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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Niederländische Litteratur

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Niederländische Litteratur (schöne Litteratur: 14.-17. Jahrhundert).

"Van den levene ons heren" (hrsg. von Vermeulen, Utr. 1843) gehört hierher. Während von den lyrischen Produkten dieser Zeit nur wenig erhalten ist, zeichnen sich die dramatischen, obgleich noch Erstlingsversuche, bereits durch eine gewisse Unabhängigkeit vom kirchlichen Dogma und keckes Eingreifen in das wirkliche Leben aus. Eine "Altniederländische Schaubühne" gab Hoffmann von Fallersleben in den "Horae belgicae" (Bd. 6) und später Moltzer (1870) heraus.

Um die Mitte des 14. Jahrh. wurden, während die Prosa sich zu bilden anfing (Bibelübersetzung ca. 1300, Jan van Ruysbroek ca. 1350), statt der Reimchroniken, Sittenspiegel etc. kürzere Gedichte, öfters Improvisationen, worin Erzählung und Sittenlehre vereinigt waren, vorherrschend, und zwar wurde diese Poesie von Dichtern gepflegt, welche oft ein Wanderleben führten und Sprekers hießen. Die berühmtesten unter ihnen sind Willem van Hildegaersberch (um 1350-1400), dessen Poesien Bisschop und Verwijs (Haag 1870) veröffentlichten, und Boudewijn van der Loren, dessen Dichtungen zum Teil von Blommaert ("Oude vlämische gedichten", Gent 1838 ff.) herausgegeben wurden. Der bedeutendste Dichter des 15. Jahrh., Dirk Potter (gest. 1428), verfaßte "Der minnen loep" (hrsg. von Leendertz, Leid. 1845-47, 2 Bde.), ein auf der bürgerlichen Basis der Spruchdichtung beruhendes Werk, worin eine Reihe von Liebesgeschichten abwechselnd mit moralisierenden Vorträgen zu einem anziehenden Ganzen verwoben sind. Daß die Kluft zwischen den adligen und bürgerlichen Kreisen sich mehr und mehr auszugleichen begann, beweisen vornehmlich die zu Anfang des 15. Jahrh. entstandenen Kammern der Rederijker (s. d.), in denen sich beide Stände zu gemeinsamer Verfolgung litterarischer Zwecke die Hand reichten. Es waren dies poetische Vereine mit zünftiger Verfassung, deren Mitglieder sich zu bestimmten Zeiten zu poetischen Übungen und Vorträgen, namentlich auch zur Aufführung von Schauspielen, vereinigten. Wenn auch die hier erzielten Produkte von sehr geringem poetischen Wert sind, so sind jene Vereine doch insofern von Wichtigkeit, als sie sich mit Eifer an den damaligen politischen Händeln beteiligten und durch ihre dramatischen Arbeiten unmittelbar auf das Volk zu wirken suchten. Ihre patriotischen und liberalen Bestrebungen zur Zeit der reformatorischen Bewegungen führten in den südlichen Provinzen ihre Unterdrückung durch die spanische Regierung herbei, während sie in den nördlichen noch bis ins 18. Jahrh., wiewohl zuletzt hinter der Zeit zurückbleibend, fortbestanden. Die berühmteste und einflußreichste dieser Kammern war die Amsterdamer Gesellschaft "In liefde bloeijende" ("In Liebe blühend"), welche den gegen Ende des 16. Jahrh. von Antwerpen hierher übersiedelten Kaufleuten und sonstigen Notabilitäten einen Vereinigungspunkt zu geselligen und litterarischen Unterhaltungen darbot und zum Ausgangspunkt patriotischer Bestrebungen für die Pflege der Muttersprache und für Schöpfung einer Kunstpoesie wurde, deren Charakter keineswegs unvolkstümlich war. Unter denen, welche sich durch Läuterung der unter der burgundischen Herrschaft durch welsche Elemente sehr verunreinigten Sprache, durch grammatische Regelung derselben und den Versuch, poetische und prosaische Mustererzeugnisse aufzustellen, hohes Verdienst um die n. L. erwarben, stehen Filips van Marnix (gest. 1598), Dirk Coornhert (gest. 1590) und die Kaufleute Roemer Visscher (gest. 1620) und Hendrik Laurenszoon Spiegel (gest. 1612) obenan. Doch waren sie nur die Vorläufer der drei originellsten niederländischen Dichter, die in derselben Kammer verkehrten, Hoofts, Vondels und Huygens', durch welche die n. L. rasch fast zu ihrer höchsten Blüte gelangte. Pieter Corneliszoon Hooft (1581-1647) wußte italienische Form, Schönheit mit gedankenvollem Inhalt aufs glücklichste zu vereinigen und hob Poesie und Prosa zu gleicher Vollendung, so daß er in der niederländischen Litteratur Epoche macht. Joost van den Vondel (1587-1679), an poetischer Begabung Hooft noch übertreffend, leistete in der Lyrik und Satire wie auch in den übrigen Gattungen, mit Ausnahme des Epos, Vorzügliches, wenn auch seine Schauspiele in dramatischer Hinsicht mangelhaft sind. Konstantin Huygens (1596-1686), der Vater des berühmten Mathematikers, zeichnete sich durch die umfassenden Sprach- und Litteraturkenntnisse aus, verfiel aber in seinen lyrischen, beschreibend-lehrhaften, satirischen Gedichten und Epigrammen im Streben nach gehaltvoller Gedrungenheit nicht selten ins Gesuchte, Dunkle und Schwerfällige. In Gegensatz zu diesen drei Amsterdamer Größen trat Jakob Cats (1577-1660) zu Dordrecht, indem er nicht für ein auserlesenes, sondern für das große Publikum schrieb und in Allegorie und heiterer Erzählung Treffliches leistete. Das Buch des "Vader Cats" hat über ein Jahrhundert lang neben der Bibel als zweites Hausbuch gegolten. Außer diesen drei Hauptdichtern verdienen besonders Erwähnung in der Lyrik und Elegie: Daniel Heinsius, der bekannte Philolog (gest. 1655); die Töchter des oben genannten Roemer Visscher, Anna (gest. 1651) und Maria Tesselschade (gest. 1649), beide besonders in kleinern Poesien ausgezeichnet; G. A. Bredero (gest. 1618); D. R. Camphuisen (gest. 1626), dessen geistliche Lieder lange populär geblieben sind; Johan van Heemskerk (gest. 1656) und J. J. ^[Jan Jansz.] Starter, als Erotiker ausgezeichnet; Jeremias de Decker (gest. 1655), bekannt durch gefühlvolle kleine Gedichte; Jakob Westerbaen (gest. 1670) und Joachim Oudaen (gest. 1692), deren politische Gedichte viel gelesen wurden; endlich der beste Lehrling Vondels, Joannes Antonides van der Goes (gest. 1684), dessen Gedicht "De Istroom" ^[eigentlich: "De Ystroom"], eine Verherrlichung Amsterdams, sowie seine kleinern Poesien viele Schönheiten enthalten, aber nicht selten an Überschwenglichkeit leiden. Als Epigrammatiker verdient neben Huygens besonders G. Brandt (gest. 1685), der Historiker, genannt zu werden. Beachtenswerte Fortschritte machte in dieser Periode das Drama. Eine wirklich klassische Tragödie hat aber die n. L. nicht aufzuweisen, obwohl Hooft ("Geraert van Velsen", "Bato") und Vondel ("Lucifer", "Adam in ballingschap" etc.) Vorzügliches geleistet. Vondels "Gijsbrecht van Amstel" wird noch immer am Neujahrstag aufgeführt, aber das Stück hat nur seinen lyrischen und beschreibenden Episoden seinen Ruhm zu verdanken. Die übrigen Tragödiendichter folgten fremden Mustern. Originell dagegen ist das holländische Lustspiel, und selbst, wo das Motiv aus der Fremde entlehnt ist, sind die Zustände ganz auf holländischen Boden verpflanzt. Als Hauptdichter gilt hier unbestritten G. A. Bredero (gest. 1618), dessen "Spaansche Brabander", "Moortje" u. a. wirklich dramatisches Talent verraten. Auch Hooft ("Warenar") und Huygens ("Trijntje Cornelis") haben in diesem Genre Gutes geleistet. - Die holländische Prosa ward besonders durch Dirk V. Coornhert (s. oben) ausgebildet. Hooft schrieb einen kernhaften Stil, ahmte aber zu einseitig Tacitus nach. Die bessern von den übrigen, wie G. Brandt, J. ^[Johan] van Heems-^[folgende Seite]