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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Oper

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Oper (Geschichte der O.: 19. Jahrhundert).

beeinflußt, daß diese Meister nur mit großer Einschränkung den Franzosen zugezählt werden dürfen. Spontini bildet schon den Übergang zu der "Ausstattungsoper" G. Meyerbeers (gest. 1864). Dieser, einer der begabtesten Musiker unsrer Zeit, zog es leider vor, statt der ohnehin auf abschüssigem Boden wandelnden O. durch ernstes Kunststreben Hilfe zu bringen, zur Erzielung sichern Beifalls mittels eines raffiniert eklektischen Stils und unter weitgreifendster Beihilfe des Dekorationsmalers und des Ballettmeisters auf den derben Geschmack der großen Menge zu spekulieren. Das Gleiche gilt von Fromental Halévy (gest. 1862). Die wenigen Opern endlich, mit denen Hector Berlioz (gest. 1869) auftrat, sind, wenngleich ihre ernstere Richtung nicht zu verkennen ist, leider auch nicht danach beschaffen, um für die Folge fruchtbringend sein zu können. Die schon oben erwähnte Opera comique hingegen entfaltete sich in den durch leichtfaßliche Melodien, scharf pointierte Rhythmen und pikante, harmonische Wendungen erfreuenden Werken Grétrys, Monsignys, Dalayracs, Isouards u. a. auf das beste, bis sie mit Franç. Adrien Boieldieus (gest. 1834) "Weißer Dame" und "Johann von Paris" ihren Gipfelpunkt erreichte. Als die bedeutendsten Epigonen sind noch Adolphe Adam (gest. 1856), Louis J. ^[Joseph] Ferd. Hérold (gest. 1833) und vor allen Dan. François Auber (gest. 1870) anzuführen. Letzterer erreichte in der vom Feuer revolutionäre Leidenschaft durchglühten O. "Die Stumme von Portici" nach der ernsten Seite hin seinen Höhepunkt und gab wiederum in der komischen O. "Maurer und Schlosser" ein geistvoll gezeichnetes humoristisches Charakterbild, in welchem eine Reihe feiner, wirksamer Situationsmalereien vorkommen und besonders der französische Volkston in den Handwerkerszenen gut getroffen ist. Unter den lebenden Opernkomponisten Frankreichs steht Gounod obenan, dessen "Faust" (1859) und "Romeo und Julie" (1867) zur Aufstellung des neuen Genres der "lyrischen" O. Veranlassung gaben; ihm nahestehend ist Ambroise Thomas ("Mignon", 1866; "Hamlet", 1868). Außerdem sind noch zu nennen: Georges Bizet (gest. 1875), Camille Saint-Saëns (geb. 1835), Jules Massenet (geb. 1842), Léon Delibes (geb. 1836). Eine bedauerliche Frucht der neuesten Zeit ist die französische Operette (Hervé, Offenbach, Lecocq).

In England hat die ernste Nationaloper niemals in Blüte gestanden. Zwar schien es, als ob sie durch die Bestrebungen des reichbegabten Henry Purcell (gest. 1695) dieses Ziel erreichen und die italienische O. sowohl als die am Hof Karls II. mit Vorliebe gepflegte französische verdrängen könne; aber der Künstler starb bereits in seinem 37. Jahr, und von nun an war der italienischen Opera seria die Alleinherrschaft gesichert. Daß der Deutsche Händel gleichfalls eine Reihe von Jahren hindurch in dieser Richtung thätig war, konnte im wesentlichen nichts ändern; noch weniger vermochten dies die völlig stillosen Produkte von Thomas Arne (gest. 1778). Nicht viel besser steht es mit der komischen O., welche mit Vorliebe sich im Gebiet des Niedrig-Komischen bewegt und über die Liedform kaum hinausgeht. Eins der rohesten Produkte dieser Art ist die sogen. "Bettleroper", wozu Gay den Text schrieb und Pepusch, ein Deutscher, die Musik aus schottischen Volkslieder zusammenstellte. Den meisten Ruf erwarb sich in neuerer Zeit der Irländer Balfe (gest. 1870) durch seine Opern: "Die vier Haimonskinder" und "Die Zigeunerin", die durch leichte, gefällige Melodien gewinnen, welche aber nichts weniger als national, sondern lediglich im Geiste der französisch-italienischen O. erfunden sind. Andre englische Opernkomponisten sind Graf Westmoreland (gest. 1859), welcher als Dilettant gleichfalls keine höhere künstlerische Bedeutung erlangte, und Arthur Sullivan (geb. 1842), dessen Operetten großen Erfolg hatten. Spanien und Portugal begnügten sich bisher mit italienischen und in neuerer Zeit auch vielfach mit französischen Opern, und in den skandinavischen und slawischen Ländern endlich waren bisher die Bestrebungen zur Gründung einer nationalen O. noch viel zu gering, als daß sie hier einer weitern Erörterung bedürften. Von russischen und polnischen Komponisten sind besonders Glinka (1803-67) und Moniuszko (geb. 1820), von ungarischen nur F. Erkel (geb. 1810) zu nennen, deren Opern in ihrem Vaterland Popularität erlangt haben.

