Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Opfer

403

Opfer.

Tiere verwendet wurden, und die in größere (mit mehr öffentlichen Charakter) und kleinere zerfielen. Am wichtigsten war das Sühnopfer für das Volk, das jährlich am großen Versöhnungstag (s. d.) stattfand (vgl. Asasel). Die Priester pflegten die Darbringenden, zum Zeichen ihrer Versöhnung mit Jehovah, mit dem Blute der geschlachteten Tiere (als dem Sitz des Lebens, das Gott gehörte) zu besprengen und, wenn es einer allgemeinen Buße und Entsündigung des ganzen Volkes galt, das Opfertier zu verbrennen, dagegen bei Sühnopfern für Einzelne das Fleisch selbst zu genießen. Vgl. Kurtz, Das mosaische O. (Mitau 1842). - Die O. der alten Inder waren teils Speiseopfer (Ischti) oder Tieropfer (Paçu), teils Trankopfer (Sôma). Zu den bedeutendsten Opfern der ältern Zeit gehörten das mehrtägige Königsweihopfer (Râdschasûna) und das berühmte Roßopfer (Açvamêdha), das außer dem Roß 609 Tieropfer erforderte (darunter 260 Waldtiere) und ungeheuern Aufwand verursachte. Im Verlauf der Zeit kamen die Tieropfer mehr und mehr ab; Opferkuchen von Reis und Gerste traten an ihre Stelle. Der Opferdienst selbst war mit einem weitläufigen Zeremoniell verknüpft, das auf das genaueste befolgt werden mußte, wenn das O. Erfolg haben sollte. Im übrigen betrachtet man das O. gewissermaßen als einen Vertrag des Menschen mit den Göttern, der gegenseitig verbindliche Kraft hatte, und die Erfüllung der Bitte war bei richtig vollzogenem O. nicht eine Gnade von seiten der Götter, sondern eine vertragsmäßige Pflicht; ein Dank- oder Sühnopfer, wie die Hebräer, kannten die Inder nicht. Vgl. Schwab, Das altindische Tieropfer (Erlang. 1886). - Die O. der Ägypter waren dagegen sämtlich zugleich Sühnopfer. Menschen (besonders Fremdlinge), reine, untadelige Stiere, Kälber wurden geschlachtet, der Leib des Opfertiers mit Brot, Honig und Räucherwerk angefüllt und unter Begießung von Öl verbrannt. Auch Schweine, Ziegen, Schafe sowie Weizen- und Gerstenähren wurden geweiht. Glänzend war besonders der Opferdienst der Göttin von Sais (Neith). - Die Griechen brachten vorzugsweise Speiseopfer; Brandopfer waren auch in späterer Zeit wenig üblich. In der Homerischen Zeit erhielten vor jeder Mahlzeit die Götter ihren Anteil; bei feierlichen Gelegenheiten aber fanden öffentliche O. statt, unter denen das erste jedesmal der Hestia dargebracht wurde, wie die Inder zuerst dem Agni opferten. Ehe man das Tier schlachtete, schnitt man ihm die Stirnhaare ab, warf sie als Erstlinge ins Feuer und bestreute dann das Tier mit Gerstenschrot. Mit dem Blut besprengte man den Altar. Hierauf verbrannte man die Knochen und fleischigen Teile des Schenkels, wobei Wohlgerüche und Wein zugegossen und während des Opfers Leber, Herz und Lunge geröstet und verzehrt wurden. Zuletzt wurde die Zunge des Tiers mit einer Libation verbrannt. Mit den Opfern, die man vor wichtigen Unternehmungen vollbrachte, war in der Regel Weissagung durch Eingeweideschau verbunden. Die Libationen waren bei den Griechen ursprünglich nur den Manen gewidmete Trankopfer, meist mit Mahlzeiten verknüpft (vgl. Bernhardi, Das Trankopfer bei Homer, Leipz. 