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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Napoleon

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Napoleon (N. I.: 1808-1815).

Verwandten. Durch das Ungeheure, Ungewohnte seines Unternehmens, eines Zugs gegen Rußland, für den er in Frankreich neue Aushebungen veranstaltete, die Vasallenheere aufbot und Österreich sowie Preußen zur Stellung von Hilfstruppen zwang, gedachte N. seinen Gegner einzuschüchtern und zur Unterwerfung zu zwingen. Mit 450,000 Mann, der Großen Armee, überschritt er 24. Juni 1812 den Niemen und drang in das Innere Rußlands ein. Da die Russen sich defensiv verhielten und nur Rückzugsgefechte lieferten, erreichte N. Mitte August schon Smolensk, wo er den Russen 17. Aug. eine siegreiche Schlacht lieferte. Aber die rasche Abnahme, ja Auflösung seiner Heeresmassen durch Entbehrungen, Krankheiten und Gefechtsverluste mußte ihn mit Besorgnis erfüllen. Dennoch riß ihn die Hoffnung, durch die Eroberung Moskaus Alexander zum Frieden zu bewegen, vorwärts, und nach dem blutigen Sieg bei Borodino an der Moßkwa (7. Sept.) zog er 14. Sept. in Moskau ein. Der von den Russen selbst angelegte Brand der Stadt machte die Winterquartiere daselbst unmöglich, und nachdem er einen Monat vergeblich die Antwort auf seine Friedensanträge aus Petersburg erwartet hatte, trat er 19. Okt. mit seinem erschöpften Heer von 100,000 Mann den Rückzug von Moskau an, der infolge des frühen Winters, des Mangels an Lebensmitteln und der energischen russischen Verfolgung mit dem Untergang der Großen Armee endete. Mit 40,000 Mann und wenig Geschützen erreichte N. 9. Nov. Smolensk; die Kämpfe beim Übergang über die Beresina (25.-28. Nov.) vollendeten die Auflösung des Heers, von dem nur 15,000 Mann Wilna erreichten. Von hier eilte N., der endlich im 29. Bülletin vom 3. Dez. einen Teil der Wahrheit enthüllt hatte, in einem Bauernschlitten über Warschau und Dresden nach Paris, wo er, 19. Dez. angelangt, sofort neue Aushebungen befahl und nur einen ehrenvollen und Frankreichs Größe angemessenen Frieden zu schließen erklärte.

Der Abfall Yorks und die Erhebung Preußens nötigten die Trümmer der Großen Armee, bis hinter die Oder zurückzuweichen und Schlesien sowie Brandenburg zu räumen, worauf die verbündeten Russen und Preußen im April 1813 Sachsen besetzten. Schon hier aber trat ihnen N. wieder entgegen, der eine halbe Million Menschen unter die Waffen gerufen und sofort nach dem Kriegsschauplatz in Marsch gesetzt hatte. Indem er seine ganze Meisterschaft in der Schnelligkeit des Handelns bewährte, erreichte er es, daß er zuerst und mit Überlegenheit auf dem Kampfplatz erschien. Durch die Schlachten bei Großgörschen (2. Mai) und Bautzen (20. u. 21. Mai) nötigte er die Verbündeten zum Rückzug nach Schlesien und um Waffenstillstand von Poischwitz (4. Juni). Aber nun versäumte er es aus Stolz und aus Rücksicht auf sein Ansehen bei den Franzosen, den vorteilhaften, ja ehrenvollen Frieden, den ihm Österreich anbot, und der ihm die Rheingrenze und Italien gelassen hätte, anzunehmen. Aus denselben Beweggründen blieb er, als sich nun eine große europäische Koalition gegen ihn bildete, in Dresden stehen, indem er durch einen entscheidenden Schlag die gebietende Stellung wiederzugewinnen hoffte. Zwar siegte er noch einmal bei Dresden (26. u. 27. Aug.), aber die Niederlagen seiner Feldherren bei Großbeeren (23. Aug.), an der Katzbach (26. Aug.), bei Kulm (30. Aug.) und bei Dennewitz (6. Sept.) sowie der Übergang Blüchers über die Elbe (3. Okt.) veranlaßten ihn, nach Leipzig zurückzuweichen und hier 16. Okt. eine Schlacht anzunehmen, in welcher er aber keinen entscheidenden Sieg zu erringen vermochte. Statt der drohenden Umgarnung durch feindliche Übermacht sich mittels schleunigen Rückzugs an den Rhein zu entziehen, knüpfte er in seiner hartnäckigen Zuversicht auf die Nachgiebigkeit der Verbündeten 17. Okt. Verhandlungen an und erlag am zweiten Schlachttag (18. Okt.) der Übermacht. Nur 100,000 Mann rettete er aus Leipzig an den Rhein, mit denen er sich 30. und 31. Okt. bei Hanau durch ein bayrisch-österreichisches Heer unter Wrede durchschlug.

