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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Musik

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Musik (18. u. 19. Jahrhundert).

etwas auch nur annähernd Ähnliches aufzuweisen hat. Indem hier die M. eine Sprache redet, die mit ihrer freien und kühnen Gesetzmäßigkeit uns mächtiger als alle Logik dünken muß, während doch das vernunftgemäße, am Leitfaden von Grund und Folge sich bewegende Denken hier gar keinen Anhalt findet, muß uns Beethovens Symphonie geradeswegs als eine Offenbarung aus einer andern Welt erscheinen."

Wie nach jeder schöpferisch reichen Kunstepoche sich das Bestreben zeigt, das in der Praxis Errungene auch theoretisch zu rechtfertigen und zu befestigen, so folgte auch dem Aufschwung der dramatischen und der Instrumentalmusik eine rege Thätigkeit seitens der Theoretiker. Während die großen Tonlehrer der frühern Epoche, der schon genannte Venezianer Zarlino und der als Kapellmeister in Bologna 1678 gestorbene Bononcini, die polyphone Gesangsmusik zur Grundlage des Kompositionsstudiums gemacht hatten, nehmen die Methoden Rameaus und J. S. Bachs ihren Ausgangspunkt von den Klaviaturinstrumenten. Die Harmonie, der Akkord, ist nach ihrer Auffassung nicht mehr das zufällige Ergebnis des Zusammenerklingens zweier oder mehrerer Melodien, sondern die notwendige, durch die Natur gegebene Ergänzung jeder einzelnen Tonreihe, wie dies Rameau an den zu jedem Ton miterklingenden Obertönen (am deutlichsten die Oktave, Quinte und Terz), der Violinist Tartini in seinem 1754 erschienenen "Trattato di musica" an dem sogen. Kombinationston, d. h. einem zu zwei höhern Tönen mitklingenden tiefern Ton, nachzuweisen suchten. Die so begründete harmonische Vervollständigung der Melodie darzustellen, war die Aufgabe des Generalbasses, und da der ihn ausführende Künstler sich keineswegs darauf beschränkte, die bloßen durch die Ziffern angezeigten Akkorde hören zu lassen, sondern die melodischen Motive auch in der Begleitung kunstgemäß zu verwerten hatte, so wurde die Kunst des Generalbaßspielens nach und nach zum Inbegriff alles dessen, was zur Technik der Tonsetzkunst gehörte. In dieser Bedeutung erscheint sie in dem 1711 veröffentlichten Werk des Dresdener Kapellmeisters J. D. ^[Johann David] Heinichen: "Der Generalbaß in der Komposition", wie auch in den von J. S. Bach hinterlassenen "Vorschriften und Grundsätze zum vierstimmigen Spielen des Generalbaß oder Akkompagnement"; und wenn auch Fux in seinem "Gradus ad Parnassum" (1725) und später der Bologneser Giambattista Martini in seinem "Saggio di contrappunto" (1774) auf die ältere Methode zurückgingen, so behauptete sich doch die auf den Generalbaß gegründete Lehre, namentlich seitdem sie durch die Berliner Theoretiker Kirnberger ("Kunst des reinen Satzes", 1774) und Marpurg ("Abhandlung von der Fuge", 1753) vervollständigt war, für die Folgezeit als die herrschende. Zur Verdrängung der ältern Lehre wirkte noch der Umstand mit, daß die durch Ausbildung des Einzelgesanges und dessen Begleitung veränderte Stellung und wesentliche Bereicherung der Harmonie eine Vereinfachung des Tonsystems zur notwendigen Folge gehabt hatte. Um das auf harmonischem Gebiet Errungene, um die besonders nach Einführung der gleichschwebenden Temperatur gewonnene unbeschränkte Freiheit im Modulieren völlig zu genießen, verzichtete man auf die melodische Mannigfaltigkeit der Kirchentonarten und begnügte sich von nun an mit zwei Tonarten: die Oktavengattungen mit großer Terz wurden auf die ionische, die mit kleiner Terz auf die äolische zurückgeführt, und damit war das bis zur Gegenwart herrschend gebliebene Dur- und Mollsystem endgültig angenommen.

