, zur allgemeinen Anerkennung brachte. Verfolgen wir endlich die französische große Oper bis zum Höhepunkt ihrer Entwickelung, so treffen wir auf das Musikdrama von Christoph Wilibald Gluck (1714-87), der, von deutschem Ernst erfüllt und in der italienischen Schule gebildet, dennoch in Paris den einzig geeigneten Boden zur Ausführung seiner Reformen finden konnte und hier den in seiner Vorrede zur Oper "Alceste" ausgesprochenen, wieder im wesentlichen denen Lullys folgenden Kunstprinzipien ungeachtet heftiger Opposition durch seine 1774 zum erstenmal aufgeführte "Iphigenia in Aulis" zu entscheidendem Sieg verhalf.

Wiewohl Frankreich schon seit Mitte des 17. Jahrh. Italien den Rang der künstlerisch tonangebenden Nation streitig gemacht hatte, so konnte das letztere Land auf musikalischem Gebiet zu dieser Zeit noch keineswegs für geschlagen gelten; vielmehr gewinnt gerade im 18. Jahrh. die italienische Oper eine das gesamte Musikwesen dominierende Stellung. Dies-^[folgende Seite]