N. kämpfte seitdem nur noch um seinen Thron und lehnte daher alle Friedensanträge, so günstig sie für Frankreich waren, ab, da er das Reich nicht kleiner hinterlassen zu dürfen glaubte, als er es 1799 übernommen hatte. Die Nation war des Kriegs überdrüssig, und der Gesetzgebende Körper wurde von N. wegen seiner Opposition gegen die Erhöhung der Steuern und die neue Aushebung aufgelöst. Den zu Anfang 1814 in Frankreich eindringenden verbündeten Heeren vermochte N. nur eine Feldarmee von 70,000 Mann entgegenzustellen und erlitt 1. Febr. bei La Rothière eine empfindliche Niederlage. Dennoch gelang es ihm noch einmal durch großartige Entfaltung seines Genies und seiner Thatkraft, in den Gefechten von Champeaubert, Montmirail, Etoges und Vauchamps (11.-14. Febr.) über Blücher und bei Montereau (18. Febr.) über den Kronprinzen von Württemberg unerwartete Erfolge zu erringen. Doch endlich mußte er der Übermacht erliegen. Nach den Schlachten bei Laon (9. und 10. März) und bei Arcis sur Aube (20. und 21. März) wollte er durch einen kühnen Zug an den Rhein den Krieg wieder in Feindesland spielen und war bis Vitry gelangt, als er hörte, daß die Verbündeten im Marsch auf Paris seien. In Gewaltmärschen eilte er zurück, erfuhr aber wenige Stunden von Paris, daß die Stadt 30. März kapituliert habe, und begab sich nach Fontainebleau, wo er auf die Kunde, daß der Senat ihn 1. April abgesetzt habe und die Behörden sowie die meisten Generale von ihm abgefallen seien, erst zu gunsten seines Sohns und, als dies von den Verbündeten zurückgewiesen wurde, 11. April für sich und seine Erben abdankte. Dafür ward ihm die Insel Elba als Fürstentum, die Beibehaltung des Kaisertitels und eine jährliche Rente von 2 Mill. Frank zugesprochen; auch durften ihm 400 Mann seiner Garde als Freiwillige folgen. Nachdem er 20. April von seiner Garde in Fontainebleau Abschied genommen, reiste er in Begleitung einiger Generale und mehrerer Offiziere der Verbündeten nach Südfrankreich, wo er bei den Bedrohungen durch rohe Pöbelhaufen wiederholt seine Fassung verlor, und langte auf einer britischem Fregatte 4. Mai in Elba an.

Hier widmete er sich mit großem Eifer der Verwaltung der Insel und war der Gegenstand der Neugierde zahlreicher Reisenden. Den Verlauf der Dinge in Frankreich und auf dem Wiener Kongreß beobachtete er, von seinen zahlreichen Agenten wohl unterrichtet, mit Späherblick, und als er von dem steigenden Unwillen gegen die Bourbonen und der Anfang 1815 drohenden Differenz zwischen den Mächten vernahm, beschloß er, zumal er fürchtete, die Verbündeten könnten ihn der größern Sicherheit halber nach einem entlegenern Exil schaffen, einen Einfall in Frankreich zu wagen. Die Garde wurde auf mehreren gemieteten Fahrzeugen eingeschifft, er selber bestieg 26. Febr. 1815 seine Brigg L'Innocent und landete, von den Engländern nicht bemerkt, 1. März im Golf Jouan. Er wandte sich durch das Gebirge nach