Zu diesen Fortschritten kommt noch der für die M. des 18. Jahrh. charakteristische Aufschwung der Musikwissenschaft. Die Geschichte der M., von frühern Schriftstellern nur gelegentlich berührt und meist in phantastischer Weise behandelt (wie z. B. in der 1650 zu Rom erschienenen "Musurgia universalis" des Jesuiten Athanasius Kircher), wird ein Gegenstand systematischen Studiums. Als einer der ersten namhaften Musikhistoriker erscheint in Deutschland der Sorauer Kantor Printz mit seiner 1690 veröffentlichten "Historischen Beschreibung der edeln Sing- und Klingkunst"; ihm folgen Marpurg ("Historisch-kritische Beiträge", 1754-60), J. A. ^[Johann Adam] Hiller ("Lebensbeschreibungen berühmter Tonkünstler", 1784) und Forkel ("Geschichte der M.", 1788-1801, und "Allgemeine Litteratur der M.", 1792). In Italien wirken auf demselben Gebiet und mit gleichem Erfolg der oben genannte Padre Martini ("Storia della musica", 1775-81) und Arteaga ("Le revoluzioni del teatro musicale italiano", 1785); in Frankreich Burette, der erste glückliche Entzifferer der in der Renaissancezeit aufgefundenen, damals noch unverständlich gebliebenen Fragmente altgriechischer M., und de la Borde ("Essai sur la musique ancienne et moderne", 1780); in England Burney ("A general history of music", 1776-89) und Hawkins ("A general history of the science and practice of music", 1776). Als zuverlässige Hilfsmittel bieten sich den Historikern dieser Zeit die mit Gründlichkeit und Sachkenntnis redigierten Sammelwerke von Meibom ("Antiquae musicae auctores septem", 1652) und vom Fürstabt Gerbert ("Scriptores ecclesiastici", 1784), erstere die wichtigsten Musikschriftsteller des Altertums, letztere die des Mittelalters reproduzierend; ferner die Arbeiten der Lexikographen, unter denen Brossard ("Dictionnaire de musique", 1703) und J. J. Rousseau ("Dictionnaire de musique", 1768) in Frankreich, J. G. ^[Johann Gottfried] Walther ("Musikalisches Lexikon", 1732) und Gerber ("Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler", 1792) in Deutschland hervorragen. Ferner ist noch der Akustik zu gedenken, welche im Lauf des 18. Jahrh. durch den Franzosen Sauveur ("Système général des intervalles des sons", 1701), der auch die Bezeichnung "Akustik" für die Lehre vom Schall einführte, sowie in Deutschland durch Euler ("Dissertatio de sono", 1727) und Chladni ("Entdeckungen über die Theorie des Klanges", 1787) in erfolgreicher Weise ausgebildet wurde. Die Anwendung der 1750 von A. G. Baumgarten unter dem Namen Ästhetik ausgebildeten Wissenschaft vom Sinnlich-Schönen auf das musikalische Kunstwerk endlich versuchte zum erstenmal der Dichter-Komponist Daniel Schubart in seinen nach seinem Tod veröffentlichen "Ideen zur Ästhetik der Tonkunst" (1806).

IV. Die Musik im 19. Jahrhundert.

Forschen wir nun nach der musikalischen Signatur des 19. Jahrh., so erscheint dieselbe wesentlich bestimmt durch die von den sogen. Wiener Meistern Haydn, Mozart und Beethoven zur selbständigen Macht erhobene Instrumentalmusik. Begreiflicherweise übte dieselbe ihren Einfluß vorwiegend in Deutschland, wo die Pflege des Gesanges nicht nur von vornherein durch natürliche (unter andern klimatische) Verhältnisse, sondern auch durch Nebenumstände, namentlich durch die verzögerte Ausbildung der Sprache, erschwert war. Gleichwohl fanden die zu Anfang des Jahrhunderts hier auftretenden Komponisten ihren