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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Musik

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Musik (18. Jahrhundert).

mal geht die Bewegung weder von Rom, noch von Florenz, noch auch von Venedig aus, sondern von Neapel, wo Alessandro Scarlatti (gest. 1725) eine Schule gegründet hatte, deren Jünger, ähnlich wie im 15. und 16. Jahrh. die Niederländer, bald in allen Hauptstädten Europas zu den höchsten musikalischen Ehrenstellen gelangten. A. Scarlatti, in der römischen Schule des Carissimi gebildet, leistete gleich Bedeutendes im kirchlichen wie im dramatischen Stil, endlich auch im Kammerstil, einer durch Carissimi vervollkommten Kunstgattung, welche, frei vom Zwang sowohl des kirchlichen Ritus als der theatralischen Szenerie, der Tonkunst als solcher zu weit reicherer Entfaltung Gelegenheit gab, als es in den übrigen Stilen möglich war. Überdies war er ein trefflicher Dirigent, Sänger und selbst Klavierspieler, wenn auch in letzterer Eigenschaft von seinem Sohn Domenico Scarlatti übertroffen. Dieser Vielseitigkeit des Meisters entsprechend, hat auch die durch seine Schüler Francesco Durante (gest. 1755) und Leonardo Leo (gest. 1756) völlig ausgebildete neapolitanische Schule die M. auf allen ihren Gebieten gefördert; hauptsächlich freilich auf dem der Oper, welche schon A. Scarlatti durch geschickte Darstellung des Komischen und Charakteristischen mit rein musikalischen Mitteln wesentlich bereichert hatte. Weiter führte die Richtung der Neapolitaner - deren Stil man den "schönen" nannte, im Gegensatz zu dem "erhabenen" der römischen Schule (dem sogen. Palestrina-Stil) - zu jener hohen Blüte des Kunstgesanges und des Instrumentalvirtuosentums, welche für die M. des 18. Jahrh. charakteristisch wurde. Aus der zu Bologna von Pistocchi 1700 gegründeten Gesangschule gingen ein Senesino (Francesco Bernardo), eine Cuzzoni und Faustina Hasse hervor, deren Leistungen das Publikum in so hohem Grad fesselten, daß die der Komponisten, selbst der besten, daneben verhältnismäßig unbeachtet blieben. Wenn unter solchen Umständen die Opera seria mehr und mehr im Formenwesen erstarrte, die Kirchenmusik aber ungeachtet der Bemühungen einzelner Neapolitaner, wie Pergolese (gest. 1736), Jomelli (gest. 1774), sowie der in der ersten Hälfte des Jahrhunderts wirkenden Venezianer Lotti, Caldara und Marcello in der Berührung mit der Oper zusehends verflachte, so erschloß sich den ernster strebenden Musikern ein neues Feld ihrer Thätigkeit in der Instrumentalmusik. Das Orgelspiel, schon seiner Beziehungen zur Kirche wegen weit früher als die übrigen Instrumente zu höhern Kunstzwecken verwendet und bereits Anfang des 17. Jahrh. durch den römischen Organisten Frescobaldi in umfassender Weise vervollkommt, erreicht den Höhepunkt seiner Ausbildung in Deutschland, wo der Hallesche Organist Samuel Scheidt (gest. 1654) die Reihe berühmter Organisten eröffnet, in welcher Namen wie Froberger, Pachelbel, Buxtehude, endlich Sebastian Bach als Glanzpunkte erscheinen. Nicht minder eifrig wird das Klavierspiel gepflegt, wenn auch anfänglich mehr zum Unterricht als zum Zweck der Virtuosität. Zwar diente das Klavier schon im 17. Jahrh. den englischen Organisten der Königin Elisabeth, Bird, Morley u. a., unter dem Namen Virginal sowie den französischen Organisten Marchand und Couperin unter dem Namen Clavecin als Soloinstrument; seine eigentliche Bedeutung als solches aber dankt es der um 1710 gemachten Erfindung des Paduaners Cristofori, die Tasten am obern Ende mit Hämmern zu versehen, welche, verbunden mit einem Dämpfungsmechanismus, dem Spieler gestatteten, leise und stark (piano und forte) zu spielen. Das so konstruierte Instrument, Pianoforte genannt, verdrängte bald die ältern Arten des Klaviers, deren Saiten, durch Metallstifte angeschlagen oder durch Rabenfederkiele gerissen, nur in einerlei Stärke erklingen konnten, und wurde, nachdem bald darauf durch Domenico Scarlatti (gest. 1757) und Philipp Emanuel Bach (gest. 1788) der Übergang zur Technik des modernen Klavierspiels vermittelt war, unter den Händen eines Mozart und Beethoven zum geeignetsten Ausdrucksorgan der tondichterischen Phantasie, bereit, dem Flug derselben überallhin zu folgen (vgl. Klavier). Von den übrigen Instrumenten machten namentlich die Streichinstrumente während des 17. und 18. Jahrh. überraschende Fortschritte. Von den zwei Hauptgattungen derselben, der Arm- und Kniegeige (viola da braccio und viola da gamba) mit ihren zahlreichen Unterarten, sonderten sich vier aus, die noch heute gebräuchlichen: Violine, Bratsche, Violoncello und Kontrabaß, und von diesen fand wiederum die erstere eine so liebevolle Pflege, daß sie bald zur Königin der Orchesterinstrumente wurde. In den italienischen Violinschulen des Corelli (Rom) und Vivaldi (Venedig) erreichte während der ersten Hälfte des Jahrhunderts nicht nur die Technik des Violinspiels eine außerordentliche Höhe, sondern es dankt ihnen auch die Tonkunst eine wichtige Bereicherung durch neue Formen, wie z. B. in dem durch Vivaldi ausgebildeten dreisätzigen Konzert die für die cyklischen Werke der modernen Instrumentalmusik maßgebende Sonatenform bereits festgestellt ist. Und hier darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Kunst des Geigenbaues ebenfalls in Italien, besonders in Cremona, durch geschickte, ja geniale Meister, wie die Mitglieder der Familie Amati (deren Stammvater Andreas schon 1546 erscheint), der Guarneri, endlich um 1700 A. Stradivari, zur höchsten Blüte gelangt war, derart, daß ihre Erzeugnisse noch heute als unübertrefflich anerkannt sind.

