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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Napoleondor - Naquet.

Handelsvertrag mit England (1860) erworben. Unter dem Eindruck der unversöhnlichen Mißstimmung der Nation ließ sich N. 1870 wider seinen Willen von seiner durch die Jesuiten beherrschten Gemahlin und seiner Umgebung zum Krieg mit Preußen drängen (s. Deutsch-französischer Krieg). Er teilte die Siegeszuversicht der Hofpartei nicht; sein Mangel an Vertrauen zu sich selbst und seine Krankheit raubten ihm den letzten Rest von Energie und Thatkraft in der Führung der Armee, deren Oberbefehl er schon 12. Aug. niederlegte. Er hatte nicht den Mut, von Metz nach Paris zurückzukehren, sondern begab sich mit seinem Sohne nach Châlons und schloß sich rat- und thatlos dem Marschall Mac Mahon an. Der Tag von Sedan (1. Sept.) besiegelte sein Schicksal. Nachdem "es ihm nicht gelungen, den Tod zu finden", gab er sich kriegsgefangen, wagte aber nicht die Verantwortung für Friedensverhandlungen zu übernehmen, sondern machte 2. Sept. bei Bismarck nur einen Versuch, die Kriegsgefangenschaft des Heers abzuwenden. Noch an demselben Tag reiste er nach dem ihm angewiesenen Aufenthalt, Schloß Wilhelmshöhe, ab und begab sich nach Abschluß des Präliminarfriedens im März 1871 zu seiner Familie nach Chiselhurst, nachdem er gegen seine Absetzung durch die Nationalversammlung zu Bordeaux (1. März) am 6. d. M. protestiert hatte. In Chiselhurst starb er 9. Jan. 1873 an den Folgen einer Steinoperation.

N. hatte in seinem Äußern wenig vom Bonapartischen Familientypus; auch sein Phlegma, seine träumerische Apathie wiesen auf andern als corsischen Ursprung hin. Von Natur war er sanft und wohlwollend, seinen Freunden und Dienern treu und dankbar; seine geistige Begabung war nicht unbedeutend, wenn auch nicht schöpferisch. Seine Kenntnisse waren vielseitig, er wußte sie nach allgemeinen Gesichtspunkten zu ordnen und seine Gedanken in guter Sprache auszudrücken, nur neigte er etwas zum Doktrinarismus. Sein Verhängnis war sein Prätendententum; die Schuld des Staatsstreichs lastete schwer auf ihm, und sein Regierungssystem mußte an dem unversöhnbaren Widerspruch zwischen Despotismus und Volkssouveränität scheitern. Sein Sturz ist deswegen ein so tragischer, weil er nicht einmal Mitleid, sondern nur Verwünschungen, Hohn und Spott bei der ganzen Nation hervorrief. Nur die italienische Nation hat ihm ein dankbares Andenken bewahrt u. ihm 1879 in Mailand ein Standbild errichtet.

Seine Werke erschienen gesammelt als "Œuvres de Napoléon III" (Par. 1854-69, 5 Bde.; deutsch von Richard, Leipz. 1857-58, 4 Bde.). Kleinere Schriften sind: "Politique de la France en Algérie" (Par. 1865); "Carte de la situation militaire en Europe" (das. 1868); "Titres de la dynastie Napoléonienne" (das. 1868); "Progrès de la France sous le gouvernement impérial" (das. 1869); "Forces militaires de la France" (das. 1872). Sein Hauptwerk ist die "Histoire de Jules César" (Par. 1865-1866, 2 Bde.; deutsch, Wien 1865-66), deren zweiter Band wegen der gründlichen Studien über den gallischen Krieg wertvoll ist. Nach seinem Tod erschienen: "Œuvres posthumes; autographes inédits de N. III en exil" (Par. u. Lond. 1873). Vgl. Gottschall, N. III. Eine biographische Studie (2. Aufl., Liegn. 1871); v. Sybel, N. III. (Bonn 1873); Delord, Histoire du second Empire (Par. 1869-75, 6 Bde.); Jerrold, The life of N. III. (Lond. 1877, 3 Bde.); Simson, Die Beziehungen Napoleons III. zu Preußen und Deutschland (Freiburg 1882).

