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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Oper

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Oper (Geschichte der O.: Italien, Frankreich, Deutschland).

valieri und Viadana waren dagegen nicht bis zur Abtötung des musikalischen Fleisches gegangen, und auch auf dem Gebiet der dramatischen Komposition dauerte es gar nicht lange, daß der gesunde musikalische Sinn der Italiener die bloßen Schemen der Florentiner mit lebendigem Blut anfüllte.

Den ersten großen Schritt that Claudio Monteverde in Venedig (gest. 1643), der erste Opernkomponist von Gottes Gnaden und Vater der Kunst der Instrumentation (s. Musik, S. 924). Die Entwickelung des begleiteten Gesangs in der Kirche durch Cavalieri, Viadana und später Carissimi brachte mehr und mehr den neuen Stil zur Vollendung und führte der O. neue Formen zu (Arie, Duett). Die bedeutendsten Geister neben Monteverde waren Cavalli und Cesti; in zweiter Linie sind zu nennen: Zanobi di Gagliano, Legrenzi, Rovetta und Pallavicini. Eine neue Epoche der O. beginnt mit Aless. Scarlatti (gest. 1725), dem Begründer der "neapolitanischen Schule". Von ihm nimmt die italienische O. in dem Sinn, wie wir sie heute kennen, ihren Ausgang; das Zeitalter des bel canto beginnt, d. h. Caccinis edle Verachtung der Musik war vergessen, und die Melodie dominierte vollständig. Der Sänger wurde die Hauptperson einer neuen O., der Komponist diente gar bald dem Sänger. Diese Wandlung, welche die nächste Reaktion (durch Gluck) heraufbeschwor, war indes in ihren Anfängen, d. h. unter Scarlatti selbst und seinen nächsten Schülern Leo, Durante und Feo, selbst noch immer Reaktion zu gunsten der berechtigten Ansprüche der Musik, welche erst in der Folge das Maß überschritten. Unterdessen hatte die O. auch im Ausland ihren Einzug gehalten. Mazarin berief schon 1645 eine italienische Operntruppe nach Paris, welche zunächst Sacratis "La finta pazza" und 1647 Peris "Euridice" ausführte und sich dauernd etablierte. Doch schon 1650 begannen die Anfänge französischer Opernkompositionen, und 1671 eröffnete P. Perrin mit Camberts "Pomone" die Nationaloper (Académie) mit königlichem Privileg, das etwas später J. ^[Jean-] Baptiste Lully (gest. 1687) an sich brachte und so zum nominellen Schöpfer der französischen O. wurde. Letztere bedeutete gegenüber den Italienern schon eine neue Reaktion zu gunsten der Poesie; die Rhythmik und das Pathos der französischen Sprache prägten sich deutlich in ihr aus, und Koloratur war verpönt; diesen Prinzipien blieb auch Rameau (gest. 1764) treu. Es dauerte indes nicht lange, daß die Italiener wieder in Paris durchdrangen und zwar mit der inzwischen durch Logroscino und Pergolesi geschaffenen komischen O. (Opera buffa). Eine italienische Truppe bewirkte 1752 mit Pergolesis "La serva padrona" und "Maestro di musica", daß sich Paris in zwei Heerlager spaltete, das der Buffonisten und Antibuffonisten (Verfechter der französischen Nationaloper), und als nach zwei Jahren die Italiener ausgewiesen wurden, entstand in Nachwirkung der Opera buffa die französische Opéra comique, deren erste wichtigste Repräsentanten Egidio Duni (gest. 1775), Philidor (gest. 1795), Monsigny (gest. 1817) und namentlich A. E. M. Grétry (gest. 1813) wurden. In Deutschland kam, abgesehen von der ganz vereinzelten Aufführung einer O.: "Dafne" von Heinrich Schütz und Stadens "Seelewig" (1640), die O. 1678 auf und zwar in Hamburg, wo von einer Anzahl wohlhabender Bürger ein öffentliches Theater begründet wurde (das erste öffentliche Operntheater Italiens war 1637 zu Venedig eröffnet worden, dem in den nächsten 60 Jahren allein in Venedig ein Dutzend andre folgten); dasselbe bestand bis 1738 und machte Hamburg 50 Jahre hindurch zur musikalischen Metropole Deutschlands. Die wichtigsten Komponisten der Hamburger O. sind: Theile, J. W. ^[Johann Wolfgang] Franck, Strungk, Kusser, Reinh. Keiser (gest. 1739), Joh. Mattheson (gest. 1764), Händel, der 1703-1706 in Hamburg wirkte, und Telemann (gest. 1767). Italienische Operntruppen zogen unterdessen in Wien, München, Dresden, Stuttgart, Berlin, Braunschweig etc. ein und faßten 1740 auch in Hamburg Fuß. Zu den bedeutendsten Repräsentanten der italienischen O. bis zum Auftreten Glucks gehören (außer den schon genannten) der Deutsche Adolf Hasse (gest. 1783), ferner Giov. B. Buononcini, Nic. Antonio Porpora (gest. 1767), Vinci, Greco, Niccolò Jomelli (gest. 1774), Terradellas, Guglielmi, Antonio Sacchini (gest. 1786), Traetta, Nicola Piccini (gest. 1800); der letztere war es bekanntlich, den die Gegner Glucks in Paris auf den Schild erhoben.