Auch in Deutschland herrschte, wie schon erwähnt (abgesehen von der vereinzelten Hamburger O.), lange Zeit die italienische O.; Wien, München, Dresden, Braunschweig, Berlin hatten bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts nur italienische Opern, und die deutschen Komponisten, wie K. H. Graun (gest. 1759), Gottl. Naumann (gest. 1801) etc., schrieben italienische Opern im echt italienischen Sinn. Wolfgang Amad. Mozart (gest. 1791) war es vorbehalten, die aus den Werken seiner Vorgänger resultierenden Stilmomente zu einem einheitlichen Ganzen zu verbinden, die italienische Äußerlichkeit und Sinnlichkeit mit der deutschen Innerlichkeit und Idealität zusammenzufassen und so einen Gesamtstil herauszubilden, dessen Universalität von nun an der deutschen Tonkunst den Vorrang über das Ausland verschaffte. Zugleich mit der ernsten O. brachte er auch die komische auf eine bisher kaum geahnte Höhe, indem er sie aus jener spießbürgerlichen Sphäre emporhob, worin sich die gleichzeitigen deutschen Opern des immerhin reichbegabten Dittersdorf (gest. 1799) und die dürftigen Singspiele Georg Bendas (gest. 1795), J. A. ^[Johann Adam] Hillers (gest. 1804), J. ^[Johann] Friedr. Reichardts (gest. 1814) u. a. mit Vorliebe bewegten. Die den internationalen Stil Mozarts zu hausbackener Phraseologie verflachende Schule der "göttlichen Philister" (wie sie W. Riehl treffend nennt) ist samt ihren zahlreichen Produkten längst der Vergessenheit anheimgefallen. Als ihre Koryphäen führen wir an: Gyrowetz, Hoffmeister, Wranitzky und als die bedeutendsten darunter: Joseph Weigl (gest. 1820) und Peter v. Winter (gest. 1825). Eine eigentliche deutsche O. wurde erst möglich, als die aus der französischen Revolution erwachsenden Völkerkriege den Sinn auf das Nationale zurückführten. Beethoven ging mit seinem "Fidelio" voran, jedoch blieb dieses Werk eine vereinzelte künstlerische Großthat. Eine neue Richtung schlugen dann die sogen. Romantiker ein, unter denen in der O. Karl Maria v. Weber (gest. 1826) obenan steht, der, von echt nationalem Standpunkt ausgehend, mit Vorliebe Stoffe aus der Sagenwelt behandelte. Er legte zwar den Schwerpunkt in die Melodie, machte aber zugleich von allen harmonischen und orchestralen Ausdrucksmitteln in genialer Weise den ausgedehntesten Gebrauch und schuf nach seiten sowohl der Siluationsschilderung als der Charakterzeichnung Gebilde, wie sie lebensvoller auf dem Gebiet der O. keine andre Nation aufzuweisen hat. L. Spohr (gest. 1859) würde sich gemäß seiner künstlerischen Bildung Weber ebenbürtig zur Seite haben setzen können, wenn er sich nicht mit allzu großer Einseitigkeit im Bereich des Sentimentalen gehalten hätte. In direktem Anschluß an Weber ist Heinrich