Erbe seiner Rechte und Haupt der Napoleonischen Dynastie wurde sein einziger Sohn, der kaiserliche Prinz Napoleon Eugène Louis Jean Joseph, geb. 16. März 1856 in den Tuilerien, das "Kind von Frankreich", auch Lulu genannt. Er wurde sorgfältig erzogen und sollte 1870 sich die ersten Kriegslorbeeren erwerben. Bei Saarbrücken 2. Aug. feuerte er eine Mitrailleuse ab, flüchtete mit seinem Vater von Metz nach Châlons, von da über Belgien nach Chiselhurst, worauf er nach dem Tod seines Vaters die Artillerieschule zu Woolwich besuchte und beim Eintritt seiner Großjährigkeit 16. März 1874 von der bonapartistischen Partei feierlich in Chiselhurst als Napoleon IV. zu ihrem Haupt und Prätendenten erklärt wurde. Nachdem er sich bei verschiedenen Höfen vergeblich um die Hand einer Prinzessin beworben, begab er sich, um eine Zeitlang von der seinem bescheidenen und aufrichtigen Charakter wenig entsprechenden Prätendentenrolle befreit zu sein, im Februar 1879 nach dem Kapland, um am Zulukrieg teilzunehmen. Hier wurde er bei einem Rekognoszierungsritt am Ityolyosifluß 1. Juni von den Zulu erschlagen. Seine Leiche ward neben der seines Vaters 1887 in einem Mausoleum zu Farnborough beigesetzt. Vgl. Barlee, Life of Prince imperial of France (Lond. 1880).

4) Prinz N. (Plon-Plon), s. Bonaparte 4 d).

Napoleondor (spr. -ong-), eigentlich die unter Napoleon I. und Napoleon III. geprägten 20-Frankstücke in Gold, dann auch die neuern französischen Goldstücke von diesem Wert. Sie sollen 6,45161 g schwer sein und 9/10 an Gold enthalten. Man hat auch doppelte N. zu 40 Frank. 1 N. = 16,20 Mk.

Napoleōnes, s. Jereswein.

Napoleoniden, Bezeichnung der Seitenverwandten Napoleons I. und ihrer Nachkommen, s. Bonaparte.

Napoleonische Kriege, die Kriege, welche Kaiser Napoleon I. von 1796 bis 1815 geführt hat; s. Napoleon I.

Napoleons Blau, s. Berliner Blau und Färberei, S. 42.

Napoléon-Vendée (spr. -ong-wangdeh), Stadt, s. Roche sur Yon.

Napoléonville (spr. -ongwil), Stadt, s. Pontivy.

Napŏli, ital. Name für Neapel.

Napŏli di Malvasīa, Stadt, s. Monemvasia.

Napŏli di Romania, Stadt, s. Nauplia.

Napolitaines (franz., spr. -tähn), feinwollige weiche Stoffe aus Streichwollgarn, jetzt meist mit Kette von Baumwollzwirn, dienen zu Frauenkleidern, Mänteln und Umschlagtüchern. Die rein wollenen Gewebe sind glatt und heißen auch Lamas, die halbwollenen sind geköpert. Man fertigt sie als beliebte Modestoffe in beständigem Wechsel besonders in Böhmen, im Sächsischen Erzgebirge, in Berlin etc.

Naquet (spr. -kä), Alfred, franz. Politiker, geb. 6. Okt. 1834 zu Carpentras, studierte Medizin, wurde 1863 Professor an der medizinischen Fakultät in Paris, nahm an der radikalen Parteibewegung, welche gegen das Kaiserreich heftige Opposition machte, eifrigen Anteil und ward als Mitglied geheimer Gesellschaften 1867 zu 15 Monaten Haft verurteilt. 1869 wegen eines Buches: "Religion, propriété, famille" (neue Ausg., Brüssel 1877), wiederum zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, flüchtete er nach Spanien, kehrte 1870 zurück, war bei der Revolution vom 4. Sept. mit thätig und folgte der Delegation nach Tours. 1871 in die Nationalversammlung gewählt, gehörte er zur äußersten Linken. Seit 1876 Mitglied der Deputiertenkammer, agitierte er besonders für Einführung der Ehescheidung (er lebt von seiner eignen Frau getrennt), hielt viele öffentliche Vorträge