1885); die unblutigen O. bestanden in Darbringung der Erstlinge der Früchte, von Kränzen, Gebackenem etc. - Ähnlich denen der Griechen waren die O. der Römer. Den Göttern opferte man männliche, den Göttinnen weibliche, den himmlischen Gottheiten weiße, den unterirdischen schwarze Tiere, wie auch alle Handlungen bei jenen Opfern denen bei diesen entgegengesetzt waren. Bei dem Beginn des Opfers ward Stillschweigen geboten (s. Omen) und Wein, Weihrauch, Dinkelmehl mit Salz (mola salsa) zwischen die Hörner des Tiers gestreut. Die Götter erhielten Teile der innern edlen Eingeweide, Stückchen von der Hüfte, vom Schwanz und vom Euter, die, mit Weihrauch, Wein und Salz vermischt, verbrannt wurden. Eigentümlich den Römern waren die Göttermahlzeiten (Lektisternien), die nach einem Sieg in der Weise veranstaltet wurden, daß die Altäre mit Speisen besetzt und die Bildnisse der Götter um den Altar herumgelegt wurden; ferner die Suovetaurilia, welche darin bestanden, daß am Ende eines jeden fünften Jahrs nach vollendeten Zensus ein Schwein, ein Schaf und ein Stier (sus-ovis-taurus) um die Volksversammlung geführt und dann geopfert wurden. Menschenopfer kamen in den ersten Zeiten der Republik jährlich vor; später wurden sie zwar vom Senat verboten, allein noch zu Cäsars Zeiten geübt, wie denn z. B. Oktavian 300 Ritter und Senatoren auf dem Altar des Julius Cäsar töten und Sextus Pompejus Menschen in das Meer werfen ließ, um sie dem Neptun zu opfern. - Auch die germanischen Völker opferten sowohl Menschen als Tiere. Die Menschenopfer galten dem Wodan und Ziu, im Norden dem Thor; ihnen legte man eine große sühnende Kraft bei. Nicht nur wurden nach errungenen Siegen die gefangenen Feinde zum Wohlgefallen der Götter an den Bäumen aufgehängt, auch die eignen Leute opferte man, wenn man die Götter erzürnt glaubte. Eigentümlich war der schwedische Brauch, bei eintretender Hungersnot den König zu opfern, als das Köstlichste, was man den Göttern darbringen konnte. Ganz besonders aber stand das Menschenopfer im Dienste der Rechtspflege; auch von Kinderopfern sind in den alten Sagen noch Spuren vorhanden. Zu Tieropfern durften nur reine Geschöpfe gewählt werden, deren Fleisch den Menschen genießbar, d. h. zu essen erlaubt, war. Zu diesen zählten in erster Linie das Roß, das als heiliges Tier verehrt wurde; sodann das Rind, der Eber und das Ferkel; auch Widder und Böcke sowie Hunde und Geflügel, welch letztere namentlich als O. für die Erntegottheiten dargebracht wurden (vgl. Jahn, Die deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau etc., Bresl. 1884). Die unblutigen O. bestanden in Festkuchen und Festbroten, in Bier, Eiern, Milch, Honig etc. Die unblutigen O. durfte der Opfernde selbst darbringen, die blutigen dagegen wurden von den Priestern vollzogen und zwar meist bei Anlaß großer Festlichkeiten im Beisein der gesamten Gaubewohnerschaft. Die Schweden veranstalteten jährlich drei große O., um die Zeit der Herbstnachtgleiche, in der Mitte des Winters und zum Empfang des Sommers; außerdem beging man alle neun Jahre in Upsala ein großes Sühnfest, wobei neun Häupter von jeder Tiergattung dargebracht wurden, und ein andres Opferfest, ebenfalls alle neun Jahre zur Sühne, feierten die Dänen den Todesgöttern, indem sie in Lethra auf Seeland 99 Menschen sowie Pferde, Hunde und Hähne oder Habichte, jedes in gleicher Anzahl, schlachteten. Außerordentliche O. gab es vorzüglich bei kriegerischen Unternehmungen, bei Königswahlen und Leichenbestattungen. Der Gebrauch, Kriegsgefangene zu opfern, dauerte sogar noch unter den zum Christentum bekehrten Völkern, z. B. den Goten, Herulern, Langobarden, Sachsen, fort. - Bei den Galliern (Kelten) besorgten die Druiden den Opferdienst, und zwar hielt man Menschen für die den Göttern angenehmste O. Götzenbilder, deren Glieder aus Weiden geflochten waren,