Wie im 17. Jahrh., so übten auch jetzt die musikalischen Errungenschaften Italiens einen unmittelbaren Einfluß auf das Musikleben ganz Europas. Keine derselben aber wirkte in gleichem Maß anregend wie die von den Neapolitanern ausgebildete Opera buffa, und namentlich war es Frankreich, welches dieselbe mit Freude und Begeisterung aufnahm, da hier die während der ersten Hälfte des Jahrhunderts zur Herrschaft gelangte sogen. Aufklärungsphilosophie der für die Formen des Lebens wie der Kunst eingetretenen Erstarrung den Krieg erklärt und die Rückkehr zum Natürlichen als einzig wünschenswert bezeichnet hatte. Allerdings fand die erste in Paris gastierende Opera buffa (1752) neben dem enthusiastischen Beifall der Fortschrittspartei einen nicht minder energischen Widerstand auf seiten der Konservativen und mußte sogar vor den Kabalen der letztern schon nach zwei Jahren das Feld räumen; jedoch sollte das von den Italienern gegebene Beispiel unmittelbar die reichsten Früchte tragen, indem es die Thätigkeit der französischen Dichter und Musiker zu demjenigen Gebiet der dramatischen Kunst hinleitete, auf welchem Frankreich zu herrschen berufen war und in der That nach kurzem die erste Stellung errang: die komische Oper. Nachdem man durch Übersetzung der von den Buffonisten hinterlassenen Texte, vor allen der "Serva padrona" (M. von Pergolese), den ersten Schritt zur nationalen Umbildung dieser Kunstgattung gethan, traten die angesehensten Dichter Frankreichs, Sedaine,