Ein unleugbarer Verjüngungsprozeß der italienischen O. war die Schöpfung der Opera buffa gewesen. Der schablonenhaften Mache der Opern über antike Süjets, welche schließlich nur noch einen schwachen Vorwand für die Gesangsevolutionen der primi uomini und prime donne abgab, trat hier wirkliches dramatisches Leben entgegen; der stereotype Sopranist (Kastrat) als Träger der Hauptrolle verschwand, und der Baßbuffo und Tenorist teilten sich in das lebendigere Interesse der Hörer. Glucks Reform ging nur die Opera seria an; die komische O. trieb beachtenswerte Blüten in den Werken eines Giov. Paesiello (gest. 1816), Domenico Cimarosa (gest. 1801) u. a., an welche anknüpfend Mozart seine herrlichen Musikwerke schuf, die wir wohl als die deutsche komische O. bezeichnen dürfen (s. unten). Noch einen großen Meister stellte Italien: Gioacchino Rossini (gest. 1868), der in seinem "Barbier von Sevilla" in einer Mozart fast ebenbürtigen Weise die italienische komische O. zur Vollendung brachte, während sein "Tell" dem Genre der französischen Großen O. angehörte. Mit Rossini erreichte die einseitige Bevorzugung des virtuosen Elements ihren Gipfelpunkt. Vincenzo Bellini (gest. 1835) machte einen schwachen Versuch der Reaktion zu gunsten des dramatischen Ausdrucks, Gaetano Donizetti (gest. 1848) ermangelte gänzlich der Originalität und Energie. In Giuseppe Verdi (geb. 1813) endlich zeigte sich eine unglückliche Verschmelzung italienischer Lotterigkeit der Arbeit und Banalität der Melodiebildung mit der durch die französische Große O. eingebürgerten Sucht nach Effekt. - In Frankreich war von nachhaltigstem Einfluß die Reform Glucks (1774-80), der seine volle Kraft dem deklamatorischen Stil zuwandte, während er das absolut Musikalische dem poetischen Inhalt unterordnete. Er entfaltete das Recitativ in seiner ganzen Größe und bereicherte es wesentlich; den spezifisch musikalischen Effekt hingegen schloß er überall aus, wofern er nicht durch den Gang des Dramas zu motivieren war. Dem Orchester endlich verlieh er eine größere Mannigfaltigkeit von Klangfarben und war auch der erste, welcher in der neuern O. die Posaunen zur Anwendung brachte. Kurz, er hob die Musik aus ihrer trippelnden Kleinheit und Zierlichkeit und stellte sie auf den Kothurn, wenn er auch trotz der hohen Würde seines Ausdrucks immerhin noch in einer gewissen formalistischen Breite und Steifheit befangen blieb. Als die drei bedeutendsten Musiker, welche mehr oder minder in die Fußstapfen Glucks traten, sind Etienne W. Méhul (gest. 1817), Luigi Cherubini (gest. 1842) und Gasparo Spontini (gest. 1851) zu nennen. Übrigens zeigen sich Gluck, Cherubini und selbst Spontini in ihren Hauptwerken so sehr vom deutschen Geist